Heinz Zschech - Ostexpress in den Westen

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Das Jahr 1968 hat nach wie vor eine magische Ausstrahlungskraft. Meist werden damit allerdings nur die Studentenunruhen im Westen gemeint. Aber auch im damaligen Ostblock passierten weitreichende gesellschaftliche Veränderungen, wie vor allem in der Tschechoslowakei. Ähnlich waren in Russland die Bevölkerung und auch hier die Studenten sehr politisiert.
Mitten in diese Welt kommt der DDR-Bürger Martin Sarodnick, der in Moskau Film studieren will. Er gerät in eine faszinierende Untergrund-Bewegung aus vielen jungen Leuten mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Eigentlich will er dort bleiben, aber schließlich erregt er bei einem Filmfestival einen Skandal. Danach beginnt eine abenteuerliche Odyssee durch den Ostblock mit vielen skurrilen und erotischen Episoden.

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INHALT

IMPRESSUM 6 IMPRESSUM Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten. © 2022 novum publishing ISBN Printausgabe: 978-3-99130-037-3 ISBN e-book: 978-3-99130-038-0 Lektorat: Tobias Keil Umschlagfoto: Esebene, Taiga, Inara Prusakova, Tevarak11 | Dreamstime.com Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh www.novumverlag.com

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-037-3

ISBN e-book: 978-3-99130-038-0

Lektorat: Tobias Keil

Umschlagfoto: Esebene, Taiga, Inara Prusakova, Tevarak11 | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

VOM KOPF

1

Fensterkreuzfäden aus Rost und Beton zielen unter der Sonne auf Mittag, und der Staub tanzt mit den Tränen, die wie Perlen kristallen sich drehen. Verlegen malt der Bahnhof die Stadt ohne Farbe und stellt Girlanden und Fahnen anstelle. Blusen blähen sich auf dem Steig, Gesichter drängen, singen und weinen. Irgendwohin plagt die Musik. Unter den Kindern reißt ein Chor Lieder vom Kai, und sein Führer verschweißt aufgewühlt in der Menge mit dem Blau seines halboffenen Hemds. Auf den Gleisen der Zug – Zug um Zug mit einem Bändchen bespannt:

„Sondertransport Berlin–Moskau–Studentenver…“, und auf der anderen Seite ist das weiter unbeachtet vom Winde verweht. In den Wagons rutschen die Scheiben nieder wie wohlweislich entglittene Brote, und belegte Rufe fliegen zu Eltern, Verwandten, Geliebten geschmiert. Eine Jacke schüttelt sich spannungsgeladen, voll von scheckigen Orden behängt, und ihr Träger redet von Auftrag, Ehre und Pflicht. Das Mikrofon versteuert sich leicht. Eine Fernsehkamera surrt, und der Redakteur stellt sich die Gruppen ins Licht. Die Eltern erzählen von Kindern, die Kinder von sich.

„Freundschaft-Völkerverbund …“ – „Immer bereit!“ –

Gleich einer welken Mauer bröckelt das Echo, und die Getroffenen rühren sich warm. Dann drückt sich ein Offizier in die Einstellung groß. Hände schütteln Hände wie reife geschwollene Früchte, und Blumen fallen ins Bild. Die Musik salutiert wieder Ohrenlauthals. Ihre Fetzen stoßen gegen das Dach aus der Hülle von Stahl und mischen mit dem Lärm von den Zügen, den Lautsprecherhöhen und dem Stöhnen der Karren Gepäcks. Allein der Himmel scheint lautlos verschmiert.

Humpelig schürfen zwei Koffer die Treppe hinauf, und der Junge an ihnen tut sich schwer die Menschen zur Seite zu wühlen. Eire Rotblonde dahinter schiebt ihn weich in den Rücken.

„Los doch, Beeilung!“, kommandiert ihr der Junge.

„Verzeih! – Deine Hand!“ – Der Bahnsteig, die Leute.

„Welcher Waggon?“

„Der dritte!“ Die Rote schaut nach dem Atem.

„Hier! Endlich.“ – Er fächert in den Korridor mit den Koffern, stellt sie breit auf die Plätze und schleppt sich wieder leer auf den Steig. „War knapp“, sagt er, rundet einen Blick über die Menge und Fahnen, über die Köpfe – im Windzug geschmückt –und zwinkert einem Mädchen ins Auge, das sich weit hinauslehnt zur Schau. Aber es macht ihn nicht sicher mit mal Er haspelt im Wort und verkürzt zu dem Schluss: „Ganz aufgeregt ist man ja schon.“ – Doch die mit dem Farbenhaar Sonne hat nichts gemerkt, bemerkt nur die Tränen um sich, und sie reibt im Gesicht: Die Tusche läuft ihr von den Wimpern und verwischt die Sprossen vom Sommer mit zu. „Ich komme bald wieder …“, heilt sein Trost in dem Lärm. „Vielleicht schon Oktober – oder … Du kommst nach Moskau …“ Er umarmt sie wie alle umarmen: verwandt und bekannt.

„Ach, Liebe …“, fällt ihm Gott sei Dank ein. Dann trennt er sich abrupt von ihr und zieht fix das blaue Hemd über: „Hätte ich beinah vergessen! – Wir müssen doch alle …“ – Das Mädchen hatte es schon vorher gründlich gebügelt.

„Zum Sonderzug … einsteigen! Türen schließen!“

Das letzte Hetzen beginnt, und die Rotblonde heult mit den Rudeln. Der Junge kennt keinen Rat. Was sollte er tun? „In Kürze … Petra, nicht weinen! Ich denke … wir denken …“ Der Zug stößt sich ab, und die Musik stampft mit den Rädern, den Bräuten, den Müttern. Das Schluchzen wird frei. Wagen und Wagen rollen wie ein Film, verschwommen und trüb. Die Hände sind nur noch Zeichen und Schläge. Vergeblich freilich klammern sie sich an dem Bahnsteige dicht, denn sie gehen mit der ersten Biegung unter am Gleis. Es ist Abschied, ist Abstand und Wiedererlangen. So rollt der Zug in die Formen dahin.

„Wozu? Warum das Fort und die Unrast? Warum dieses Rad?“ – Gedanken spalten in Wehe, und die Weite schmilzt sich in Einsamkeit um. Ungewiss wie die Augen, die dunkelgrund Signale vorholen, sind Martin Sarodnicks Fragen. Indes, im Mund bleibt ein Lächeln verspielt. Er wechselt vom Schaden in Freude – der Weg ist gemacht, er ist auf der Strecke. Alles andere ist lange zurück. Ein paar Nachwehen bleiben, wie das Knie, das bepackt ist mit Bändern aus Mull. Darunter ruhen der Schmerz und ein Sommer.

Im Waggon drei schweben Gespräche und Nachsicht. Namen fallen ins Spiel. „Dieses Bohren und Brennen!“ – Er hätte Arzt werden sollen, wie es der Vater gedacht, der bis heut’ noch böse sich gibt und die Absage, den Trotz nicht verzieh. „Der Arzt wüsste Bescheid.“ – So ist das Knie. Und die Schmerzen. Und so waren die Ferien gemischt, die letzten mit Petra: ein Sommer am Meer, ein Zeltsommer auf kieseligem Sand mit Schaum in den Haaren und Wind. „Als ob das Nichts dieses Sommers den Schmerz retten kann!“ – Oder gilt er als letzter Stein in den Fragen? Darf ein Sturz mit dem Krad in den Graben mit überdrehendem Tempo den Abschied nicht abhalten können? „Glück gehabt, es hätte schlimmer sein können!“ – Schlimmer für wen? Für Petra bestimmt nicht, sondern wäre nur ein Verzögern für sie, eine Hoffnung auf Bleiben, gar auf „Zu-Hause-Verblieben“. Hatte sie ihm nicht schon die Ringe in der Auslage in Leipzig gezeigt? Er hatte dazu nur ironisch gelacht: „Wie komisch die aussehen: dickgebogen und Gold!“ – Rot war sie dabei geworden, verstand nicht den Spaß und sprach nie wieder darüber. „Also wird es ein später noch geben.“ Für Petra. Und für Sarodnick auch? –

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