„Alles okay?", schmunzelt er. Aber natürlich reicht es nicht, mich einfach nur zu fragen, ob ich okay bin. Nein, er muss mich unbedingt schon wieder anstupsen. Und dann lehnt er sich auch noch zu mir herab, sodass der wohlgeformte Mund gefährlich nahe an meinem Ohr schwebt: „Zu laut hier?"
Ich weigere mich, ihn anzusehen, und antworte nur mit einem kurzen Nicken. Einem steifen Nicken.
Und verdammt noch mal, er macht's schon wieder. Ich bekomme eine Gänsehaut, und als er mich ein drittes Mal anstupst, muss ich tief Luft holen.
„Weißt du, manchmal", setzt er an und beugt sich wieder zu mir herab, sodass er mir ins Ohr flüstern kann, „manchmal will ich sie alle in ein Zimmer einschließen, damit ich das alles für mich habe ..."
Erst, als er sich wieder aufrichtet, finde ich den Mut ihm zu antworten: „Dadurch würden sie bestimmt auch nicht weniger Lärm machen."
Er schaut mich an. Ich spüre es, dafür brauche ich nicht zu ihm aufzusehen.
„Da hast du auch wieder recht!", lacht er. „Was machen wir bloß mit ihnen?"
Jetzt muss ich ihn doch ansehen.
„ Wir ?"
Sein Lächeln ist verdammt heiß, als er nickt. „Wir sind doch die einzigen Erwachsenen hier, es ist unser Job, dass sie still sind. Wir wissen, dass sie die Klappe halten, wenn sie essen. Aber was machen wir bis dahin? Vielleicht können wir sie dazu verdonnern, den Einsatzwagen zu waschen?"
Ich drehe mich halb zu ihm um, und nach einer Weile zieht er die Augenbrauen hoch und wirft mir einen fragenden Blick zu. Ich lache überrascht. „Nein, ganz ehrlich, tut mir leid, dass ich dastehe wie eine Kuh vor einem roten Tor, aber für dein Alter benimmst du dich echt ..."
Runes schallendes Lachen übertönt meine Worte. Sogar die Anderen halten inne, um zu sehen, warum er kurz davor ist, sich vor Lachen auf den Boden zu schmeißen.
„Vor einem roten Tor!", keucht er. „Wie eine Kuh ... vor einem roten Tor ..."
Er ist völlig fertig vor Lachen.
„Ja!", erwidere ich, ein wenig pikiert darüber, dass er sich über mich lustig macht. „Hast du das etwa noch nie gehört? Das sollte man eigentlich meinen, in deinem Alter ..."
Mist, das war jetzt doch ein wenig unter der Gürtellinie. Aber er hat mich schließlich auch als Kind bezeichnet, vorhin vor meinem Bruder. Und ich bin kein Kind!
Er verstummt. Langsam dreht er sich zu mir um. Hastig drehe ich mich wieder zur Spüle und bete, dass ich den aufziehenden Sturm überlebe. Aber er steht nur da und glotzt mich an, viel zu lange. Zum Schluss kann ich mich nicht mehr zurückhalten und drehe mich zu ihm um, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Was?!"
Vielleicht gehe ich jetzt ein wenig zu sehr in die Offensive, aber das tue ich immer, wenn ich mich in unangenehmen Situationen befinde.
Er ist vollkommen verändert. Wie vorhin in der Halle, als sich unsere Blicke kreuzten. Die grünen Augen funkeln noch immer, aber anders. Als seien dunkle Wolken über ihm aufgezogen. Er sieht nicht aus, als sei er wütend über meinen Kommentar, nein, er sieht aus, als wolle er ... ja, als wolle er mich küssen.
Nein, dieses Mal bilde ich mir nichts ein. Langsam, ganz langsam, habe ich das Gefühl, wird der Abstand zwischen uns kürzer. Ich kann seinen Geruch identifizieren. Eine männliche Moschusnote, gemischt mit frischem Aftershave, das meine Gedanken auf schneebedeckte Bergzinnen lenkt. Nur kalt ist es hier nicht. Hier ist die Luft stickig. Warm. Viel zu heiß.
Plötzlich richtet er sich auf – oder hat er in Wirklichkeit die ganze Zeit so dagestanden? Er blinzelt mehrmals, als sei er aus einem Zustand der Hypnose erwacht. „Schaffst du den Rest allein?", fragt er mit heiserer Stimme.
Was? Was ist denn los mit ihm? Jetzt wirkt er schon wieder, als sei ihm jemand auf den Schlips getreten.
Es mag sein, dass Andere in ihm einen hühnenhaften, gefährlichen Muskelprotz sehen, bei seiner Größe und Statur, aber ich werde bestimmt nicht den Schwanz einziehen. Also erwidere ich kühl: „Nein, ich fürchte, das schaffe ich nicht. Du hast deine Hilfe angeboten, also hilf."
Er lächelt nicht. Er verzieht keine Miene. „Was soll ich machen?" Er kann mich nicht mal mehr ansehen.
„Deck den Tisch!", sage ich spitz und drehe mich wieder zur Spüle um.
Mehrmals stoßen wir fast zusammen, weil wir beide so schnell wie möglich arbeiten. Ich weiß nicht, warum er es so eilig hat, aber ich will das Ganze einfach nur überstanden haben, sodass ich ihn nicht mehr um mich haben muss. Bin ich wütend auf ihn? Ja! Oder ... Nein, eigentlich wohl nicht. Ich finde ihn einfach unwiderstehlich, und das ist ja das Problem. Er ist zu alt für mich, und ich brauch keine unnötigen Komplikationen in meinem Leben.
Es wird ein spätes Abendessen. Es ist kurz nach neun, ehe wir uns an den Tisch setzen, aber wir mussten ja auch erst einkaufen, denn weder Luna noch ich hatten Lust auf das, was auf dem Plan stand. Der Tisch ist gedeckt und wir müssen nur noch die Küche aufräumen, bevor wir essen können. Rune und ich treten zeitgleich an die Spüle heran, aber während ich mich bücke, um die Luke zu öffnen, hinter der sich der Mülleimer verbirgt, dreht er das Wasser auf. Ich schreie erschrocken auf, als mich der eiskalte Wasserstrahl auf Kopf und Rücken trifft.
Ich springe zurück und schnappe nach Luft. „Was soll das? Warum musstest du denn so doll aufdrehen?"
Er hat den Hahn schon wieder zugedreht und hustet eine Entschuldigung hinter vorgehaltener Hand, während ich noch immer erschrocken zurückweiche. Aber das Grinsen, das er zu verbergen versucht, entgeht mir nicht.
„Also entschuldigen geht anders – so leicht kommst du nicht davon!", rufe ich und stürze mich auf den Wasserhahn, als er sich schon schulterzuckend wegdrehen will. Ich reiße ihm den Spülschlauch aus der Hand und halte ihn in seine Richtung, während ich mit der anderen Hand den Hahn ganz aufdrehe.
Er erstarrt. Er sucht keine Deckung, steht einfach nur da wie eine Salzsäule, und sofort bereue ich meinen Racheimpuls. Ich hatte erwartet, dass er flüchten würde, aber stattdessen ist er jetzt völlig durchnässt. Beschämt drehe ich das kalte Wasser ab, und erst jetzt dreht er sich langsam um. Mich hat es nur am Hinterkopf und am oberen Rücken erwischt, aber Rune? Der ist nass bis auf die Knochen. Seine Klamotten sind komplett durchnässt. Komplett! Sein T-Shirt klebt am breiten Brustkorb, sogar die getrimmten Bauchmuskeln treten unter dem nassen Stoff deutlich hervor.
Er ist wirklich zum Vernaschen. Oder zum Ablecken.
Schon öffne ich den Mund, um mich zu entschuldigen, kann mich aber im letzten Moment noch zurückhalten. Stattdessen schaue ich ihn weiter mit blitzenden Augen an – also, nachdem ich meinen Blick von seinem gemeißelten Oberkörper abwenden kann – und verschränke die Arme wieder vor der Brust, um mich vor seiner Rache zu schützen. Mein tropfender Pony fällt mir in die Augen. In einem Versuch, ihn würdevoll weiter anstarren zu können, puste ich ihn weg. Aber natürlich gelingt es nicht, das Haar ist ja pitschnass. Verdammt noch mal.
Zuerst sieht er genau so wütend aus wie ich, aber dann passiert es. Sein Gesicht explodiert in ein breites Grinsen, und dann geht er vor Lachen in die Knie. Ich gebe mir alle Mühe, mich an meiner Wut festzuklammern, aber er ist so heiß und so nass und sein Lachen so heiser und charmant, und so zerbröckelt meine zornige Fassade innerhalb von Sekunden. Ich lache nicht so laut wie er, aber meine Bauchmuskeln fangen an, sich zu verkrampfen, ehe wir beide wieder ernst werden.
Und wer macht alles kaputt? Rune natürlich. „Hier, lass mich dir helfen!", gluckst er und tritt auf mich zu, während er eine Hand nach meinem Gesicht ausstreckt. Sanft streicht er die nassen Strähnen zur Seite. Wir verstummen fast gleichzeitig.
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