16. Da nun die Athener nicht allein zuvor lange Zeit bei der unabhängigen Wohnungsart auf dem Lande geblieben waren, sondern auch seit ihrer Vereinigung zu Einer Stadtgemeine, gewohnheitshalber meist in ältern und spätern Zeiten bis auf den gegenwärtigen Krieg herab ihren ganzen Haushalt auf dem Lande hatten und sich da aufhielten, so fiel ihnen der Umzug schwer: zumal, da sie seit nicht gar langer Zeit nach dem Persischen Kriege erst ihre Einrichtungen neu gemacht hatten. Ungern und mit Widerwillen verließen sie ihre Wohnungen und Familienheiligthümer, welche sie noch von der uralten Verfassung her stets beibehalten hatten: empfindlich war es ihnen, daß sie nun ihre Lebensart ändern sollten, indem es ihnen gerade so zu Muthe war, wie wenn jeder von seiner Vaterstadt sich trennen sollte.
17. Als sie nun in die Hauptstadt kamen, so fanden zwar einige Wenige Wohnung und Unterkunft bei einiger Freunden und Verwandten. Die meisten aber ließen sich auf den leeren Plätzen der Stadt nieder, und nahmen ihrer Aufenthalt in allen Tempeln und Kapellen, mit Ausnahme der Burg und des Eleusiniums und anderer Tempel, die fest verschlossen werden konnten. Das sogenannte Pelasgicum unter der Burg, dessen Bewohnung mit Fluch belegt und durch einen Pythischen Orakelspruch untersagt war, dessen Schlußworte also lauten: "Besser verbleibt das Pelasgicum öde: wurde des dringenden Bedürfnisses wegen doch mit Wohnungen ganz angefüllt. Und so scheint mir der Orakelspruch auf eine der erwarteten entgegengesetzte Art in Erfüllung gegangen zu sein: denn nicht wegen der unerlaubten Bewohnung trafen die Stadt jene Unfälle, sondern durch den Krieg erfolgte die Nothwendigkeit der Bewohnung: und ohne diesen zu nennen, sah das Orakel voraus, daß jener Platz nicht unter glücklichen Umständen mit Wohnungen, werde belegt werden. Auch auf den Thürmen der Mauern richteten sich Viele ein, so gut jeder konnte. Denn die zusammenströmende Menge faßte die Stadt nicht mehr; sondern späterhin mußte man noch die Langen Mauren und einen großen Theil des Piräens zu Wohnungen unter sie vertheilen. Zugleich beschäftigte man sich auch mit dem, was zum Kriege nöthig war, sammelte die Truppen der Verbündeten, und rüstete eine Flotte von hundert Schiffen zu einer Landung im Peloponnes. So weit waren hier die Anstalten zum Kriege gediehen.
18. Indessen war das Peloponnesische Heer bei seinem Vorrücken vor Oenöë in Attika angelangt, von wo es einzubrechen den Plan hatte. Als sie sich nun hier festgelegt hatten, so machten sie Anstalten zum Angriff auf die Mauer mit Sturmzeug und auf andere Weise. Denn Oenöë, das auf den Grenzen von Attika und Böotien liegt, war befestigt, und die Athener hielten dort, so oft ein Krieg ausbrach, eine Besatzung. Sie rüsteten sich nun zur Bestürmung, und hielten sich sonst eine geraume Zeit bei diesem Platzte auf. Dieß war es hauptsächlich, was dem Archidamus großen Tadel zuzog, indem man glaubte, daß er die Herbeischaffung der Kriegsmittel nachlässig betrieben, und wegen seiner Verhältnisse mit den Athenern nicht mit Eifer zum Kriege gerathen habe. Als sodann das Heer beisammen war, so veranlaßte fein Verweilen auf der Landenge von Corinth, und die Langsamkeit des weiteren Zugs, so wie der lange Aufenthalt vor Oenöë ungünstige Urtheile gegen ihn. Denn in der Zwischenzeit konnten die Athener Alles in die Stadt bringen: wären hingegen die Peloponnesier schneller eingefallen, so hätten sie, meinte man, noch Alles ausserhalb der Stadt überrascht, was durch sein Zandern vereitelt worden sei. In solcher gehässigen Stimmung war das Heer während der Belagerung gegen den Archidamus. Allein Archidamus hoffte, die Athener werden, so lange ihr Gebiet noch unbeschädigt sei, zu einiger Nachgiebigkeit sich entschließen, und es nicht über sich gewinnen, dasselbe vor ihren Augen verwüsten zu sehen: daher zögerte er noch immer.
19. Als sie aber bei der Berennung von Oenöë alle Angriffsmittel ohne Erfolg versucht hatten, und die Athener keine Unterhandlungen anknüpften, so brachen sie von dort auf, ungefähr achtzig Tage nach dem Vorfalle bei Platäa, und dem Einbruche der Thebaner daselbst, mitten im Sommer, während das Getreide in der Blüthe stand, und drangen in Attika vor, unter Anführung des Archidamus, Königs der Lacedämonier, des Sohnes von Zeuridamus. Sie nahmen nun eine feste Stellung, und verheerten zuerst Eleusis und die Thriasische Ebene, und schlugen auch die Athenische Reiterei bei den sogenannten Rheitoi in die Flucht. Sodann rückten sie, den Berg Aegaleon rechts behaltend, durch die Kropeische Markung vor, bis sie nach Acharnä kamen, welches der größte Ort unter den Attischen Bezirksgemeinden, Demoi genannt, ist. Dort setzten sie sich fest, schlagen ein Lager, und behaupteten sich geraume Zeit dort, und matten Vorheerungszüge.
20. Die Absicht aber, aus welcher Archidamus in schlagfertiger Stellung bei Acharnä verweilte, und bei seinem damaligen Einfalle nicht in die Ebene herabzog, war, wie man sagt, folgende. Er hoffte, die Athener, stark durch zahlreiche junge Mannschaft, und zum Kriege, wie nie zuvor, gerüstet, würden ihm vielleicht entgegen rücken und der Verheerung ihres Landes nicht gleichgültig zusehen. Da sie sich ihm aber bei Elcusis und auf der Thriasischen Ebene nicht entgegenstellten, so versuchte er durch seine feste Stellung bei Acharnä, sie zum Angriff herauszulocken. Zugleich schien ihm jene Gegend zu einem Lagerplatze geeignet: auch dachte er, die Acharner, welche einen bedeutenden Theil der Bürgerschaft ausmachten, da ihrer dreitausend schwerbewaffnete Fußgänger waren, würden die Zerstörung ihres Eigenthums nicht ruhig sich gefallen lassen, sondern die andern Alle zur Schlacht aufrufen. Würden aber die Athener auch diesem feindlichen Einbruch keinen Ausfall entgegensetzen, so würde er in der Folge um so sicherer das platte Land verheeren und gegen die Stadt selbst vorrücken können. Denn die Acharuer würden bei dem Verluste ihrer Habe nicht mehr so geneigt, wie zuvor sein, für die Besitzungen der Uebrigen zu kämpfen, und so würde Zwiespalt unter den Athenern entstehen. Dieß waren die Gründe, warum Archidamus bei Acharnä verweilte.
21. So lange nun das Heer noch bei Eleusis und in der Gegend der Thriasischen Ebene stand, hatten die Athener einige Hoffnung, es werde nicht weiter vorrücken; denn sie erinnerten sich, daß Pleistoanar, König der Lacedäinonier, Sohn des Pausanias, als er vierzehn Jahre vor diesem Kriege mit einem Peloponnesischen Speere gegen Eleusis und auf das Thriasische Feld in Attika eingerückt war, ohne weiter vorzubringen, sich wieder zurückgezogen habe, weswegen er auch aus Sparta verbannt wurde, weil man glaubte, er hätte sich durch Bestechung zum Rückzüge bestimmen lassen. Als sie aber das Heer bei Acharnä, sechzig Stadien von der Stadt entfernt sahen, so schien ihnen dieß unerträglich; und der Anblick der Verheerung ihrer Felder, den die Jüngeren noch nie, und die Aelteren nur zur Zeit der Perserkriege gehabt, dünkte ihnen, wie leicht zu erachten, empörend. Das her waren Alle, besonders aber die junge Mannschaft, der Meinung, mau solle ausrücken; und jedes nicht dulden. Sie theilten sich nun in Parteiungen und stritten mit Hitze, indem die Einen auf einen Ausfall drangen, die Andern iha mißriethen. Die Wahrsager verkündeten mancherlei Sprüche, die jeder, je nachdem er gesinnt war, eifrig auffaßte. Die Acharner aber, die sich als einen nicht unbedeutenden Theil der Athener betrachteten, betrieben es, bei der Verwüstung ihres Feldes, um meisten, daß ein Ausfall und eine Schlacht geschähe. Auf alle Art wurde die Stadt aufgereizt, und war voll Unwillen gegen Perikles: man gedachte seiner frühern Ermahnungen nicht mehr, sondern schalt auf ihn, daß er, als Feldherr, sie nicht gegen den Feind führe, und maß ihm die Schuld von Allem bei, was man zu leiden hatte.
22. Perikles aber, welcher die Atheneer mit ihrer jetzigen Lage sehr unzufrieden, und von keinem guten Geiste beseelt sah, und doch überzeugt war, seine Ansicht, daß ein Ausfall mit der Gesamtmacht vermieden werden müsse, sei die richtige, veranstaltete keine Volksversammlung oder sonstige Zusammenkunft, um zu verhüten, daß sie nicht mehr durch Leidenschaft als durch Ueberlegung bei ihrer gemeinschaftlichen Berathung geleitet, einen Mißgriff thun möchten. Er lief nur die Stadt gehörig bewachen, und erhielt darin, so viel ihm möglich war, die Ruhe. Indeß schickte er immer Reiterei aus, damit nicht die feindlichen Vortruppen in die Felder nahe bei der Stadt streifen und sie beschädigen möchten. Es erfolgte auch ein kleines Reitergefecht zwischen einem Geschwader der Athenischen Reiterei, mit dem die Thessalier vereinigt waren, und der Reiterei der Böotier, bei Phrygia, wobei die Athener und Thessalier nicht im Nachtheile waren, bis den Böotiern das schwerbewaffnete Fußvolk zu Hülfe kam, und jene zurückgedrängt wurden, wobei die Athener und Thessalier einen kleinen Verlust an Todten hatten, welche sie noch denselben Tag, ohne Waffenruhe nachzusuchen, von dem Kampfplatze wegschafften. Die Peloponnesier errichteten den folgenden Tag ein Siegeszeichen. Jene Thessalische Schaar war den Athenern, zu Folge eines alten Bundesvertrages, zu Hülfe gekommen, und zwar von den Larissäern, Pharsaliern, Kranoniern, Pyrasiern, Gyrtoniern und Pheräern. Ihre Anführer waren Polymedes und Aristonus aus Larissa, jeder von einer besondern Partei, und Menon and Pharsalus; und so hatten auch die Truppen der übrigen Städte ihre besondern Anführer.
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