„Ich werde mich gleich bei den Kollegen der Drogenabteilung erkundigen, ob es von dem Mann eine Akte gibt.“ Monique griff zu ihrem Handy und wählte die Nummer von Edvin Baud.
Der Kollege Baud, ein kräftiger Mann mit schütterem dunkelbraunem Haar, einer hohen Stirn, einem markanten Kinn, grauen Augen und einem leichten Bauchansatz, führte die Abteilung schon seit einigen Jahren. Monique hatte einen guten Draht zu ihm.
„Baud“, meldete er sich.
„Hallo Edvin, Monique hier. Wir haben gerade ein Mordopfer gefunden. Es handelt sich um einen gewissen Peran Bagot, geboren am 23.04.1997 in Quimper. Habt ihr über den Jungen etwas?“
„Bleib kurz dran, ich sehe nach“, sagte Edvin Baud und legte den Hörer zur Seite. „Ein kleiner Dealer, handelt mit Ecstasy, ist bereits einmal festgenommen worden, aber wir haben ihn wieder laufen lassen müssen, weil er nur drei Pillen in der Tasche hatte, angeblich gerade selbst gekauft. Er ist schon des Öfteren in der Scene beobachtet worden. Sein bevorzugtes Revier scheint die Gegend um die Rue Théodore le Hars zu sein. Wir haben ihn dort einige Male kontrolliert. Aus unserer Sicht ist er ein kleiner Fisch. Du sagst, dass er ermordet worden ist?“
„Genau, wir haben ihn in der Nähe von Penn ar Prad gefunden.“
„Wo in aller Welt liegt Penn ar Prad?“
„Auf der Strecke zwischen Quimper und Quilinen“, antwortete Monique.
„Penn ar Prad? Kleiner Gedankensprung, kennst du die bretonische Bedeutung, Monique?“
„Edvin, ich kann kein Bretonisch.“
„Das bedeutet, am Ende der Wiese oder Weidefläche. Penn ist eines der Wörter, die eine ganze Reihe von Bedeutungen haben können. Eine davon ist Wiese oder Weidefläche eine andere bedeutet Kopf, aber es kann auch Chef heißen. Du siehst, mit der Bezeichnung am Ende der Wiese kann man nicht gerade auf die Lage des Ortes schließen. Schließlich gibt es viele Wiesen, Weideflächen und Köpfe in der Bretagne.“
„Danke für die Einführung in Bretonisch für Anfänger. Du hast mir mit der Auskunft über Peran Bagot weitergeholfen. Ich werde mir seine Akte bei euch holen, sobald wir wieder im Kommissariat sind.“
„Vielleicht hilft dir noch ein weiterer Hinweis. Die Rue Théodore le Hars wird von Kameras beobachtet. In der Straße liegt das Polizeirevier, wie ihr sicherlich wisst. Vielleicht wurde der junge Mann ja dort ermordet oder entführt.“
„Das ist ein wichtiger Hinweis Edvin, dem gehe ich sofort nach.“ Monique legte auf, ging zu Anaïk und informierte sie.
Anaïk sprach mit Dustin, der inzwischen das Seil, mit dem Bagot gefesselt worden war, losgemacht und eingetütet hatte. Monique hörte gerade noch wie Dustin sagte:
„…eine Flechtleine aus Polypropylen, relativ günstig. Sie wird für das Knüpfen von Fischernetzen benützt und kann in allen Geschäften mit Schiffs- oder Fischereizubehör erworben werden. Bestimmt kann man sie auch im Internet bestellen.“
„Danke Dustin, du schickst mir deinen Bericht“, sagte Anaïk und wandte sich Monique zu.
„Hast du etwas über den Toten herausgefunden?“
„Ja, ich habe mit Edvin gesprochen. Die Drogenabteilung kennt den jungen Mann. Er ist wohl nur ein kleiner Dealer, der bis jetzt nur ein einziges Mal verhaftet worden ist. Bei seiner Verhaftung hatte er nur drei Ecstasy Pillen bei sich, die er angeblich gerade selbst gekauft hat. Sie haben ihn darauf wieder laufen lassen. Aber Edvin hat mir gesagt, dass Bagot sich oft in der Rue Théodore le Hars aufgehalten hat. In der Straße liegt die Polizeidienststelle, das heißt, dass die Straße videoüberwacht ist. Wir sollten uns die Aufzeichnungen ansehen. Wenn wir Glück hätten, so meinte Edvin, könnten wir sehen, ob der Mann vielleicht dort entführt oder ermordet worden ist.“
„Sollten wir sofort machen“, meinte Anaïk und sah nochmals nach Dustin. Der war gerade dabei, einen Fußabdruck zu sichern, den er unmittelbar neben der Leiche entdeckt hatte. Die auffällig tiefen Abdrücke im Boden könnten bedeuten, dass die Person, von der der Abdruck stammte, die Leiche getragen hatte.
„Lass uns zurück ins Kommissariat fahren, hier können wir nichts weiter ausrichten.“
Sie telefonierten mit den Kollegen aus der Rue Théodore le Hars und ließen sich die Aufzeichnung vom Vorabend kommen. Ein Gendarm brachte ihnen nach wenigen Minuten eine Kopie der Speicherkarte. Anaïk und Monique machten sich mit der Karte auf den Weg zu Robert in die Kriminaltechnik.
Für die Aufzeichnung von 22 Uhr bis Mitternacht erschien zuerst eine leere Straße auf dem Bildschirm. Hin und wieder fuhr ein Fahrzeug durch die Straße, oder ein Fußgänger bog in die Straße ein. Einige Hotelgäste fuhren vor und Personen verließen oder betraten das Hotel. Gegen 23 Uhr 10 kam ein dunkler Van in die Straße gefahren und hielt vor dem Parkhaus Théodore le Hars, gleich neben dem Hotel Escale Oceania.
„Komisch, der Fahrer steigt nicht aus“, meinte Monique.
„Wäre an der Stelle auch verboten“, antwortete Robert.
„Kannst du das Kennzeichen sichtbar machen?“, fragte Anaïk.
„Das ist schwierig, das Fahrzeug ist ziemlich weit von der Kamera entfernt und die Beleuchtung ist mies, ich kann es versuchen. Robert vergrößerte den Ausschnitt mit dem Kennzeichen.
„Der Wagen ist zu weit von der Kamera entfernt, das wird so nichts. Ich muss das Bild in Ruhe bearbeiten, aber das kann dauern.“
„Lass uns die Aufzeichnung weiterverfolgen“, bat Anaïk.
Die nächsten Bilder brachten kaum Veränderung. Der Wagen blieb an der Stelle stehen. Inzwischen war es 23 Uhr 30, und es waren lediglich einige weitere Fahrzeuge durch die Straße gefahren. Der Fahrer des Van rührte sich nicht aus dem Wagen. Anaïk sah weiterhin gebannt auf den Bildschirm.
„Da, der Fahrer steigt aus“, rief Monique. Deutlich war zu sehen, dass der Fahrer um das Fahrzeug herumging, die Seitentür öffnete und dort einstieg. Er schien zu wissen, dass die Straße von der Kamera überwacht wurde, denn man konnte sein Gesicht nicht erkennen.
„Sieh nur, hier kommt ein Mann mit einer Kapuze. Die Kamera hat ihn nur von hinten aufgenommen, es könnte sich um unser Opfer handeln. Die Kleidung stimmt überein.“
Der Mann war jetzt auf der Höhe des Vans angekommen als der Fahrer des Vans seinen Kopf herausstreckte und dem Mann auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig etwas zurief. Der Kapuzenmann sah sich vorsichtig um und erwiderte etwas. Dann überquerte er die Straße und stieg durch die geöffnete Seitentür in den Van. Nach einigen Minuten verließ der Fahrer den Wagen, verschloss die Tür, ging auf die Fahrerseite, stieg ein, fuhr einige Meter zurück und lenkte das Fahrzeug dann in die Allée Couchouren. Robert hielt die Aufzeichnung an.
„Unser Opfer ist hier entführt worden“, konstatierte Anaïk und sah auf das Standbild mit dem Van.
„Er ist ins Auto gelockt und vermutlich mit dem Elektroschocker betäubt worden. Wir müssen das Kennzeichen des Fahrzeugs herausbekommen“, bat Anaïk Robert.
„Ich werde es versuchen, versprechen kann ich nichts. Das Licht ist schwach und die Kamera weit entfernt.“
„Du schaffst das schon“, sagte Anaïk und verließ den Techniker.
Er stand bereits früh auf, duschte, machte sich eine Tasse Kaffee und nahm zwei Scheiben Buchweizenbrot aus dem Brotkorb. Er hatte noch genügend Zeit für sein Frühstück, bis er seinen Beobachtungsposten einnehmen musste.
Er hatte sich eine große, eine sehr große Aufgabe vorgenommen, das wusste er. Er hatte sich vorgenommen, sein Quimper von allem Unrat, Abschaum und vor allem vom Teufel zu befreien. Der Satan hatte sich in Quimper breitgemacht. Die Kathedrale wurde von immer weniger Gläubigen besucht. Dafür gab es beständig mehr Punker, Prostituierte, Drogendealer, Stadtstreicher, Schurken, Betrüger, Diebe, Hehler, Erpresser, Geldverleiher und sonstige Halunken, die der Stadt ihren Stempel aufdrückten. Wie oft hatte er gehört, dass sich brave Bürger auf den Straßen der Stadt nicht mehr sicher fühlten. Er hatte keine Angst. Der Herr verlieh ihm die Kraft, diese schwere Aufgabe zu übernehmen. Er musste es schaffen, den Teufel aus den armen Seelen zu treiben, dann würden die Menschen von ihrem gotteslästerlichen Leben Abstand nehmen und sich wieder dem wahren, dem einzigen Gott zuwenden. Einen ersten Drogendealer hatte er sich bereits ausgesucht und hatte ihm die Chance geben, sich vom Satan loszusagen. Aber der Satan hatte über manche Menschen mehr Macht als er es sich vorstellen konnte.
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