»Das ist es ja, was mich reizt. Ich finde sie in ihrer Hilflosigkeit entzückend. Ich möchte sie beschützen, möchte zärtlich sein, möchte sie verhätscheln und verwöhnen! Versuche das einmal bei einer Kameradin! Die lacht dich ja einfach aus! Die Vorteile eines scharfen Verstandes, die habe ich schließlich auch bei jedem Freund, beispielsweise bei dir.«
»Nein, ich kann dir nicht recht geben!«, bestand der andere auf seiner Meinung. Der Erste setzte mit dem Ausruf der Bewunderung sein Fernglas an die Augen.
»Siehst du diese hier, wie schlank und zart! Die hat das, was ich an einer Frau reizvoll finde, das gesenkte Köpfchen, den scheuen Blick, die ist wirklich ganz modern erzogen.«
»Ein hübsches Püppchen, ich gebe es zu!«
»Du kannst mir glauben, wenn es lauter solche Frauen in A 15 gäbe, dann wäre der viel bejammerte Geburtenrückgang nicht halb so schlimm! Die alten Herren vor zweitausend Jahren, die nicht duldeten, dass ihre Töchter etwas lernten, hatten ganz sicher keine solche Not, Schwiegersöhne zu bekommen, wie unsere Väter!«
»Nein, nein, eine gute Kameradin ist der beste Freund und die beste Frau! Die Menschheit ist nicht mehr so jung, dass sie ein Mädchen nur wegen ihrer zarten Hüften und weißen Hände begehrenswert findet. Ich wenigstens verlange mehr! Und die hypermoderne Erziehung zur unschuldigen Dummheit halte ich einfach für ein großes Unglück.«
Eine Schar Bürger schwemmte die Plaudernden wie eine Woge fort. Alfred, der in ihrer Nähe stehen geblieben war, teils weil er nicht wusste, wo er bleiben sollte, teils weil ihn das Gespräch interessierte, bedauerte das. Was sie sagten, beschäftigte ihn ja auch, aber bisher wusste er nicht, welcher Art von Frauen er lieber mochte. Endlich erinnerte er sich wieder an die alte Hüttenbewohnerin, die sprachlos über all das Neue mit weit aufgerissenen Augen auf die stufenweise angeordneten Sitze aus weißem, glattem Stein und die üppigen Ornamente starrte. Aber ehe Alfred sie zu einem Platze führen konnte, lösten sich aus der Menge jene beiden Mädchen, die vorhin die Aufmerksamkeit der jungen Männer erregt hatten, und traten auf die Alte zu. Die eine war kräftiger, lebhafter und rosiger als ihre offensichtlich zögernde Begleiterin.
»Wirklich, Aïne!« Sie nahm die Freundin am Arm. »Wir sollten die Gelegenheit nutzen. Lad sie doch ein! Wir geben Sonja und Dalila Bescheid ... natürlich auch Lilith. Es wäre sehr interessant.«
Das Mädchen konnte sich immer noch nicht dazu entschließen. Sein zartes, wie rosa Marmor getöntes Gesicht zeigte einen leisen Widerwillen. Es schüttelte abwehrend den Kopf, so dass die bunten Wellen des Rundhelms zitterten. Alfred beobachtete sie genau. Die zauberhaft zarte Schüchternheit auf dem blumenhaften Gesicht des Mädchens lockte ihn wie eine liebliche Melodie. Er verneigte sich vor ihr und begrüßte auch die andere, die offensichtlich nach der alten Mode erzogen war, mit einem vertrauten Nicken, das sie fröhlich lachend quittierte. Sie ergriff sogleich das Wort: »Ich heiße Leila 47563! Sagen Sie mir, mein Herr, wäre es möglich, dieses vorsintflutliche Scheusal da zu uns einzuladen?« Sie wies mit dem Finger auf die Alte.
»Ich weiß nicht ... vielleicht will sie es. Ich kann sie ja fragen«, meinte Alfred belustigt.
»Nein, nicht so … «, wehrte Leila energisch ab, »Sie müssen natürlich auch mitkommen. Wir können doch ihre Sprache nicht verstehen! Du bist doch einverstanden, Aïne?«, wandte sie sich zu der Freundin, die bisher mit gesenkten Wimpern daneben gestanden hatte.
Nun schlug sie die großen, hellgrünen, von einem schmalen, von einem dunklen Rand umgebenen Augen hilfesuchend auf: »Wenn du meinst ... «, flüsterte sie sehr leise.
»Aber natürlich! Es wird entzückend! Dieses schöne Mädchen«, sie wand sich an Alfred, »ist Aïne 50000, die Tochter unseres Stadtoberhaupts. Eine Verbeugung, wenn ich bitten darf! Vielleicht haben Sie jetzt auch die Freundlichkeit, uns Ihre Einheit zu nennen!«
»Ich bin Alfred 6720. Und ich komme natürlich mit großem Vergnügen mit.«
»Also schön, abgemacht! Vielleicht gehen Sie jetzt mit Ihrem Scheusal in die Ringbahn, damit Sie pünktlich bei uns eintreffen. Nach Aïnes Haus brauchen Sie nur zu fragen. Wiedersehen!«
Sie drehte sich lachend um und zog die sichtlich aufatmende Aïne mit sich fort, zurück in die Menge.
Alfred beugte sich zu der Alten hinunter und versuchte mit Aufbietung aller seiner Sprachkenntnisse ihr die Einladung zu erklären. Sie schien es auch tatsächlich zu verstehen, zumindest wehrte sie sich nicht, als er mit ihr Platz 1 in Richtung der nächsten Haltestelle verließ.
Leila hatte in der Nähe beobachtet, ob Alfred Wort halten würde. Nun wandte auch sie sich mit Aïne zum Gehen, als eben der erste Redner das hochragende Podium bestieg und hinter seinem Rücken die große Leuchttafel aufgezogen wurde, auf der jedes Wort in riesigen Buchstaben sofort nach dem Sprechen erschien.
Als die beiden Mädchen dann in Aïnes Gemächer kamen, waren die eingeladenen Freundinnen schon da, Lilith, Dalila und Sonja, drei Töchter der 40000 - Einheiten - Klasse. Sie hatten sich in der Polsterecke nahe am Vorhang niedergelassen und schwatzten wie aufgezogene Autophons. Ihre eleganten Fahrzeuge standen an den dafür bestimmten Ständern, und Aïne und Leila reihten ihre eigenen ein. Dann tasteten sie sich mit den zarten, nur mit schillernden Strümpfen bekleideten Füßen ein wenig linkisch die paar Schritte zu dem riesenhaften Diwan, auf dem man gleich bequem liegen, kauern und sitzen konnte und der in seiner Mitte einen mit Leckerbissen reich gefüllten, kostbaren Aufsatz trug.
Das ganze von mattrosa Licht aus eingelegten Scheiben durchflutete Gemach war nach der neuesten Mode mit Perlen bestickt. Synthetische Edelsteine herzustellen, war schon vor undenklichen Zeiten zu einem niedrigen Handwerk herabgesunken, und ebenso gehörten auch Perlen schon seit langem nicht mehr zu den auserlesenen Kostbarkeiten. Dagegen liebten es alle Frauen von A 15, ihre Wohn- und Empfangsräume mit Perlen zu schmücken und hätten sie so wenig am Hals getragen, wie ihre Vorfahren eine Kette aus Bachkieseln.
In Aïnes Boudoir hingen die tropfenförmigen Perlen in breiten Schleifen über die mit korallenroter Goldseide bespannten Wände herab, flossen in gewellten Borten zur Tür und von da zurück und wanden sich als loses, leuchtendes Zelt über dem Ruhelager zur rosenfarbenen Zimmerdecke empor. Nachdem Aïne ihre Freundinnen begrüßt hatte, beeilte sie sich, auf eine Koralle in der Wand zu drücken. Sofort wuchsen aus den Flanken des Perlenzeltes kleine Parfümflämmchen und begannen, während sie in einem berückenden, langsamen Neigen auf und ab stiegen, das Zimmer mit dem weichen und vollen Duft ungezählter Rosen zu füllen. Von irgendwo aus der Ferne schien dazu eine unendlich süße Musik herüberzuklingen, leise und träumerisch wie der Tanz schwebender Elfen.
Die jungen Damen achteten nur wenig auf diesen Zauber aus Duft, Klang und Glanz, denn sie waren aus ihren eigenen Wohnungen an solche Dinge längst gewöhnt. Dagegen erwarteten sie ungeheuer neugierig die Vorführung der alten Hüttenbewohnerin, von der Leila – als beste Freundin der Tochter von Nummer 50000 musste sie natürlich immer etwas Besonderes wissen – sofort zu erzählen begann.
»Kommt sie?« fragte Dalila gespannt und sah ungeduldig auf ihren Uhrring.
»Wir werden sie sicher nicht verstehen!«, klagte Sonja. »Meine Mutter sagt, sie knurren und grunzen wie Lais!« Und sie zerzauste ihre kleine Seidenlöwin, die bisher zwischen den Polstern geschlafen hatte, bis diese erzürnt zu fauchen begann.
»Ach, es ist so langweilig mit dieser modernen Erziehung«, stimmte nun auch Lilith ein, »stell dir vor, Aïne, ich musste heimlich zu dir kommen! Mein Vater hält es für äußerst unanständig, eine Hüttenbewohnerin anzusehen. Er sagt, sie kleiden sich in Tierhäute und leben mit Tieren unschicklich zusammen.« Aïne streichelte die kleine, misshandelte Lais, die ihr faustgroßes Köpfchen beruhigt auf die beschnittenen Pfötchen bettete, um weiterzuschlafen.
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