1 ...8 9 10 12 13 14 ...28 „Das waren keine Unschuldigen, Lara. Wir reden hier von Schwerverbrechern, die unzählige Male skrupellos gemordet haben.“
Sie hatte bisher nur die schrecklichen Seiten seiner Welt kennengelernt. Er wollte das unbedingt ändern, doch zuvor …
„Bitte sag mir, wer außer Oskar und Ramón noch dein Gesicht gesehen hat.“
Abrupt rückte sie ein Stück von ihm ab und sah ihn erschrocken an.
„Du wirst sie alle umbringen, oder?“
Vor seinem inneren Auge sah er, wie Lara mehr und mehr Wasser schluckte und Luftblasen nach oben stiegen, als sie im Pool unterging.
„Wenn niemand mehr lebt, der weiß, wie du aussiehst, bist du wieder sicher.“
Lara wich einen Schritt zurück.
„Deine Worte sind so kalt, dass ich eine Gänsehaut davon bekomme.“
Die Wut darüber, was sie ihr angetan hatten, ließ seine Hände zu Fäusten werden.
„Das sind blutgierige und skrupellose Mörder, Lara, und sie werden nicht aufhören. Als Vampire sind sie nahezu unsterblich, deshalb müssen wir sie stoppen. Ich bin ein Wächter, das ist meine Aufgabe!“
Lara ging noch einen Schritt zurück und er spürte durch die Symbiose, was seine Aussage bei ihr angerichtet hatte.
So wie sie würde sich wohl ein Alien fühlen, das nach einer freundlichen Begrüßung als Erstes in ein Gefängnis für Schwerverbrecher geführt wird und den elektrischen Stuhl erklärt bekommt.
Er musste dringend das Thema wechseln, um sie nicht noch mehr abzuschrecken. Ganz bewusst löste er seine Fäuste und schloss für einen Moment die Augen, um sich wieder zu beruhigen.
„Verzeih mir, dass ich erst jetzt danach frage, aber hattest du wieder diese merkwürdigen Ohnmachten, die dein Hirntumor verursacht?“
Lara wandte den Blick zur Seite, ihre Stimme wurde kalt.
„Nein. Aber das Ding ist immer noch da und hat sich nicht verändert.“
Also hatte sich nichts an ihrer Situation geändert – nichts an dem Grund, warum sie sich vor einigen Tagen umbringen wollte. Frustriert fuhr er sich mit der Hand durch seine Locken.
„Der Tumor – ich weiß. Alva und ich haben uns die Aufnahmen des Spezialisten noch am selben Tag angesehen.“
Skeptisch hob Lara eine Augenbraue.
„Wie denn das? – Ach so, euer Elia. Er hat sich mal wieder reingehackt, was?“
War sie deswegen verärgert?
„Verzeih mir, aber ich musste es einfach wissen, ich …“
„Schon gut, John. Ich bin dir nicht böse. Immerhin waren die ganzen Untersuchungen dank euch ja auch umsonst, wie ich von Sarah erfahren habe. Außerdem wurde ich zum ersten Mal behandelt wie ein VIP.“
„Alva steht wegen deines Tumors immer noch vor einem Rätsel. Aber seit du mein Blut getrunken hast, hattest du anscheinend keinen Blackout mehr. Deshalb bin ich nach wie vor der Meinung, dass, egal was es auch ist, die Auswirkungen unterdrückt werden, wenn du regelmäßig mein Blut trinken würdest.“
Sein Blut trinken – er merkte, dass sich Lara bei dem Gedanken sichtbar versteifte.
Er ließ sich nichts anmerken, doch es kränkte ihn, dass ihr dieses Geschenk, das sich nur Gefährten untereinander machten, so zuwider war. Zudem spürte er über die innere Verbindung zu Lara, dass ihr die ganze Sache auch noch eine Heidenangst einjagte. Also versuchte er nun zum zweiten Mal, das Thema zu wechseln und ihre Gedanken auf etwas Alltägliches zu lenken.
„Ich hab Hunger, wie steht’s mit dir?“
Und da war es: das riesengroße Fettnäpfchen!
Lara riss die Augen auf, fasste sich entsetzt an den Hals und wich hastig bis in den Flur zurück.
Er hatte ganz vergessen, dass sie schon bei Arabella gefrühstückt hatte, doch ihre Reaktion … Diesmal gab er sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen.
„Ich dachte an ein ganz normales Frühstück.“
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich enttäuscht ab, nahm die andere Tür und ging zum begehbaren Kleiderschrank im angrenzenden Schlafzimmer.
Durch ihre innere Verbindung spürte Lara, was ihre Reaktion bei John ausgelöst hatte. Sie atmete einmal tief durch. Er hatte recht behalten, man konnte sich nicht belügen. Doch mit so einer Klarheit alle zutiefst persönlichen Gefühle eines anderen wahrzunehmen – damit umzugehen, musste sie erst noch lernen.
Sie nahm die Sachen von Ara wieder in die Hand und folgte John. Zögernd blieb sie im Durchgang zum Ankleidezimmer stehen, das fast die gleiche Größe wie sein Schlafzimmer hatte. Schweigend beobachtete sie, wie er ein edles, aber schlichtes weißes Hemd vom Bügel nahm.
Sollte sie sich für ihre Gefühle entschuldigen?
Während sie dabei zusah, wie er die vorderen Knöpfe schloss, dachte sie darüber nach, aber das schien ihr der falsche Weg zu sein.
Dann krempelte John seine Ärmel hoch und sie musste unwillkürlich schmunzeln.
„Was ist?“
„Ich, ähm“, sie deutete auf den zweiten Ärmel, den er gerade bearbeitete, „mache mit meinen Blusen immer das Gleiche.“
Erleichtert registrierte sie, dass der Ansatz eines Lächelns auf seine Lippen zurückkehrte.
„Und du versteckst deinen Brieföffner im Stiefel, genau wie ich mein Messer“, meinte er. Seine Gesichtszüge wurden wieder weicher.
„Vinz hat Zahnstocher dazu gesagt“, entgegnete sie humorvoll empört und er hob eine Augenbraue.
„Ach so, jetzt verstehe ich. Und was war dein Niespulver?“
„Eine kleine Gaspistole.“ In Erwartung eines verächtlichen Kommentars ergänzte sie schnell: „Aber hey, damit hab ich immerhin einen Vampir aufgehalten!“
Sie rechnete damit, dass John nachfragen würde, wie sie das angestellt hatte, doch stattdessen wandte er seinen Blick ab. Er seufzte und setzte sich auf die gepolsterte Bank, um seine Schuhe anzuziehen.
„Du hast dich in Lebensgefahr gebracht. Bitte tu so was nie wieder.“
„Ich habe dir dein Leben gerettet!“, protestierte sie.
„Nicht einmal dafür, Lara.“ John hatte seine Unterarme auf die Oberschenkel gelegt und blickte auf den Boden. „Ich könnte mir nie verzeihen, wenn auch noch du meinetwegen getötet wirst.“
„Was meinst du damit?“
Er schloss kurz die Augen und stieß geräuschvoll die Luft aus. „Ich dachte immer, Elisabeth wäre bei einem Autounfall gestorben. Aber seit zwei Tagen weiß ich, dass ich an ihrem Tod schuld bin. Sie würde noch leben, wenn ich kein Wächter wäre.“
John hatte ihren Namen vorher erst einmal ausgesprochen und sie hörte die Qual in seiner Stimme. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie schlimm es sein musste, einen Partner zu verlieren, mit dem man ganze Jahrhunderte verlebt hatte.
Ihr fehlten die Worte, also trat sie einfach neben John und strich ihm mit einer Hand über seine goldbraunen Locken. Für einen Moment schien es, als wollte er seine innere Last ablegen, sich fallen lassen und ihren Trost annehmen. Doch dann hob er den Kopf und deutete auf ihre Hand, in der sie immer noch die Waffe und das Zeug aus Leder hielt.
„Von Vinzenz, nehme ich an?“
Sie verstand, was er damit bezweckte. Um nicht in einen Abgrund aus Trauer zu fallen, hatte auch sie sich nach der Tunnelkatastrophe ablenken müssen – mit Bergen von Arbeit.
„Ja, die Sachen sind von Arabellas Mann.“ Um die Stimmung etwas aufzulockern, fügte sie scherzhaft hinzu: „Mit Niespulver von einem gewissen Ambi.“
John nahm ihr die Pistole aus der Hand und betrachtete die Waffe fachmännisch. „Aha, eine Glock. Gute Wahl. Die hat den Vorteil, dass sie leicht ist und besonders zuverlässig. Außerdem ist es eine Safe Action, das heißt, sie ist speziell gesichert. Fällt dir diese Pistole mal herunter, löst sich kein Schuss und auch der Abzug hat eine Sicherung, damit sie nicht versehentlich ausgelöst werden kann. Das verhindert, dass du dir …“
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