Wir steigen aus, ziehen unsere Ausrüstung aus und sorgen dafür, dass alles für den nächsten Einsatz bereit ist. Wir Festangestellten bleiben, während der Rest nach Hause geht. Elias, Silas und ich sind die einzigen, die über Nacht bleiben. Tobias und Malthe hätten eigentlich vor einer Stunde frei gehabt und müssen eine Überstunde auf den Plan schreiben. Tobias hat nichts gegen Überstunden, während Malthe in der Regel versucht, sie zu vermeiden. Tobias ist wie ich, was das angeht. Je mehr Arbeit, desto besser.
Ich brauche eine Dusche, und Schlaf. In der Küche ist es dunkel, und auch der Rest des Aufenthaltsraums liegt im Schatten. Keiner hat Lust, das Licht anzumachen, also benutze ich mein Handy als Taschenlampe und geleite uns zu den Zimmern. Silas und Elias, die alten Schweine, werfen sich direkt in die Federn, ohne sich zu waschen. Ich schnappe mir ein Handtuch und schleiche ins Bad. Es wird nur eine kurze Wäsche, denn während ich noch unter der Dusche stehe, erinnere ich mich an Klaras Festmahl. Keiner von uns hatte vorhin die Chance, aufzuessen, und da ich sowieso den Großteil der Zeit darauf verwendet hatte, sie anzugaffen statt zu essen, knurrt mein Magen jetzt umso mehr.
Noch immer benutze ich die Taschenlampenfunktion meines Handys und gehe in die Küche. Am Kühlschrank hängt eine Liste mit unseren Namen und einer Nummer neben jedem Namen. Ich bin die Nummer sechs. Mit einem schiefen Grinsen öffne ich die Tür und muss bei dem Anblick schmunzeln. Unsere Teller von vorhin sind fein säuberlich eingepackt, mit Nummern versehen und aufeinandergestapelt worden. Das muss Klara gewesen sein. Ich finde den Teller mit der Nummer sechs und nehme mein Essen heraus. Während ich schon die Alufolie anhebe und einen Blick auf die Leckereien riskiere, schiebe ich die Kühlschranktür mit dem Hintern zu.
„Ist es gut gelaufen?"
Ich zucke zusammen, als Klara hinter der Kühlschranktür erscheint.
„Verdammt noch mal, Prinzessin!", keuche ich. „Du hast mir fast einen Herzinfarkt verpasst!"
Sie verschränkt die Arme vor der Brust, als wäre sie schon wieder wütend.
Und ihre kühle Stimme lässt mich erahnen, dass ich richtig geraten habe: „Tja, das kann schon mal passieren, in deinem Alter ..."
Ich blicke sie überrascht an. „Du magst mich wohl nicht besonders, was?", necke ich sie, während ich, ohne den Blick von ihr abzuwenden, eine Schublade öffne und eine Gabel herausfische. Ich stecke sie in die kalten Reste und führe sie zum Mund.
„Willst du das nicht warm machen?"
Mein Handy liegt auf der Küchenplatte neben dem Kühlschrank, sodass das Licht der Taschenlampe die Decke erleuchtet. So kann ich ihren Gesichtsausdruck sehen, der noch immer ein wenig pikiert wirkt.
Ich schüttele den Kopf und schiebe mir noch eine Gabelvoll in den Mund.
„Bei dem Geschmack ist das nicht nötig. Es ist sogar noch viel besser als vorhin, jetzt, wo es richtig durchgezogen hat. Ich muss sagen, die Qualität hat sich echt noch mal verdoppelt."
Ich schaufele einen kleineren Bissen auf die Gabel und halte sie ihr hin. „Probier‘ selbst!"
Sie schüttelt den Kopf, als sei der Gedanke, kalte Reste zu essen, der abwegigste der Welt. Ich hätte nichts dagegen gehabt, diese Lippen dabei zu beobachten, wie sie sich um etwas hartes legen ... Also um meine Gabel natürlich.
Ich zucke mit den Schultern und stecke mir die Gabel selbst in den Mund. „Auch gut. Mehr für mich. Dein Bruder ist übrigens nach Hause gefahren."
„Ja, das sehe ich selbst", erwidert sie ein wenig spitz. „Ich habe auf ihn gewartet und bin auf dem Sofa eingeschlafen. Also ich geh dann auch mal besser ..."
Weil ich so schnell gegessen habe, ist der schlimmste Hunger schon gestillt. Ich setze den Teller ab, nehme mir ein Glas aus dem Regal und gehe zur Spüle. „Geh lieber in Deckung!", witzele ich. „Ich weiß zufällig, dass dein Bruder keine extra T-Shirts mehr dahat, und von mir bekommest du keins ..."
Was mach ich hier bloß? Es war wirklich nicht meine Absicht, ihr indirekt mitzuteilen, dass ich sie gern nackt sehen würde, aber ich kann mich einfach nicht zurückhalten. Sie ist zu heiß. Es quält mich regelrecht, dass sie zu jung für mich ist. Wenn sie nur ein paar Jahre älter wäre, würde ich nicht zögern.
„Ich habe keine Angst vor dir, Prinz", stichelt sie.
Ich drehe mich überrascht zu ihr um. „Prinz?"
„Ja!", erwidert sie stolz, „wenn du mir so einen kitschigen Kosenamen gibst wie Prinzessin , dann bist du jetzt eben der Prinz."
Ich leere mein Wasserglas und betrachte sie eingehend. Und weil sie so arrogant schaut, in ihrem Versuch mir zu zeigen, wie sie meine Avancen einfach mal gar nicht tangieren, verliere ich meinen inneren Kampf, in dem es meine einzige Mission ist, mich mindesten einen Meter von ihr fernzuhalten.
Und so frage ich sie, während ich mir mit der Hand ein paar Wassertropfen vom Kinn wische: „Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob du einen Streit anfangen oder mit mir flirten willst?"
Sie reißt die Augen auf und lässt kurz die Arme sinken, ehe sie es sich anders überlegt und sie wieder fest unter den wohlgeformten Brüsten verankert. Ja, vorhin konnte ich den Blick nicht von ihnen abwenden. Das mit dem T-Shirt als Ersatz für ihre nassen Klamotten hatte Tobias wirklich nicht durchdacht.
„Was zur Hölle willst du damit sagen?"
Ich kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Na, na, nun aber ... Prinzessinnen dürfen doch nicht fluchen!"
Sie schaut mich mit blitzenden Augen an, während sich ein knurrender Laut aus ihrer kleinen Kehle entwindet.
„Okay, okay, du gewinnst!", lache ich und höre selbst, dass das mein Abschlepp-Lachen ist. Das kommt dieser Tage nicht oft zum Einsatz. Aber ich weiß, es ist sinnlos, gegen die offensichtliche Anziehung zwischen uns anzukämpfen. Es sagt ja keiner, dass man gleich all in gehen muss, oder? Nur ein bisschen spielen ist ja wohl erlaubt. Und sie sieht einfach unwiderstehlich aus, mit ihren vor Wut rot leuchtenden Wangen. „Ich glaube jedenfalls, dass du einen Streit anfangen wolltest. Und wenn ich recht habe und ganz ehrlich sein darf, dann ist das nicht deine größte Stärke."
Sie wirft aufgebend die Hände in die Luft. „Was? Oh Mann, du bist so ein Weirdo ..."
„Pst, hier schlafen Leute!", necke ich sie und trete einen Schritt auf sie zu. „Du warst es doch, die vorhin nichts mit mir zu tun haben wollte ... und jetzt willst du Prinz und Prinzessin spielen?"
„Und was willst du damit jetzt sagen?"
Ich stelle mein Glas auf die Küchenplatte. Mein Lächeln ist verschwunden, denn ich kann es nicht sein lassen, meiner Fantasie freien Lauf zu lassen, als ich weiterspreche: „Naja ... Prinzen und Prinzessinnen müssen doch Babys machen. Du weißt schon, wegen der Thronfolge und so ..."
Größer können ihre Augen nicht mehr werden. Ihr hübscher Mund formt sich zu einem kleinen O, aber sie bringt keinen Ton heraus.
Ich nicke, ohne eine Miene zu verziehen. „Du hast mir die Zahl sechs gegeben, Prinzessin. Warum?"
Sie presst die Lippen aufeinander. „Zufall."
Ich nicke nachdenklich. „Ich bin mir aber ganz sicher, wenn ich noch ein Stückchen näherkommen und ganz tief in deine verführerischen Augen schauen würde, dass ich dort eine andere Antwort finde."
Sie blinzelt ein paar Mal hektisch. „Ich verführe hier niemanden."
Meine Stimme ist schon ganz heiser vor Erwartung. Sie tut nichts, um mit mir zu flirten, und doch macht sie mich an wie noch keine vor ihr.
„Das sage ich auch gar nicht. Aber ..." Mein Blick schnellt zu ihrem Mund, denn sie leckt sich langsam die Lippen. Ohne es beabsichtigt zu haben, flüstere ich die nächsten Worte: „Aber was, wenn ich das tue?"
Sie starrt mich an, als sei sie zu Eis gefroren. Dann schnaubt sie verächtlich. Oder zumindest soll es wohl verächtlich klingen. Aber weit gefehlt. Ich mache sie nervös, und bei dieser Erkenntnis tut sie mir fast leid. Aber auch nur fast. Ach was, eigentlich find ich es ziemlich geil.
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