Hanns Heinz Ewers
Mein Begräbnis. Und andere Grotesken
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hanns Heinz Ewers Mein Begräbnis. Und andere Grotesken Dieses ebook wurde erstellt bei
Verlagsangaben Verlagsangaben Hanns Heinz Ewers: Mein Begräbnis. Und andere Grotesken 1. Auflage in der vorliegenden, digital publizierten Form: 2014. Herausgeber, Edition: Andreas Schumacher, Lino Wirag. Umschlaggestaltung unter Verwendung des (bearbeiteten) Gemäldes L'inhumation précipitée (1854) von Antoine Wiertz (1806-65). www.linowirag.de www.andreasschumacherinfo.de www.michael-helming.de
Mein Begräbnis
Das Eierlegen der menschlichen Frau
Die vornehme Elly
Der Dichterwettstreit von Nippes
Die Knopfsammlung
Die botanische Eingabe
Warum Arno Falk sich verlobte
Der Mann ihrer Träume
Die Perle
Der Spuk von Rammin
Venus Kallipygos
Der einsame Briefkasten
Von den elftausend Jungfrauen
Lustmord einer Schildkröte
Im Karpfenteich
Ich bin ein Dichter und kein Prophet
Anmerkungen der Herausgeber
Impressum neobooks
Hanns Heinz Ewers: Mein Begräbnis. Und andere Grotesken
1. Auflage in der vorliegenden, digital publizierten Form: 2014.
Herausgeber, Edition: Andreas Schumacher, Lino Wirag.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des (bearbeiteten) Gemäldes L'inhumation précipitée (1854) von Antoine Wiertz (1806-65).
www.linowirag.de
www.andreasschumacherinfo.de
www.michael-helming.de
Drei Tage vor meinem Tod schrieb ich eine Postkarte an die Fahrradkuriere von den Roten Radlern.
Meine Karte lautete:
»Bitte drei Tage nach Empfang dieser Karte, mittags um zwölf Uhr, eine Kiste zum Friedhof befördern. Die Gegenwart aller Roten Radler ist erforderlich. Bezahlung und nähere Instruktionen auf der Kiste.«
Dann Name und Adresse.
Die Roten Radler kamen pünktlich und mit ihnen kam der Herr Oberradler. Es war eine große, lange Eierkiste, die sie holen sollten, und ich hatte mit viel Mühe darauf gemalt: »Glas!« und »Zerbrechlich!« und »Vorsicht!« und »Nicht stürzen!«
In der alten Eierkiste lag natürlich meine Leiche, aber ich hatte den Deckel nicht zuschlagen lassen, weil ich durchaus eine ›schöne Leich‹ sein wollte und daher aufpassen musste, ob auch alles richtig besorgt würde. Der Oberradler nahm zuerst das Geld, das ich auf den Deckel gelegt hatte, und zählte es nach.
»Fünfundvierzig Rote Radler«, sagte er, »für zwei Stunden. Es stimmt!«
Er steckte das Geld in die Tasche und las nun meine Instruktionen.
»Nein«, sagte er dann, »das geht nicht! – Das ist nicht unser Geschäft.«
Ich machte meine Stimme recht dumpf und antwortete aus der Kiste: »Die Roten Radler besorgen alles!«
Der Herr Oberradler wusste nicht recht, wer da gesprochen hatte. Er kratzte sich an der Nase.
»Meinetwegen«, sagte er dann, »meinetwegen!«
Sein Gewissen juckte ihn; in all seinen Ankündigungen hieß es ausdrücklich: Die Roten Radler besorgen alles .
Einer der Jungen wollte den Deckel zunageln, aber der Oberradler wies ihn zurück.
»Fort!«, rief er, auf den Zettel zeigend. »Hier heißt es ausdrücklich: Der Deckel soll offen bleiben.«
Der Mann gefiel mir; da er einmal die Besorgung angenommen hatte, wich er um keinen Buchstaben von meinen Instruktionen ab, die er noch einmal genau durchlas.
»Wir sprechen jetzt ein kurzes Gebet«, sagte er. »Wer von euch kennt ein kurzes Gebet?«
Aber keiner der Roten Radler kannte ein kurzes Gebet.
»Weiß vielleicht einer ein langes?«
Aber ein langes kannten sie erst recht nicht.
»Die Roten Radler besorgen alles!«, sagte ich hohl aus meiner Kiste.
Der Oberradler sah sich um –
»Aber sicher doch!«, rief er. »Das wäre noch schöner, wenn die Roten Radler nicht einmal beten könnten!« Er wandte sich an den Allerkleinsten: »Fritz, du weißt doch sicher ein Gebet?«
»Ein Gebet wüsste ich schon«, meinte der Knirps, »aber nicht ordentlich –«
»Darauf kommt’s nicht an!«, unterbrach ihn der Oberradler. »Ob man nun ordentlich betet oder unordentlich, die Hauptsache ist, dass man eben betet! – Also sprich dein Gebet – und alle sprechen laut mit!«
Fritz betete, und die anderen schrien mit, so laut sie konnten: »Lieber Herr Jesus, sei unser Gast – und segne, was du uns bescheret hast!«
»A-meen!«, sagte der Herr Oberradler salbungsvoll. »Das ist ein ganz ausgezeichnetes Gebet – merkt es euch für künftige Gelegenheiten.«
Dann traf er, immer meinen Instruktionen gemäß, seine Anordnungen. Die Eierkiste wurde auf ein Transport-Dreirad geladen, das der stärkste Junge fuhr; Fritz musste sich obendrauf setzen, damit der Deckel nicht herunterfiel. All die Roten Radler sprangen auf ihre Räder, und so schnell sie konnten, ging es nun durch die Straßen. Die Leute freuten sich über den flotten Zug, und ich dachte in meiner Kiste, dass es doch ein ganz anderes Ding sei, so vergnügt zum Kirchhof zu fliegen, als langsam in der schwarzen Trauerkutsche neben grässlichen Leichenbittermienen daherzutrotten.
In zwanzig Minuten schon waren wir draußen. Alle stellten ihre Räder an die Gittertüre, die vier Stärksten nahmen vorsichtig die Eierkiste auf. Der Herr Oberradler sah in meinen Instruktionen nach und befahl: »Zweiter Querweg, achter Seitengang, links vom Hauptweg! Auf der rechten Seite! Grab Numero 48.678!«
Dahin brachten sie in feierlichem Zuge die alte Eierkiste.
Das Grab war schon aufgeworfen, ein paar große Schaufeln steckten in dem Erdhaufen. Ganz vorsichtig krochen einige der Roten Radler in die Grube und setzten die Kiste hinein. Dann umstellten sie das Grab in weitem Kreis.
»Jeder soll sich eine Zigarette anzünden«, befahl der Herr Oberradler. Die meisten hatten Zigaretten bei sich, den anderen bot er sein Etui an.
»Ich kann noch nicht rauchen«, sagte Fritz. »Davon wird mir –«
Aber ich unterbrach ihn: »Die Roten Radler besorgen alles!«
Beleidigt blickte der Chef auf seine rote Gesellschaft. »Wer spricht da?«, rief er. »Ich verbitte mir jedes unnütze Wort! Selbstverständlich besorgen die Roten Radler alles! Da, rauch, Fritz! Ein Roter Radler muss so gut rauchen können wie beten!«
Fritz brannte seine Zigarette an, und alle anderen auch.
»So«, sagte der Oberradler und sah wieder in seinen Zettel, »jetzt beginnen wir die Trauerfeierlichkeit! Wir singen – nach der Melodie der ›Sänger von Finsterwalde‹ – gemeinsam diese Verse:
Die Roten Radler – – besorgen alles!
Sie leben und sterben – – für den Beruf!«
Alle sangen, dass es schallte, und ich sang in meiner Kiste mit.
»Jetzt kommt die Leichenrede«, fuhr der Chef fort und begann: »Wir haben heute die Ehre und das große Vergnügen, zum ersten Male von Berufs wegen jemanden zur letzten Ruhe geleiten zu dürfen. Wenn uns auch über die sonstigen Tugenden des Verblichenen sonst nichts weiter bekannt ist, so genügt doch die Tatsache seiner letzten Verfügungen, ihm im Herzen aller Roten Radler einen bleibenden Denkstein zu setzen – zu zwei Mark fünfundvierzig die Stunde. Aus diesem Grunde lasst uns alle einstimmen in den Ruf: Unser freundlicher Gönner weiland, der selig Verblichene – hurra, hurra, hurra!«
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