Anhand dieser Typologie konnten Manager auf völlig neue und originelle Weise die Dynamik ihres Unternehmens analysieren und die durch die Kultur begründeten Verhaltensweisen, Vorurteile und Überzeugungen verstehen. Bald wurde jedoch deutlich, dass sich das Verhalten in Organisationen aufgrund ihrer Größe und vielfältigen Zusammensetzung im Lauf der Zeit verändert. Die meisten Firmen stehen unter innerem und äußerem Druck und passen sich daher laufend auf ungeplante und unvorhersehbare Weise an und verändern sich.
Komplexität in jeder Ebene
Komplexität wird oft an der Zahl der Länder gemessen, in denen ein Unternehmen vertreten ist, oder an der Zahl Marken, für die ein Manager verantwortlich ist. Diese Komplexität der Institution ist zwar nicht unbedeutend, aber sie verblasst im Vergleich zu der der einzelnen Mitarbeiter. Was einen Angestellten ein Jahr lang motivierte, ist womöglich im folgenden Jahr nicht mehr wichtig für ihn. Da eine Firma oft Tausende von Mitarbeitern hat, ist klar, dass die vier Stile in Handys Buch nicht ausreichen, um die Komplexität in Unternehmen ausreichend zu erfassen.
Später beschrieb Handy die Shamrock-Organisation – eine flexible Organisation aus festen Mitarbeitern, Outsourcing-Personal und flexiblen externen Mitarbeitern. Diese drei haben verschiedene Verpflichtungen gegenüber der Firma und jeweils andere Motivationen. Die Leitung hat die Aufgabe, die unterschiedlichen Mitarbeiter auf ein gemeinsames Ziel auszurichten.
Die Organisationsdynamik ist wichtig, weil sie sich um die Menschen dreht, aber Typologien reichen zu ihrem Verständnis nicht aus. Jeder Mitarbeiter betrachtet die Firma anders und muss anders motiviert werden. Der Unternehmer Tom Northup sagte einmal, dass Führungskräfte nicht vom Himmel fallen. Dennoch wäre gottähnliche Allwissenheit ein sehr hilfreiches, wenn auch unerreichbares Ziel. 
Charles Handy
Professor Charles Handy (geb. 1932) ist der bekannteste britische Management-Guru. Nach dem Studium an der Universität Oxford ging er 1965 an das Massachusetts Institute of Technology, wechselte aber 1967 an die London Business School (LBS) und leitete dort das einzige Programm der Sloan School of Management außerhalb der USA. Handy ist berühmt für seine deutliche Ausdrucksweise und seine provokativen Vergleiche – z. B. in dem Buch Die Fortschrittsfalle . Dort geht er sehr streng mit den unpersönlichen Mechanismen in Unternehmen ins Gericht. Er selbst betrachtet sich nicht als Guru, sondern als Sozialphilosoph, und seine Schriften nicht als Handbücher, sondern als Kommentare, obwohl seine Ansichten die Forschung seit Jahrzehnten beeinflussen.
Hauptwerke
1976 Understanding Organizations
1978 Management-Stile
1994 Die Fortschrittsfalle
EINE FÜHRUNGSKRAFT KENNT DEN WEG, WEIST DEN WEG UND GEHT MIT
EFFEKTIVE FÜHRUNG
IM KONTEXT
SCHWERPUNKT
Führung
WICHTIGE DATEN
1520er-JahreDer italienische Diplomat Niccolò Machiavelli schreibt in seinem Buch Der Fürst über die Gefahren für Führungspersönlichkeiten in der Politik.
1916In dem Werk Administration Industrielle et Générale definiert Henri Fayol Führungskräfte: Sie haben Mut zur Verantwortung und leben ihren Mitarbeiter dies vor.
um 1950–1970Es herrscht ein autoritärer Managementstil (Befehl und Kontrolle) vor. Charismatische Führungspersönlichkeiten dominieren die Organisationen.
um 1980–2000Leadership-Vordenker wie Warren Bennis rufen zu einer Führung auf, die auf Integrität, Vertrauen und der Fähigkeit, Veränderungen umzusetzen, beruht.
Seit Jahrhunderten versuchen Forscher, einen bestimmten Stil sowie typische Eigenschaften und Charakterzüge guter Führungspersönlichkeiten zu bestimmen. Wie effektive Führung auszusehen hat, ist trotz vieler Studien umstritten, nur in einem Punkt herrscht weitgehend Einigkeit: Sie erfordert nicht nur Intelligenz, sondern auch Tatkraft.
Führungskräfte können sich nicht allein auf ihr Charisma verlassen. Zwar ist diese Eigenschaft nützlich – Henry Ford etwa war für seinen charismatischen Stil berühmt –, aber häufig stimmen die Worte und Taten dieser Menschen nicht überein. Starke Führungskräfte übergeben ihren Mitarbeitern kaum Verantwortung. Sie kontrollieren zu sehr, sodass die Mitarbeiter ihre Arbeit als unbefriedigend empfinden. Zudem wird der Erfolg der Organisation oft allein der Führung zugeschrieben. Dies kann sich dann als Fluch entpuppen, wenn eine Führungskraft eine Lücke hinterlässt, die niemand füllen kann. Es ist wohl schmeichelhaft, als Held gefeiert zu werden, aber echte Führungspersönlichkeiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Fähigkeit der Organisation stärken, sich laufend zu verändern. Darauf beruht dauerhafter Erfolg.
Persönliches Engagenmentin allen Bereichen bis hin zur Fertigung ist für effektive Führung wichtig. Daher lässt sich Ghosn regelmäßig bei allen seinen Mitarbeitern sehen und hält Kontakt.
Gute Führungskräfte strahlen Selbstsicherheit aus und sind offen und empathisch. Sie wecken die Fähigkeiten anderer Menschen, indem sie mit ihnen arbeiten, sprechen, ihnen zuhören, sie weiterentwickeln und Vertrauen aufbauen. Sie erlangen ihre Glaubwürdigkeit nicht durch Herrschaft, sondern durch Kooperation. Doch vor allem müssen sie die Kunst beherrschen, andere zu Leistungen zu befähigen.
Einer der effektivsten Unternehmensführer ist derzeit Carlos Ghosn, der CEO von Renault und Nissan. Ein Jahr nach seiner Ernennung 1999 war Nissan wieder rentabel. Der Firma gelang eine der dramatischsten Kehrtwendungen in der jüngeren Geschichte, dieser Erfolg wird Ghosn zugeschrieben.
Als effektive Führungskraft vertritt Ghosn die Überzeugung, dass Führung »durch praktische Arbeit« erlernt wird. Als CEO besuchte er alle Betriebe und schüttelte jedem Mitarbeiter persönlich die Hand. Auch heute sieht man ihn noch oft in der Fertigung. Ghosn ist davon überzeugt, dass Integrität und Vertrauen nur entstehen, wenn Führungskräfte mit den Arbeitern in Kontakt bleiben und sich auch »die Hände schmutzig machen«.
Führungskräfte müssen eine starke Vision kommunizieren, vor allem geht es jedoch darum, den Mitarbeitern eigene Entscheidungen zu erlauben. In großen, diversifizierten Organisationen kann und darf der Leiter nicht alles entscheiden. Vielmehr muss er andere in die Lage versetzen, Veränderungsbedarf zu erkennen und Neuerungen umzusetzen. Der Erfolg von Nissan beruht nach allgemeiner Ansicht auch darauf, dass Ghosn interkulturelle Teams führen kann. Ghosn selbst sagt, dass zum Führen das Zuhören und Mitfühlen gehöre. Dies bezieht er auf alle Mitarbeitern, insbesondere auf die aus anderen Ländern und Kulturen.
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