Kaar bedankte sich bei Ager für die guten Ratschläge und sie verabredeten, dass sie sich gegenseitig besuchen und während der Sommermonate in der Ebene im Norden gemeinsam jagen würden. Dann drängte er zum Aufbruch.

Es war ein sehr warmer und sonniger Nachmittag. Sie stiegen gerade mühsam, keuchend und schwitzend zu einem steilen Berggrat hinauf. Sig, der ihnen quirlig wie immer vorauseilte, blieb oben auf dem Grad stehen und stieß einen überraschten Ruf aus. Als auch alle anderen endlich oben angekommen waren, sahen sie voller Staunen in ein wunderschönes Tal hinunter. Es schien unendlich groß zu sein, verlief ungefähr in Ost-West-Richtung und eine steile Bergkette im Norden schützte das Tal vor den eisigen, aus dieser Richtung kommenden, Winden. Eine üppige Vegetation erstreckte sich entlang der Berghänge und im Tal glitzerte zwischen den Bäumen ein kleiner See. Ein Flüsschen schlängelte sich in östlicher Richtung, vorbei an sattgrünen Wäldern, Bergmatten und Wiesen. Äsende Hirsche und Rehe versprachen reiche Jagdbeute.
„Hier bleiben wir“, entschied Kaar und alle stimmten ihm nickend zu. „In diesem Tal suchen wir uns eine Unterkunft. Wenn wir Glück haben, finden wir eine von den Höhlen, die Ager uns beschrieben hat.“
Sie stiegen ins Tal hinab und schlugen am Ufer des kleinen Sees ihr Lager auf. Erschöpft und verschwitzt erfrischten sie sich zuerst im Wasser und bereiteten dann aus ihren mitgebrachten Vorräten ein Abendessen.
Am nächsten Morgen brachen sie in zwei Gruppen auf, die den südlichen und nördlichen Hang des Tales nach einer der von Ager beschriebenen Höhlen absuchen wollten. An den Hängen teilten sie sich noch weiter in Suchtrupps zu zweit oder zu dritt auf. Treffpunkt sollte am Abend wieder ihr Lager am See sein.
Kaar ging mit Bor den nördlichen Hang des Tals ab. Sie mussten sehr sorgfältig suchen, denn ein Höhleneingang konnte auch hinter dichtem Gebüsch verborgen sein. Jede nur denkbare Stelle schauten sie sich deshalb genau an, suchten hinter jedem am Hang wachsenden Busch und untersuchten jede Spalte im Berg.
Es ging sehr langsam voran. Auf ihrer Seite des Berges fanden sie nichts. Zwar gab es einige Spalten und Überhänge, aber nichts, für das sie sich besonders begeistern konnten. Deshalb waren Kaar und Bor sehr erfreut, als Sig am frühen Nachmittag von der anderen Talseite zu ihnen herüber gelaufen kam.
„Wir haben in einem Seitental eine sehr schöne große Höhle gefunden. Kommt alle mit.“
Sie brachen ihre Suche sofort ab und folgten Sig zum Südhang und dort weiter in ein kleines Seitental.
En und Mona standen unterhalb des Gipfels eines sich steil aus dem Tal erhebenden Berges auf einem sehr breiten Sims, mehr schon einer Terrasse, und winkten ihnen zu. Hinter ihnen konnte man bereits von unten den Eingang zu einer Höhle sehen. Der Berg fiel vor ihnen stufenförmig ab und auf der anderen Seite war ein steiler Hang. Neben dem Steilhang war ein zweiter Pfad, der zu einem weiteren Eingang hinaufführte. Sie konnten über die stufenförmige Formation mühelos zu der Terrasse hinaufsteigen.
„Die Höhle ist ideal für uns“, empfing En sie begeistert. „Sie ist mehr als groß genug für uns alle. Wie ihr seht, ist das hier der Süd-Westeingang und er ist durch diese Felswand vor den Nordwinden geschützt. Hinter dieser leicht schrägen Terrasse befindet sich ein weiterer Eingang, der sich nach Süden öffnet. Und innen führt ein Gang durch den Berg und hat am Ende einen weiteren kleinen Ausgang nach Norden. Dort befindet sich eine weitere kleine Höhle. Diese kleinere Höhle können wir vielleicht als Vorratshöhle nutzen.“ 
Kaar betrat die Höhle und war ebenfalls begeistert. Der Wind hatte in den Jahrhunderten seit dem Bestehen dieser Höhle Sand und Laub in die Höhle geweht und den ursprünglich kantigen Boden eingeebnet. Er sah sich sehr genau um und wurde dann stutzig. Die Stufen, die den Berghang zur Höhle hinaufgeführt hatten, sahen zwar natürlich aus, aber sie konnten auch von jemand angelegt worden sein, oder jemand hatte nur natürliche Stufen weiter ausgebaut.
Das Gleiche galt für den Boden dieser Höhle. Auch der sah aus, als wenn ihn jemand bewusst angelegt und geebnet hätte. Er bückte sich, sah sich den Boden genauer an und sagte dann zu den anderen: „Schaut euch einmal gründlich in dieser Höhle um. Ich habe das Gefühl, als wenn diese Höhle von jemandem bewohnt wird oder wurde. Schaut nach, ob es irgendwo Reste von Feuerstellen gibt.“
Sie brauchten nicht lange zu suchen. Von einer dünnen Schicht aus Laub, Sand und Staub nur notdürftig verdeckt, fanden sie mehrere Feuerstellen. Dazu auch noch allerlei zerbrochenes Werkzeug, Knochen und Reste von Jagdwaffen, abgebrochene Speerschäfte und eine alte Speerspitze aus Feuerstein. Kaar nahm diese in die Hand.
„Diese Höhle war einmal bewohnt. Aber das muss vor vielen Jahren gewesen sein. Schaut euch einmal diese Speerspitze an! Sie ist sehr einfach gearbeitet. Von unseren Leuten hat niemand diese Spitze hergestellt. Wir können das besser.“
„Vielleicht waren es die Alten“, meinte En.
„Das wäre möglich.“
„Und wo sind sie jetzt hin?“
„Wahrscheinlich sind sie weiter gezogen. Auf jeden Fall aber sind sie bereits vor längerer Zeit fort gegangen und haben diese Höhle aufgegeben. Wir bleiben hier. Das ist ab jetzt unsere Höhle, unser neues Zuhause. Vor die Eingänge können wir, wie wir es bei der Sippe von Ager gesehen haben, große Felle aufhängen. Dann haben wir es hier im Winter schön warm.“
Kaar ging mit En den Gang tiefer in den Berg hinein und sah einige kleine Nischen abzweigen. Lächelnd blickte er En an. „In diesen Nischen können sich die Paare Schlafbereiche einrichten, in die sie sich zurückziehen können, wenn sie allein sein wollen.“ En grinste zurück und deutete auf eine dieser Nischen.
„Das wird Monas und meine.“
Sie gingen weiter durch den Gang in die kleinere Höhle mit dem Ausgang nach Norden. „Du hast recht En, diesen kleinen Raum können wir als Vorratsspeicher einrichten. Er ist trocken und kühl.“
En warf einen Blick durch den Ausgang nach draußen, drehte sich dann um und sah sich in der kleinen Höhle um.
„Es ist sehr schön“, sagte er dann ehrfürchtig, „ob hier der Geist des Berges wohnt?“
„Ich glaube eher, dass er uns diese zweite Höhle zeigt, damit wir die ganze Anlage schön finden und als sein Geschenk annehmen. Lasst uns als Dank für ihn und als Zeichen, dass wir sein Geschenk annehmen hier in dieser kleineren Höhle ein Feuer anzünden“, antwortete ihm Kaar.
Sie riefen die anderen herbei, holten etwas Reisig und zündeten ein kleines Dankesfeuer für den Geist des Berges an. Eine Weile standen sie ehrfürchtig um das Feuer herum, bis Kaar sagte:
„Geist dieses Berges, wir nehmen dein Geschenk an und werden in Zukunft in dieser Höhle wohnen. Wir bitten dich, uns auch weiterhin wohl gesonnen zu sein und unser Leben hier zu beschützen.“
Nach dieser Zeremonie fühlten alle, dass sie angekommen waren. Sie hatten ein Zuhause gefunden.
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