Hanns Heinz Ewers
Alraune. Phantastischer Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hanns Heinz Ewers Alraune. Phantastischer Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
Auftakt
Erstes Kapitel,
Zweites Kapitel,
Drittes Kapitel,
Viertes Kapitel,
Fünftes Kapitel,
Intermezzo
Sechstes Kapitel,
Siebentes Kapitel,
Achtes Kapitel,
Neuntes Kapitel,
Zehntes Kapitel,
Elftes Kapitel,
Intermezzo
Zwölftes Kapitel,
Dreizehntes Kapitel,
Vierzehntes Kapitel,
Fünfzehntes Kapitel,
Sechzehntes Kapitel,
Ausklang
Impressum neobooks
Wie willst du leugnen, liebe Freundin, dass es Wesen gibt – keine Menschen, keine Tiere – seltsame Wesen, die aus der verruchten Lust absurder Gedanken entsprangen?
Gut, weisst du, meine sanfte Freundin, gut ist das Gesetz, gut ist alle Regel und alle strenge Norm. Gut ist der grosse Gott, der diese Normen schuf, diese Regeln und Gesetze. Und gut ist der Mensch, der sie wohl achtet, der seine Wege geht in Demut und Geduld und in der treuen Nachfolge seines guten Gottes.
Ein anderer aber ist der Fürst, der den Guten hasst. Er zerschlägt die Gesetze und Normen. Er schafft – merk es wohl – wider die Natur .
Er ist schlecht, ist böse. Und böse ist der Mensch, der so tut wie er. Er ist ein Kind des Satan.
Böse ist es, sehr böse, hineinzugreifen in die ewigen Gesetze, mit frecher Hand sie herauszureissen aus ihren ehernen Fugen.
Der Böse mag es wohl tun – weil ihm Satan hilft, der ein gewaltiger Herr ist; er mag schaffen nach seinem eigenen stolzen Wunsche und Willen. Mag Dinge tun, die alle Regeln zertrümmern, alle Natur umkehren und auf den Kopf stellen. Aber er hüte sich wohl: es ist Lüge nur und irres Blendwerk, was immer er schafft. Es ragt auf und wächst in alle Himmel – – aber es stürzt zusammen am letzten Ende und begräbt im Sturze den hochmütigen Narren, der es dachte –
Seine Exzellenz Jakob ten Brinken, Dr. med., Ord. Professor und Wirkl. Geh. Rat, schuf das seltsame Mädchen, schuf es – – wider alle Natur . Er schuf es, ganz allein, wenn auch der Gedanke einem andern gehörte. Und dieses Wesen, das sie taufen liessen und Alraune nannten, wuchs heran und lebte wie ein Menschenkind. Was es anfasste, das ward zu Gold, wo es hinblickte, da lachten die wilden Sinne. Wohin aber sein giftiger Atem traf, schrie alle Sünde, und aus dem Boden, den seine leichten Füsse traten, wuchsen des Todes bleiche Blumen. Einer schlug es tot, der war es, der es einst dachte: Frank Braun, der neben dem Leben herlief.
Nicht für dich, blondes Schwesterchen, schrieb ich dies Buch. Deine Augen sind blau und sind gut und wissen nichts von den Sünden. Deine Tage sind wie die schweren Trauben blauer Glyzenen, tropfen hinab zum weichen Teppich: so schreitet mein leichter Fuss weich dahin durch die sonnenglitzernden Laubengänge deiner sanften Tage. Nicht für dich schrieb ich dies Buch, mein blondes Kind, holdes Schwesterlein meiner traumstillen Tage –
Dir aber schrieb ich es, du wilde, sündige Schwester meiner heissen Nächte. Wenn die Schatten fallen, wenn das grausame Meer die schöne Goldsonne frisst, da zuckt über die Wogen ein rascher giftgrüner Strahl. Das ist das erste schnelle Lachen der Sünde über des bangen Tages Todesfurcht. Und sie reckt sich über die stillen Wasser, hebt sich hoch, brüstet sich in brandigen, gelben und roten, tief violetten Farben. Und die Sünde atmet durch die tiefe Nacht, speit ihren Pesthauch weit hinaus über alle Lande.
Und du fühlst wohl ihren heissen Hauch. Da weitet sich dein Auge, hebt sich frecher die junge Brust. Da fliegt ein Zittern über deine Nüstern, spreizen sich weit die fieberfeuchten Hände. Da fallen die bürgerlichen Schleier aller sanften Tage, da gebiert sich die Schlange aus schwarzer Nacht. Da reckt sich, Schwester, deine wilde Seele, aller Schanden froh, voll aller Gifte. Und aus Qualen und Blut, und aus Küssen und Lüsten jauchzt sie hinauf – schreit sie hinab – durch alle Himmel und Höllen –
Schwester meiner Sünden, dir schrieb ich dies Buch –
Erstes Kapitel,
das zeigt, wie das Haus war, in dem der Gedanke Alraune in die Welt
sprang
Das weisse Haus, in dem Alraune ten Brinken wurde – lange Zeit, ehe sie geboren, ehe sie noch gezeugt ward – dies Haus lag am Rhein. Ein wenig hinaus aus der Stadt, in der grossen Villenstrasse, die hinausführt vom alten erzbischöflichen Palast, der heute die Universität hält. Dort lag es. Und damals bewohnte es der Herr Justizrat Sebastian Gontram.
Man schritt, von der Strasse her, durch den langen hässlichen Garten, der nie einen Gärtner sah. Man kam zu dem Hause, von dem der Stuck fiel, suchte nach einer Schelle und fand keine. Man rief und schrie und es kam niemand. Endlich stiess man die Türe auf und ging hinein, stieg über die schmutzige, nie gewaschene Holztreppe. Und irgendeine grosse Katze sprang durch die Dunkelheit.
Oder aber – der grosse Garten lebte von tausend Affen. Das waren die Gontramkinder: Frieda, Philipp, Paulche, Emilche, Jösefche und Wölfche. Sie waren überall, staken in den Aesten der Bäume, krochen in tiefen Gruben in der Erde. Dann die Hunde, zwei freche Spitze und ein Bastardfox. Und dazu der Zwergpinscher des Herrn Rechtsanwalt Manasse, so ein Ding, wie eine braune Quittenwurst, kugelrund, kaum grösser wie eine Hand. Cyklop hiess er.
Und alles lärmte und schrie. Wölfchen, kaum ein Jahr alt, lag im Kinderwagen und brüllte, hoch, hartnäckig, stundenlang. Nur Cyklop konnte diesen Rekord halten, er kläffte, heiser und zerbrochen, unaufhörlich. Rührte sich nicht vom Platze, wie Wölfchen, schrie nur, heulte nur.
Die Gontrambuben rasten durch die Büsche, spät am Nachmittage. Frieda, die älteste, sollte aufpassen; achtgeben, dass die Brüder artig seien. Aber sie dachte: sie sind artig. Und sie sass hinten, in der zerfallenen Hollunderlaube, mit ihrer Freundin, der kleinen Prinzessin Wolkonski. Die beiden schwatzten und stritten sich, meinten, dass sie nun bald vierzehn Jahre alt würden und dann wohl heiraten könnten. Oder wenigstens könnte man einen Liebhaber haben. Aber sie waren fromm alle beide und beschlossen, noch ein wenig zu warten, vierzehn Tage noch, bis nach der ersten heiligen Kommunion.
Dann bekam man lange Kleider. Dann war man erwachsen. Dann konnte man einen Liebhaber haben.
Sie kamen sich sehr tugendhaft vor bei diesem Entschluss. Und sie überlegten, dass es gut wäre, sogleich zur Kirche zu gehen, in die Maiandacht.
Man musste sich sammeln in diesen Tagen, musste ernst sein und vernünftig.
»Und dann ist auch vielleicht der Schmitz da!« sagte Frieda Gontram.
Aber die kleine Prinzess rümpfte das Näschen: »Bah – der Schmitz!« machte sie.
Frieda fasste sie unter den Arm. »Und die Bavaren, die mit den blauen Mützen!«
Olga Wolkonski lachte. »Die –? Das sind – – Blasen! – Weisst du, Frieda, feine Studenten gehen überhaupt nicht in die Kirche.«
Das war nun wohl wahr, feine Studenten taten so etwas nicht.
Frieda seufzte. Sie schob rasch den Wagen mit dem schreienden Wölfchen zur Seite und trat nach Cyklop, der sie in den Fuss beissen wollte.
Nein, nein, die Prinzess hatte recht, es war nichts mit der Kirche. »Lass uns hierbleiben!« entschied sie. Und die Mädchen kehrten zurück zur Hollunderlaube.
– Alle die Gontramkinder hatten eine unendliche Gier zum Leben. Sie wussten es nicht – aber sie ahnten es, fühlten es so im Blute, dass sie sterben mussten, jung, frisch, mitten im Blühen. Dass sie nur einen kleinen Teil der Spanne Zeit hatten, die andern Menschen gegeben war. Und sie nahmen diese Zeit dreifach, lärmten und rasten, frassen und tranken sich übersatt am Leben. Wölfchen schrie in seinem Wagen, schrie für sich allein so viel wie drei andere Babies. Seine Brüder aber flogen durch den Garten, machten sich zahlreich, taten, als ob ihrer vier Dutzend wären, und nicht nur vier. Schmutzig, rotznasig und zerlumpt, immer irgendwo blutend, vom Schnitt in den Finger, vom zerschundenen Knie, oder irgendeinem tüchtigen Kratz.
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