»Es gibt gegenseitige Hilfe bei vielen Arten. «
Pierre-Joseph van BenedenBelgischer Zoologe Über das soziale Leben niederer Tiere (Vortrag), 1873
Nicht an allen mutualistischen Wechselbeziehungen sind Pflanzen beteiligt. In Afrika praktizieren Madenhacker, eine Vogelgattung, und weidende Säugetiere wie Antilopen und Zebras eine andere Form des Dienstleistung-Ressourcen-Mutualismus. Die Madenhacker sammeln Zecken und Insekten aus dem Fell, die die Säugetiere reizen oder krank machen, und haben so eine gute Mahlzeit. Die Vögel geben zudem Rufe ab, wenn Gefahr droht, und warnen das Säugetier und zugleich die anderen Madenhacker.
Zwischen Ameisen und Blattläusen besteht eine andere Form dieses Mutualismus. Dabei werden die Blattläuse von den Ameisen geschützt. Die Blattläuse geben eine nahrhafte Substanz ab, den Honigtau, den die Ameisen »melken«, indem sie die Blattläuse mit ihren Antennen streicheln.
Dienstleistung-Dienstleistung-Mutualismus, bei dem sich die Partner gegenseitig schützen, tritt weit seltener auf, doch es gibt ihn: Eine ungewöhnliche Beziehung besteht zwischen etwa 30 Arten von Clownfischen und zehn Arten giftiger Seeanemonen im Pazifik. Die stechenden, mit Gift gefüllten Nesselzellen auf den Tentakeln der Seeanemone töten die meisten kleinen Fische, die ihr zu nahe kommen, aber nicht die Clownfische. Deren dicke Schicht aus schützendem Schleim macht die Haut gegen die Nesseln unempfindlich, sodass die Fische zwischen den Tentakeln leben können. Im Austausch für den Schutz durch die giftige Anemone vertreibt der Clownfisch räuberische Falterfische, entfernt Parasiten von der Anemone und liefert durch seinen Kot Nährstoffe.
Derartige Beziehungen zwischen Arten haben sich über Jahrmillionen durch die sogenannte Koevolution entwickelt: die gemeinsame Evolution zweier oder mehrerer Arten, die sich gegenseitig beeinflussen.
Der Begriff »Koevolution« wurde 1964 von den US-Amerikanern Paul Ehrlich und Peter Raven geprägt, doch schon ein Jahrhundert zuvor hatten Charles Darwin und Alfred Russell Wallace das Prinzip erkannt, als sie Orchideen erforschten. Wie viele andere Blütenpflanzen brauchen auch sie Insekten zur Bestäubung. Einige haben ausgeklügelte Strukturen, die Pollen und den nahrhaften Nektar enthalten, der die Insekten anzieht. Das beschäftigte Darwin, als er 1862 ein Exemplar des Sterns von Madagaskar erhielt. Diese Orchidee hat einen hohlen Sporn an der Blüte, der fast 30 cm lang ist und den Nektar enthält. Darwin und Wallace spekulierten, dass nur eine große Motte mit einem langen Rüssel den Nektar erreichen kann – dies wurde im Jahr 1997 bestätigt. Wäre der Sporn kürzer, könnte die Motte Nektar trinken, ohne Pollen aufzunehmen, sodass sie die Blüte nicht bestäuben würde. Wäre der Sporn länger, würde die Motte die Blüte gar nicht erst besuchen. 
Clownfisch und Seeanemonekönnten ohne den gegenseitigen Schutz überleben, aber die durch Koevolution entstandene mutualistische Beziehung erhöht ihre Überlebenschancen.
Yuccas und ihre Motten
In den heißen, trockenen Regionen Amerikas gibt es eine bemerkenswerte mutualistische Symbiose zwischen Palmlilien (Yucca) und Yucca-Motten. Kein anderes Insekt bestäubt diese Stauden und keine andere Pflanze beherbergt die Raupen dieser Motte. Die weibliche Motte sammelt Pollen aus den Blüten einer Yuccapflanze und bringt ihn in die Blüten einer anderen Pflanze ein. Dann schneidet die Motte ein Loch in den Fruchtknoten und legt ein Ei – oder mehrere – hinein. Wenn die Raupen schlüpfen, ernähren sie sich von den heranwachsenden Samen, fressen aber nicht alle, sodass sich die Pflanze weiterverbreiten kann. Wenn zu viele Eier in eine Blüte gelegt werden, wirft die Pflanze sie ab, sodass die Raupen verhungern. Ohne die Motten würden die Pflanzen nicht bestäubt werden und aussterben. Ohne die Yuccas hätten die Motten keinen Ort, um die Eier zu legen und die Raupen zu ernähren, sie würden ebenfalls nicht überleben.
WELLHORNSCHNECKEN SIND WIE KLEINE WÖLFE IN ZEITLUPE
SCHLÜSSELARTEN
IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Robert Paine(1933–2016)
FRÜHER
1950erIn Kenia bringt der Bauer und Umweltschützer David Sheldrick Elefanten in den Tsavo-East-Nationalpark und stellt fest, dass die Artenvielfalt erheblich zunimmt.
1961Joseph Connells Freilandforschungen an den Felsküsten Schottlands zeigen, dass das Entfernen von Wellhornschnecken die Verteilung von Seepocken (ihrer Beute) beeinflusst.
SPÄTER
1994In den USA veröffentlicht eine Gruppe von Ökologen um Brian Miller eine Arbeit, die die nützliche Rolle der Präriehunde als Schlüsselart erklärt.
2016Nach Freilandstudien schließt Sarah Gravem, das Arten an manchen Orten Schlüsselarten sein können, an anderen nicht.
Als Schlüsselart wird eine Art bezeichnet, die eine Schlüsselrolle hinsichtlich der Funktion eines Ökosystems innehat, auch wenn sie selbst oft nur einen kleinen Teil der Biomasse ausmacht. Da sie die Umwelt überproportional beeinflusst, verändert sich ein Ökosystem dramatisch, wenn sie verschwindet. Die Bedeutung von Schlüsselarten hat der US-amerikanische Biologe Robert Paine 1969 in dem Fachartikel A Note on the Trophic Complexity and Community Stability beschrieben, in dem er den Begriff keystone species einführte – abgeleitet vom Schlussstein (keystone) eines architektonischen Bogens, der dessen Einsturz verhindert.
In den 1960er-Jahren erforschte Paine einige Jahre lang die Gezeitenzone auf Tatoosh Island an der Pazifikküste des US-Staates Washington. Er entfernte dort den Ockerseestern und beobachtete, wie die Miesmuschel, seine Hauptbeute, dominant wurde. Sie verdrängte andere Arten, da sie nicht mehr durch den Seestern kontrolliert wurde. Das Entfernen einer einzelnen Art, einer Schlüsselart, wirkte sich deutlich auf viele andere aus. Paine entwickelte diese Ideen weiter zum Konzept der »trophischen Kaskaden«: den starken Folgen, die sich von oben nach unten durch ein Ökosystem fortpflanzen. Seit Paines Arbeiten mit Seesternen konnten weitere Schlüsselarten identifiziert werden, die ihre Rolle auf ganz unterschiedliche Art füllen.
»Willst du einen Automechaniker, der … alle Teile des Motors benennen, auflisten und zählen kann, oder einen, der wirklich versteht, wie jedes Teil mit den anderen wechselwirkt und einen funktionierenden Motor bildet? «
Robert PaineNachruf, New York Times , 2016
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