Es war ein kühler, aber klarer Herbsttag, als sie hinter einer Biegung des Flüsschens unerwartet am Fuße eines steil aus dem Tal aufragenden Felsens auf eine Gruppe Frauen stießen. Die saßen auf einer Wiese vor dem Eingang einer Höhle und waren damit beschäftigt, Häute erlegter Tiere zu schaben.
Die erste Beute 
Am nächsten Morgen nach der Flucht vor dem Luchs kroch der Welpe unausgeschlafen und in bedrückter Stimmung aus seinem Versteck. Er vermisste seine Eltern sehr.
Vorsichtig sah er sich nach allen Seiten um, lauschte und hob die Nase, um zu wittern. Es war keine Gefahr zu bemerken, also verließ er sein Versteck und begann, die Umgebung zu erkunden.
Schon bald entdeckte er eine kleine, sonnenbeschienene Wiese und unter den warmen Strahlen der Sonne besserte sich seine Stimmung etwas. Doch jetzt verspürte er Hunger.
Großen Hunger.
Immer noch wagte er es nicht, durch Heulen seine Eltern auf sich aufmerksam zu machen, also musste ihm selbst etwas einfallen, um seinen Hunger zu stillen.
Dicht vor dem Welpen huschten Feldmäuse durchs Gras. Langsam schlich er näher. Er wusste noch nicht, wie man jagt, aber sein Instinkt leitete ihn ab jetzt. Als er meinte, nahe genug zu sein, sprang er mit angewinkelten Vorderpfoten hoch und auf die Mäuse zu. Im letzten Moment, bevor er eine von ihnen erreichte, streckte er seine Pfoten nach vorn und versuchte, eine auf den Boden zu drücken.
Und er hatte Glück.
Zwar traf er nicht den Körper, aber es gelang ihm, den Schwanz einer Maus mit seiner Pfote am Boden festzuhalten. Als diese versuchte sich loszureißen, biss er zu.
An einer Maus war jedoch nicht sehr viel dran und besonders gut schmeckte sie ihm auch nicht, aber es war seine erste selbst erlegte Jagdbeute. Unbändig stolz auf sich zerkaute er sie und schluckte sie herunter.
Sofort fühlte sich sein Magen besser an. Aber eine Maus ist selbst für einen kleinen Wolf nur ein winziger Brocken und schon bald meldete sich sein Magen wieder. Jetzt hatte er noch größeren Hunger als vorher.
Ermutigt durch den ersten Erfolg suchte er die Wiese weiter ab, doch die Mäuse waren alle in ihren Löchern verschwunden. Er wusste noch nicht, dass man sie auch ausgraben konnte. So schlich er weiter, schnüffelte unter jedem Busch und hinter jedem Stein, fand aber trotz aller Mühe nichts, was sich fressen ließ.
Dann aber stolperte er plötzlich in ein am Boden verstecktes Schneehuhnnest mit drei Küken.
Die Henne versuchte noch, sich ihm durch scheinbar hilfloses Flattern als bessere Beute anzubieten und ihn dadurch von ihrem Nest fort zu locken, aber er beachtete sie gar nicht. Die Küken lagen direkt vor seiner Nase und er fraß alle drei auf.
Jetzt fühlte er sich satt und hätte sich zufrieden schlafen legen können, aber er begann erneut, die Einsamkeit zu spüren. Wie gern wäre er jetzt wieder bei seinen Eltern.
Als die Sonne erneut unterzugehen begann, nahm er deshalb all seinen Mut zusammen, reckte seinen Kopf nach oben und heulte seine Einsamkeit hinaus.
Zunächst geschah nichts.
Kurz darauf aber vernahm er, nicht allzu weit entfernt, eine Antwort und hörte etwas auf sich zukommen.
Vorsichtshalber versteckte er sich wieder, aber es war sein Vater, dicht gefolgt von der Wölfin, die da auf ihn zuliefen. Sie hatten Erfolg bei der Jagd gehabt, waren zum Lager zurückgekehrt und hatten anhand der Spuren gesehen, was geschehen war. Als sie die Fluchtspur des Welpen entdeckt hatten, waren sie der gefolgt und so ganz in der Nähe gewesen, als sie sein Heulen hörten.
Sie wurden bei ihrem Näher kommen von den Frauen misstrauisch beobachtet, und dann rief eine von ihnen etwas in den Höhleneingang.
Sofort traten drei Männer heraus.
Auch diese beobachteten die jungen Wanderer zunächst voller Argwohn. Erst als die Gruppe ganz nahe herangekommen war und die Männer erkannten, dass es Menschen ihrer eigenen Art waren, kamen sie freundlich näher, um sie zu begrüßen.
Ein großer, breitschultriger Mann mit den ersten grauen Strähnen im dunkelbraunen Haar trat ihnen lächelnd entgegen und streckte Kaar die rechte Hand hin. „Ich bin Ager, der Anführer dieser Gruppe. Seid uns willkommen.“
Auch Kaar reichte ihm die Hand und stellte dann sich und seine Gefährten vor.
„Entschuldigt unser anfängliches Misstrauen“, fuhr Ager fort. „Wir hatten hier noch nie Besuch von Menschen unserer eigenen Art. Wir haben zunächst geglaubt, ihr seid eine Gruppe der Alten.“
Kaar war überrascht.
„Gibt es denn hier in der Gegend viele von den Alten?“
„Nein, aber wir begegnen ihnen ab und zu auf unseren Jagdausflügen, wenn wir im Frühsommer den Tieren weiter nach Norden folgen.“
„Und wie kommt ihr mit ihnen aus?“
„Gar nicht; wir gehen ihnen aus dem Weg und sie uns auch. Als wir euch sahen, waren wir deshalb sehr verwundert, denn noch nie hat uns eine ihrer Gruppen besucht. Genauso wenig, wie wir sie und ihre Lager oder ihre Höhlen besuchen.“
„Warum eigentlich nicht?“
„Das kann ich dir nicht beantworten. Es ist nun einmal so, dass wir uns gegenseitig aus dem Weg gehen.“
Kaar vertiefte dieses Thema nicht weiter, sondern erzählte Ager von ihrem Anliegen.
„Da kann ich euch sicher helfen. Wir wandern im Sommer oft nach Norden. Dort gibt es eine große Ebene mit sehr viel Wild. Manchmal nehmen wir den Weg durch ein Tal, das nordöstlich von hier liegt und dort gibt es einige große Höhlen, in denen ihr im Winter gut leben könnt. Aber kommt erst einmal herein und seid unsere Gäste.“
Er drehte sich um und Kaar und seine Freunde folgten ihm in die Höhle. Nachdem sie einen kurzen Tunnel durchschritten hatten, erweiterte sich die Höhle zu einer riesigen Grotte und die Gruppe Wanderer kam aus dem Staunen nicht heraus.
Ager grinste zufrieden.
„Schön, nicht?“, fragte er stolz.
Kaar nickte sprachlos. Eine so große Höhle hatte er noch nie gesehen.
„Hier ist es ideal für uns“, bemerkte Ager weiter. „Im Winter verhängen wir den Eingang mit einem Mammutfell, dann kann uns auch der stärkste Sturm nichts mehr anhaben.“
Kaar war beeindruckt. „Gibt es in dem Tal, das du mir gerade beschrieben hast, auch solche Höhlen?“
„Nein, so große nicht, doch einige der Höhlen dort sind sehr schön. Wir haben sie uns immer nur kurz angesehen, wenn wir manchmal in einer übernachtet haben. Näher untersucht haben wir sie aber nie, weil wir ja eine ideale Höhle haben.“
Sie blieben drei Tage als Gäste bei den Menschen in dieser Höhle und Ager erläuterte Kaar ihre Lebensweise in dieser Gegend.
„Die Winter hier sind sehr hart und es herrschen oft starke und eisige Stürme, die eine Jagd unmöglich machen. Dann ist es in der Höhle warm und sicher. In den Sommermonaten, wenn wir im Norden jagen, legen wir deshalb große Vorräte an getrocknetem Fleisch an. Die schaffen wir dann in diese Höhle und lagern sie ein. Nur dadurch ist es uns möglich, die Sturmphasen zu überstehen, ohne hungern zu müssen. Ihr solltet es genauso machen, wenn ihr eine für euch geeignete Unterkunft gefunden habt.“
Bevor sie aufbrachen, beschrieb Ager ihnen noch den Weg zu dem Tal, das er ihnen anfangs empfohlen hatte.
„Am besten ist es, wenn ihr quer über die Berge direkt nach Nordosten geht. In einigen Tagen müsstet ihr das Tal erreichen.“
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