»Ich kann mir vorstellen, dass man als Lehrling nicht besonders viel verdient. Wie alt warst du damals?«
»Knapp achtzehn, der Barbesitzer hat mich trotzdem genommen. Ich war immer besonders nett und habe viel Trinkgeld bekommen.«
»So bist du also reingerutscht?«
»Stimmt, danach wusste ich: Das ist mein Job!«
Wohnung Cora
Cora beglückwünschte sich wieder einmal, dass sie so pedantisch war. Schon als Kind war sie sehr ordentlich bei ihren Schulsachen gewesen. Als sie von zu Hause auszog, hatte sie die Ordner aus dem großen Wohnzimmerbüfett mitgenommen. Auch eine Schachtel, in der Papierkram lag. So standen nun in ihrem Schrank in Reih und Glied Leitzordner, ordentlich beschriftet. Irgendwann einmal würde sie alles scannen und in Dateien ablegen, um Platz zu schaffen.
»Diese Schachtel hier werde ich auch mal in Angriff nehmen. Wenn ich mal viel Zeit habe. Ja, wenn ...«, sie grinste in sich hinein. Dann zog sie den Ordner Privat hervor, setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und begann zu blättern.
»Hier ist es«, rief sie laut. »Welch ein Glück, dass ich immer alles aufhebe und penibel ablege.«
Vielleicht mochte sie Klaus deshalb so gerne? Bei ihm in der Wohnung lag alles durcheinander. In einer Schachtel hatte er Papiere kreuz und quer eingeschlichtet. Nur ein Genie beherrscht das Chaos , stand ganz groß auf der Pinnwand in seinem Flur. Wenn es gar zu schlimm wurde, meinte sie immer zu ihm: »Ziehen die Hempels mal wieder um?« Dann mussten sie beide lachen und Klaus räumte einen Teil von links nach rechts.
Ordentlich abgelegt, mit Trennblättern versehen, drehte sie die Papiere um. Sie öffnete den Hebel, nahm das Blatt mit den Fotos heraus. Ein altes Haus mit bemoosten Ziegeln. Viel Grün um das Gebäude.
»Hier ist es ja«, murmelte Cora.
Wohnung Violetta
»So, jetzt hast du aufgegessen und jetzt erzählst du mir, wie das mit dem Bondage war.«
Violetta nickte und sagte völlig zusammenhanglos: »Nächste Woche werde ich 51 Jahre. Sieht man mir nicht an, gell? Ich würde gerne feiern. Du bist eingeladen.«
»Danke schön. Schweif nicht ab. Bitte!«
»Was hätte ich als Büromaus schon großartig verdient? Der ältere Mann wurde mein Dauerkunde, deshalb habe ich mich natürlich umgehört. Viel habe ich nicht erfahren. Bondage war damals noch kein Thema.«
»Ich vermute mal – learning by doing.«
Violetta nickte. »Ich habe Stunden in Bibliotheken verbracht. Es war interessant, was da alles stand und was ich ‚Neues‘ erfahren habe. Internet gab es ja schließlich noch nicht.«
»Wir haben mal einen Wochenendtrip nach Berlin gemacht. Cora hat mich dort in das Beate-Uhse-Museum geschleppt.«
»Wie interessant. Da möchte ich auch mal hin.«
»Da wirst du dich noch etwas gedulden müssen. Es ist seit September 2014 geschlossen. Sie suchen einen neuen Standort.«
»Wie schade.« Das Telefon läutete, Violetta drückte das Gespräch weg. »Was hast du dort alles gesehen?«
»Im Museum?«
»Ja, wo sonst?«
»Ich dachte, du willst wissen, ob wir Sightseeing in Berlin gemacht haben«, grinste Klaus.
»Wir sind doch grad beim Thema Verschnüren, also erzähle.« Violetta schlug die Augen nach oben und seufzte gespielt.
»Das ist wissenschaftlicher aufgezogen, als man meint. Du wirst durch unterschiedliche Kulturen und Epochen rund um das Thema Sex und Liebe geführt. Da waren wirklich kunsthistorisch wertvolle Exponate und was ich besonders interessant fand, waren die hochmodernen 3-D-Projektionen.«
Violetta lachte laut. »Das kann ich mir vorstellen. Klein Klausi betrachtet weibliche Geschlechtsteile in 3-D!«
»Na hör mal, so weltfremd bin ich nun auch wieder nicht.«
Violetta schlug die Beine unter ihren Po, legte sich eine Decke über den Schoß.
»Damals, vor dreißig Jahren, war das natürlich noch nicht in aller Munde. Heutzutage ist es für viele Leute ein toller Fetisch. Gerade, wenn sie in leitender Position sind. Sich dominieren lassen, einfach mal schwach sein dürfen, für viele der Inbegriff der Lust.«
»Ich kann es mir, ehrlich gesagt, nicht so richtig vorstellen, was einen umtreibt, sich fesseln zu lassen.« Klaus spielte gedankenverloren an seinem Pferdeschwanz.
»Weißt du, viele meiner Gäste wollen ihre körperliche Passivität spüren. Erst dann fühlen sie sich frei. Sie können sich dabei auf ihr Inneres konzentrieren und kommen zur Ruhe.«
»Womit hast du gefesselt?«
»Die japanische Kunst sah Stricke vor. Auch Ketten. Im Laufe der Zeit kamen Lack und Leder hinzu. Kerzenwachs, Peitschen, alles, was das lustvolle Herz begehrt.«
»Und wie ist es mit sadomasochistischen Praktiken?«
»Lässt sich nicht leugnen!«
»Und Strumpfhosen?« Klaus sah sie gespannt an.
»Eher nicht. Aber wenn der Kunde das so haben wollte, haben wir das natürlich gemacht.«
»Wir?«
»Ich hatte immer wieder mal Partnerinnen. Ich vermiete mein Studio ja auch.«
Klaus murmelte: »Interessant.«
»Entschuldigung, dass Sie mir eben auf den Fuß getreten sind.«
Cora war so in Gedanken, dass sie es gar nicht bemerkt hatte. Erschrocken fuhr sie hoch. Schaute etwas verwirrt. Die Dame im Ordenskleid schüttelte den Kopf. »Sie sind ja wirklich ganz weit weg. Kann ich Ihnen helfen?«
»Nein danke, Sie haben recht, mir gehen ein paar Dinge durch den Kopf. Entschuldigung.« Eilig ging Cora Richtung Bahnhof davon. Abrupt blieb sie stehen. Vielleicht wäre es doch besser, vorher anzurufen? Sie suchte die Nummer der Nürnberger Nachrichten heraus. Es klingelte ein paarmal, dann ertönte eine Stimme vom Band, dass das Textarchiv heute geschlossen hatte. »Mist, verdammter Mist.« Cora stampfte wie ein trotziges Kind mit dem Fuß auf.
»Es muss Sie ja wirklich etwas Schwerwiegendes beschäftigen. Aber keine Angst, junge Frau, diesmal habe ich meine Füße in Sicherheit gebracht.«
Cora blickte in das lächelnde Gesicht der Ordensfrau. Sie hatte absolut keine Lust auf ein Gespräch, deshalb nickte sie nur, dachte im Weggehen: »Na gut, dann gehe ich da morgen hin.«
1987
»Hast du wieder den gleichen Gast wie gestern?«
»Der hat einen Narren an mir gefressen. Ich habe meiner Mutter was von Arzt und Zahnweh erzählt. Dahin kann ich die Kleine ja nicht mitnehmen.«
»Und hat sie es dir abgekauft?«
»Ich weiß nicht so recht. Sie schaut mich immer so misstrauisch an. Gestern hat sie an mir gerochen und abfällig geschaut. Obwohl ich mich immer abschminke und umziehe, wenn ich nach Hause komme.«
»Dann sei mal vorsichtig. Nichts ist schlimmer als Mütter, die einem hinterherspionieren.«
»Doch, Ehemänner!«, sagte eine Dritte. »Was soll ich anziehen? Das Rote oder lieber doch das kleine Schwarze? Worin sehe ich edler aus?«
»Wo gehst du hin?«
»Theater!«
»Dann bist du doch perfekt mit dem Schwarzen angezogen. Rote Ohrringe, roter Lippenstift, rote Pumps – perfekt!«
Die drei Frauen lachten. »Willst du noch einen Schampus? Ein Schlückchen?«
Im selben Moment läutete es. Sie warf sich einen fast durchsichtigen Morgenmantel über, ging zur Tür, öffnete sie einen Spaltbreit.
Eine Hand streckte sich ihr entgegen, feingliedrige Finger hielten eine rote Rose. Als die Hand sich senkte, blickte sie in ein freundliches Gesicht. Er machte einen Diener und fragte schüchtern: »Darf ich Ihnen diese Rose überreichen? Ist es gestattet?«
Sie winkte ihn herein, nahm die Rose, warf sie nachlässig auf die Kommode im Flur. Dann schubste sie ihn in das Zimmer. Mitten im Raum blieb er stehen. Sah sie an, wie sie sehr langsam den Morgenmantel ablegte, ihn achtlos fallen ließ. Seine Augen blieben an ihrer wohlproportionierten Figur hängen, an den halterlosen Strümpfen, wanderten hoch zum Ketten-BH.
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