1. Die GoA ist hier öffentlich-rechtlich, da die Wahrnehmung von Aufgaben nach dem Tierschutzgesetz dem Staat obliegt, hier dem Lankreis Y.
2. Die analoge Anwendung der §§ 677 ff BGB im öffentlichen Recht ist zulässig, wenn abschließende Spezialvorschriften fehlen. Hier sind spezialgesetzliche Regelungen nicht ersichtlich.
3. Der Tierschutzverein muss eine Maßnahme ausführen, die als Geschäft des Landkreises einzuordnen ist. Dabei darf kein Einsatz spezifisch hoheitlicher Befugnisse erforderlich sein. Es bestünde sonst die Gefahr, dass die staatliche Monopolstellung durch das Einschreiten des Privaten unterlaufen würde. Die Unterbringung des Hundes durch den Tierschutzverein begegnet trotz der Zuordnung der Tierschutzaufgaben zur Eingriffsverwaltung keinen Bedenken. Denn dem für den Tierschutz zuständigen Verwaltungsträger steht es grundsätzlich frei, sich des Tiers selbst anzunehmen oder es bei einem privaten Dritten in Obhut zu geben. Es handelt sich auch nicht um ein Geschäft der Stadt X. Denn deren Ordnungsbehörde wäre als Fundbehörde lediglich dann zuständig, wenn es sich bei dem Hund um eine Fundsache handelte. Nach den Feststellungen der Polizei ist der Hundehalter jedoch noch am Abend zum Parkplatz zurückgekehrt[35].
4. Die vom Privaten ausgeführte Maßnahme muss im öffentlichen Interesse liegen. Hier hätte die zuständige Behörde die Aufgabe wahrnehmen können; sie war dazu nicht bereit. Der entgegenstehende Wille des Geschäftsherrn ist nach § 679 BGB analog dann unbeachtlich, wenn ohne die Geschäftsführung eine im öffentlichen Interesse liegende Pflicht des Geschäftsherrn nicht rechtzeitig erfüllt werden würde. Ein „öffentliches Interesse“ an einer auftraglosen Geschäftsführung Privater für eine Behörde ist begründet, wenn der Schutz individueller Rechtsgüter sie erfordert. Zwar kann ein Privater grundsätzlich auf die Geltendmachung von Beschwerden und Rechtsmitteln verwiesen werden; zudem ist ein der zuständigen Behörde zustehendes Ermessen zu berücksichtigen[36]. Anders verhält es sich jedoch, wenn eine besondere sachliche und zeitliche Dringlichkeit vorliegt. Hier bildete die Versorgung durch den Tierschutzverein die einzige Alternative zur Versorgung durch das Veterinäramt[37].
5. Dem Tierschutzverein steht der geltend gemachte Anspruch aus einer öffentlich-rechtlichen GoA gegen den Landkreis zu.
Ausbildungsliteratur:
Ehlers, Rechtsprobleme der Nutzung kommunaler öffentlicher Einrichtungen, JURA 2012, 692 und 849; Glasmacher, Die Leiden einer Katze (Fallbearbeitung), JURA 2014, 526; Hebeler, Anwendbarkeit von § 680 BGB im Rahmen des Amtshaftungsanspruchs bei unterlassenen Erste-Hilfe-Maßnahmen durch einen Lehrer, JA 2019, 638; Oechsler, Die öffentlich-rechtliche Geschäftsführung in den Tierfundfällen, JuS 2016, 215; Waldhoff, Öffentlich-rechtliche und privatrechtliche GoA, JuS 2016, 1010; ders., Anschluss- und Benutzungszwang durch bundesrechtliche Regelung, JuS 2017, 711.
§ 19 Schlichtes Verwaltungshandeln
830
Fall 24:
Die zuständige Behörde möchte eine Bundesfernstraße verbreitern. Sie benötigt dazu einen 3 m breiten Streifen Land des A. Dieser verweigert den Verkauf des Lands. Daraufhin weist die Enteignungsbehörde den Träger der Straßenbaulast vorzeitig in den Besitz des Lands ein. Der Straßenbaulastträger beginnt mit den Bauarbeiten, indem er einen Zaun, der das Grundstück des A umschließt, abreißt. Ist dieses Vorgehen rechtmäßig? Rn 839
831
Der VA zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass er eine Regelungswirkung aufweist (s.o. Rn 308 ff). Die öffentliche Verwaltung kann aber bei der Behandlung eines Einzelfalls auch ohne Regelungswirkungtätig werden. Das damit umschriebene schlichte Verwaltungshandeln bildet zugleich den Oberbegrifffür Realakte einerseits und Verwaltungsentscheidungen ohne Regelungsgehalt andererseits, zu denen insbes. Wissenserklärungen gehören[1]. Teilweise wird insoweit allerdings umgekehrt der Begriff des Realakts als Oberbegriff gewählt unter Einbeziehung der Wissenserklärungen sowie des informellen Verwaltungshandelns[2].
832
Realaktesind Tathandlungen. Unter diesem Begriff fasst man alle Handlungen zusammen, die nicht auf einen Rechtserfolg, sondern auf einen tatsächlichenErfolg gerichtet sind. Das Fehlen des Rechtserfolgs ist der entscheidende Unterschied zum VA sowie zum örV. Aber auch Maßnahmen im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung sind teilweise als Realakte einzustufen (s.o. Rn 704, 707).
Beispiele:
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Auszahlung eines Geldbetrags; |
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Fahrt mit dem Dienstfahrzeug; |
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Errichtung eines Verwaltungsgebäudes; |
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Abriss eines Hauses; |
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Durchführung einer Videoüberwachung[3]; |
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Durchführung einer Akteneinsicht[4]; |
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Anwendung eines Zwangsmittels; |
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der sofortige Vollzug. |
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Zu den Wissenserklärungengehören Informationen, Auskünfte und ähnliche Maßnahmen, mit denen die öffentliche Verwaltung das Verhalten der Bürger oftmals indirekt steuert[5]. Von diesen Wissenserklärungen haben „behördliche Warnungen“ eine besondere Aktualität erreicht. Ihr Anwendungsbereich ist etwa im Umweltrecht zu finden[6].
Beispiele
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Veröffentlichung einer Liste mit glykolhaltigen Weinen durch das Bundesgesundheitsamt[7]; |
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Warnung vor angeblich verdorbenen Teigwaren durch das Regierungspräsidium Stuttgart[8]; |
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Warnung vor sog. Jugendsekten[9]; Hinweis auf Schadstoffe im Trinkwasser[10]; |
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Veröffentlichung sog. „Transparenzlisten“[11]. |
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Ebenfalls nicht auf einen Rechtserfolg zielt ein Handeln ab, das sich zwischen Staat und Bürger abspielt und das heute „informales“ oder „informelles“ Verwaltungshandelngenannt wird. Dieses Handeln ist Folge einer Kooperation zwischen Staat und Bürger. „Informelles“ Verwaltungshandeln zeigt sich zB in Aushandlungsprozessen oder in Absprachen über mögliche Inhalte von VAen. Das gibt es vor allem im öffentlichen Wirtschaftsrecht, Umweltrecht und Steuerrecht[12].
Beispiele:
Verhandlungen im Vorfeld von Genehmigungsverfahren; Übereinkommen mit dem Versprechen, rechtswidrige Zustände zu beseitigen, um behördliche Eingriffe zu vermeiden; Verständigungen im Steuerrecht über die Höhe der zu zahlenden Steuer bei schwierigen Sachverhaltsfragen.
835
Eine gewisse Nähe zum informellen Verwaltungshandeln weisen schließlich die Fälle der Konfliktmittlung oder Mediationauf ( § 2 Abs. 2 S. 3 Nr 5 der 9. BImSchV, § 4b BauGB)[13]. Unter Mediation versteht man die freiwillige und eigenverantwortliche Konfliktbeilegung durch einen neutralen, von den Beteiligten einvernehmlich bestellten Dritten[14]. Die Mediation ist zwar ebenso wie der örV konsensorientiert und beinhaltet eine Bindung an das gewonnene Mediationsergebnis. Regelmäßig ist diese Bindung aber nur faktischer Natur, da ein entsprechender Rechtsbindungswille fehlt[15]. Die Bindungswirkung kann bei Vorliegen eines entsprechenden Rechtsbindungswillens aber auch vertraglicher Natur sein[16]. Auch im Verwaltungsrecht findet die Mediation zunehmend Verbreitung[17].
II. Anforderungen an die Rechtmäßigkeit
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Wie jedes staatliche Handeln muss auch schlichtes Verwaltungshandeln mit dem geltenden Recht in Einklangstehen[18]. Das für den VA Gesagte gilt auch für sie. Die Behörde muss deshalb für die Vornahme der Handlung zuständig sein. Zuständigkeitsprobleme haben sich insbes. ergeben bei Warnungen der Bundesregierung im Umweltbereich[19]. Wenn das Verwaltungsrecht weitere Anforderungen an die Rechtmäßigkeit stellt, sind diese Anforderungen einzuhalten[20]. Allerdings ist die Regelungsdichtebeim schlichten Verwaltungshandeln weitaus geringerals etwa bei VAen. Aber auch dann findet das schlichte Verwaltungshandeln seine Rechtmäßigkeitsgrenzen in den Grundrechten und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Grenze jeden staatlichen Handelns[21]. Ebenfalls hat der Grundrechtsschutz Betroffener eine große Rolle gespielt. Mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann gesagt werden, dass manchmal ein Verbot eines Produkts weniger einschneidend ist als eine öffentliche Warnung; die öffentliche Warnung hat für das das Produkt herstellende Unternehmen sehr häufig einen schweren Nachfrage- und Imageverlust zur Folge.
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