Schwarzschwanz-Präriehundein Wyoming (USA) halten bei ihrem Bau in einem Feld Ausschau. Forschungen zeigten, dass sie eine Schlüsselrolle bei der Förderung der Biodiversität haben.
Die Präriehunde des Mittleren Westens der USA sind ein gutes Beispiel für eine Schlüsselart, deren Einfluss auf ihrer Bautätigkeit beruht. Riesige Kolonien dieser Erdhörnchen graben Tunnelnetzwerke unter dem Grasland der Prärie. Sie schlafen in den ausgedehnten Bauten, ziehen dort ihre Jungen auf und verwandeln dabei ihre Umgebung.
Durch ihr ständiges Graben lockern die Nagetiere den Boden auf, sodass Nährstoffe und Wasser tiefer eindringen, als es sonst der Fall wäre. Der feuchte, nährstoffreiche Boden fördert eine Vielzahl von Pflanzen, Vögel wie der Bergregenpfeifer fressen und brüten im kurzen Gras. Prädatoren wie Königsbussarde und Schwarzfußiltisse finden Beute, Iltisse und Tigersalamander nutzen die Erdhöhlen der Präriehunde als Unterschlupf. Es ist nachgewiesen, dass fast 150 Pflanzen- und Tierarten von den Präriehundkolonien profitieren. Zwar gibt es auch »Verlierer« (vor allem Wirbeltiere, die eine hohe Vegetation bevorzugen), doch insgesamt erhöhen die Präriehunde die Artenvielfalt. Stirbt eine Kolonie aus, wird das Kurzgras von Mesquitesträuchern verdrängt, die Bergregenpfeifer verschwinden und die Zahl der Prädatoren sinkt.
Der Gestreifte Papageifisch der Karibik ist eine weitere Schlüsselart, in diesem Fall wegen seiner Ernährungsweise. Er lebt in Korallenriffen, wo die Korallen um Licht, Nährstoffe und Platz konkurrieren. Der Fisch reinigt die Oberfläche der Korallen und frisst eine Algenschicht ab. Würde er das nicht tun, würden die Korallen überwuchert werden und ersticken, das Riff würde chemische Schäden davontragen. Würde der Papageifisch durch Überfischung oder Krankheiten aussterben, dann würde sich der Zustand der Riffe schnell verschlechtern.
In den Savannen Afrikas werfen Elefanten kleine und mittelgroße Bäume zum Fressen um, was die Savanne als Grasland erhält und neue Flächen aus Waldgebieten entstehen lässt. Dieses Verhalten trägt dazu bei, den Lebensraum für Weidegänger wie Zebras, Antilopen und Gnus zu erhalten. Es hilft indirekt auch Prädatoren wie Löwen, Geparden und Hyänen, die diese Weidetiere jagen, und kleineren Säugetieren, die Bauten im Erdreich anlegen. Ohne die Elefanten würden diese Tiere bald verschwinden. Elefanten sind zudem für die Verbreitung von Pflanzen wichtig: Unverdaute Samen werden weit transportiert und mit dem Kot ausgeschieden. Bis zu einem Drittel aller westafrikanischen Baumarten brauchen Elefanten, um ihre Samen zu verteilen. Elefanten graben auch und sichern dadurch Wasserlöcher, die vielen anderen Arten nutzen.
Die im Wald lebenden Asiatischen Elefanten haben eine ähnliche Rolle. In Südostasien brechen sie durch Lücken und Lichtungen und eröffnen so das Blätterdach. Neue Pflanzen, die an den unbeschatteten Stellen nachwachsen, erhöhen die Pflanzenvielfalt und tragen dazu bei, dass dort auch mehr Tierarten gedeihen.
Reviere der Wolfsrudel in Yellowstone
Jedes Wolfsrudelim Yellowstone-Nationalpark hat sein eigenes Revier, viele überlappen sich. Die Anzahl der Wölfe schwankt von Jahr zu Jahr, 2016 wurden 108 Tiere gezählt.
Der Seeotter ist ein Meeressäugetier in den pazifischen Küstengewässern Nordamerikas. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde er intensiv wegen seines Fells gejagt. Im frühen 20. Jahrhundert waren diese Tiere in einigen Gebieten völlig ausgerottet, man schätzte ihre damalige Gesamtpopulation auf weniger als 2000 Individuen. Seit 1911 hat der gesetzliche Schutz zu einer langsamen Zunahme geführt.
Seeotter sind wichtig, weil sie eine große Menge Seeigel fressen. Diese auf dem Meeresboden lebenden Wirbellosen grasen an den Stängeln, mit denen der Seetang am Boden verankert ist, sodass die Pflanzen wegtreiben und sterben. Mit dem Tang verschwinden aber auch viele andere wirbellose Meerestiere, die ihn abgrasen. Tangwälder nehmen außerdem große Mengen Kohlendioxid auf und schützen Küsten vor Sturmfluten, weil sie Wasserströmungen bremsen. Der Schutz, den die Seeotter dem Tang gewähren, ist an offenen Küstenabschnitten also besonders wichtig.
»Jede Art der Küstenzone wird in der einen oder anderen Form durch die ökologischen Wirkungen von Seeottern beeinflusst. «
James EstesUS-amerikanischer Meeresbiologie Interview, The Guardian , 2016
Anders als Seeotter sind einige Schlüsselarten zugleich Spitzenprädatoren, also Räuber an der Spitze der Nahrungsketten, etwa der Wolf. Vor 1995 hatte es seit mindestens 70 Jahren im Yellowstone-Nationalpark keine Wölfe gegeben. Wapitis (aus der Familie der Hirsche) waren häufig, aber es gab nur eine Biberkolonie. 1995 wurden 31 Wölfe im Nationalpark ausgesetzt. 2001 war ihre Zahl auf über 100 angestiegen, vor allem dank der reichlich vorhandenen Wapitis als Beute.
Die Wölfe brachten die Wapitis in Bewegung. Statt die Weiden, Espen und Pappeln an bevorzugten Orten zu überweiden, mussten sie wandern, sodass sich die Pflanzen erholen und anderen Tieren Nahrung bieten konnten, beispielsweise dem Biber. Nach zehn Jahren hatte sich die Zahl der Biberkolonien auf neun erhöht. Biberdämme tragen dazu bei, Feuchtgebiete zu beleben. Mehr erlegte Wapitis nutzten auch den Aasfressern, darunter Coyoten, Rotfüchse, Grizzlybären, Steinadler, Raben, Elstern und kleinere Tiere.
Jaguare sind die Spitzenprädatoren in süd- und mittelamerikanischen Wäldern und jagen mehr als 85 Beutearten. Zwar gibt es pro Fläche nur sehr wenige Jaguare, aber ihr Einfluss auf andere Räuber – etwa Kaimane, Schlangen, große Fische und Vögel – sowie auf Pflanzenfresser wie Capybaras (Wasserschweine) und Hirsche ist von oben nach unten auf das gesamte Ökosystem erheblich. Ohne diese Kontrolle würden die Pflanzenfresser die meisten Pflanzen stark verringern und das Habitat zerstören, von dem so viele Arten abhängen.
Nicht alle Schlüsselarten sind Tiere. Ein Beispiel ist der Feigenbaum, von dem es etwa 750 Arten gibt und der vor allem in Tropenwäldern vorkommt. In diesem Lebensraum haben die meisten Pflanzen mit fleischigen Früchten ein oder zwei Reifeperioden im Jahr. Feigen dagegen tragen ganzjährig Früchte und ernähren so viele Tiere, wenn andere Bäume fruchtlos sind. Über 10 % aller Vogelarten und 6 % der Säugetierarten (zusammen 1274 Arten) fressen Feigen, zudem ein paar Reptilien und sogar Fische. Feigen sind also eine essenzielle Nahrungsgrundlage für viele fruchtfressende Lebewesen. Flughunde, Vögel und andere Arten sind auf sie angewiesen. 
»Durch den Schutz einer Schlüsselart wie des Präriehunds könnte man die Öffentlichkeit über den Wert der Erhaltung von Ökosystemen aufklären. «
Brian MillerUS-amerikanischer Ökologe The Prairie Dog and Biodiversity , in: Conservation Biology , 9/1994
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