Die Farbe rot ist ein allgegenwärtiger, beliebter Farbton der Massai, gedanklich verbunden zweifellos über das Blut ihrer Rinder, welches alltägliches Nahrungsmittel ist. Vermischt mit Mehl und Kräutern, soll es eine recht vollwertige Nahrung sein. Kleider, Schals und Überwürfe sind oft ebenfalls in rötlichen Farben gehalten.
Juhari will sich der Aufgabe stellen, ältere Frauen, namentlich jedoch Männer, zu überzeugen, dass die Beschneidung der weiblichen Genitalien keinesfalls Unglück über den Stamm bringt. Genau das Gegenteil von dem, was bisher der Glaube dieser Völker ist, die zu 80% noch Analphabeten sind.
Zur Zeit des höchsten Sonnenstandes holten die anderen Frauen des Hakim Juhari aus ihrem Enkaji ab, weil das Fest seinen Fortgang nehmen soll.
»Juhari, komm, wir wollen weiterfeiern. Das Dorf hat sich versammelt, Hakim erwartet dich, und die anderen Hochzeiter sind schon lange in Feierlaune«.
»Ja, ich höre das Trommeln, das Schellen der Tambours und das Stampfen der Hunderten von Füßen. Ich erscheine«. Heute werden sie doch hoffentlich zu dem versprochenen Anschauungsunterrichts kommen? Hanaa und Nyota, die beiden anderen Weiber Hakims, sind wie die übrigen in Hochstimmung. Und wissbegierig.
Lachend mischten sich die Neuankömmlinge unter das Volk, das seit geraumer Zeit schon wieder im Tanzfieber ist.
Hakim, der zum dritten Mal Vermählte, wirbelt im Kreise seiner Freunde, doch Juhari beachtet er nicht. Es ist bei den Massai nicht üblich, öffentlich die Zuneigung zu einem Weib zu zeigen. Männer und Frauen tanzen selten gemeinsam, wobei tanzen keinesfalls im europäischen Sinne zu verstehen ist. Es ist ein Gruppenbewegungsritual, simultan bewegt man (nicht nur Mann) eingeölte und mit Henna bemalte Gliedmaßen. Die Gruppen springen den Adumo, einen uralten Gruppentanz.
Es möge der Startschuss sein zu der beispiellosen Aufklärungskampagne, zu der Juhari sich selbst gegenüber verpflichtet hat. Sie bricht mit einem Tabu. Die weiße Massai versucht, mit ihrem Moran einen für ihn völlig ungewohnten Tanzrhythmus darzustellen. Ein Mann und eine Frau, sich an den Händen und um die Hüften fassend, umeinander wirbelnd, umgeben von den Dorfbewohnern als Zuschauer.
»Hakim, komm, wir tanzen, es ist unser Hochzeitsfest,« versucht Juhari ihrem Mann Mut zu machen. Doch der ist durch und durch verblüfft. Und ablehnend. »Ich, mit dir, allein? das geht nicht, das macht man bei uns nicht.«
Juhari lässt nicht locker. Sie hat nicht vor, sich als nichtssagende Nebenfrau behandeln zu lassen. Nicht nur im Gesundheitswesen, auch in der Stammeskultur gedenkt sie manches zu bewegen.
Ihr Vorhaben geht zunächst in die Hose. Hakim hat nur die Gabe, Sprünge und ekstatische Schwingungen darzustellen, nicht aber geschmeidige, exakt aufeinander abgestimmte Drehungen. Und er will es auch nicht, er ist Schamane, da ist es nicht erlaubt, uralte Rituale einfach zu übergehen!
»Ach komm, Hakim, üben wir das mal, das wird dir gewiss Spaß bereiten«, lockt seine weiße Frau.
»Nein, ich will nicht, das gehört hier nicht her, ich bin dein Mann, und du hast zu gehorchen!«
Oha, denkt Juhari, da meint er also, wieder bestimmen zu können. Wie vor Wochen, als die Kerls mich betrunken machten und dann im Schlaf meinen Körper benutzt haben? Sie hatte sich geschworen, ihm das heimzuzahlen. Jetzt scheint ihr eine günstige Gelegenheit dazu gegeben zu sein, heute, am zweiten Tag ihrer Hochzeitsfeier.
Wenn er sich denn schon nicht traut, wird es doch gewiss unter den Zuschauern den einen oder anderen geben, der es mit ihr wagen möchte? Vergnügte Jünglinge stehen genügend im Kreis um sie herum, voller Energie und Tanzlaune.
» Sopa , hallo, hat jemand von euch unvergleichlichen Moran Lust, mit mir einen ungewohnten Tanz einzuüben? Ich bin sicher, das wird einen Riesenspaß machen.«
Zwei mit erotisierendem Festtagsschmuck ausgestattete, exotisch aussehende Jünglinge sind spontan Feuer und Flamme. Lachend kommen sie auf Juhari zu. Sie werden sich bewusst, heute etwas Besonderes darzustellen. Jetzt ist Juhari in ihrem Element. Tanzen mit Massai- hoffentlich wird ihr Hakim nicht eifersüchtig. Aber der Feigling hat sich ja nicht getraut......Juhari hat sich in den Kopf gesetzt, diesen Jünglingen einen leicht zu erlernenden Rundtanz beizubringen.
Für ein Tanzvergnügen geben Naturvölker alles. Bereits im Kindesalter lernen sie die stampfenden und springenden Figuren, nachempfunden den Tieren aus ihrem Lebensraum. Gesangseinlagen zur Ehre ihrer Götter gehören ebenso dazu, und Ihre Lebensfreude drücken sie mit einer beachtlichen Anzahl von Strophen aus. Refrains werden bis zum Abpfeifen drangehängt. Stundenlang kann das so abgehen.
Für Safarifreunde sind derartige Darbietungen ein Erfordernis, denn das ist Kommerz. In Namunjak zeigt sich allein die Lebensfreude der Massai.
Manche dieser Tänze werden von Volksgruppe zu Volksgruppe, gelegentlich gar von Stamm zu Stamm abgewandelt und über Generationen gepflegt. Zu allen vier Jahreszeiten gibt es originelle Tanzfeste, ebenso zur Vertreibung unheilvoller Geister, zum Herbeiflehen des Regens, zur Inkarnation Jugendlicher wie zu Totenfeiern. Von einem Vorsänger intoniert, grölt die Gemeinschaft seit Jahrhunderten nahezu unverändert spirituelle Gesänge. Mit völliger Hingabe tanzen Frauen wie Männer mit bunt bemalten , immer getrennt voneinander, und wiegen ihre Leiber im Takt der dröhnenden Trommeln. Mit wildem Aufstampfen verscheucht man angriffslustige Tiere, wobei den Tänzern die pralle Lebensfreude anzusehen ist.
Juhari liegt am Herzen, ihren Massai zu deren Freudenfesten Neues, bisher Unbekanntes nahezubringen. Paar- und Rundtänze, die nicht auf der Savanne, gelegentlich aber in den von Europäern und Amerikanern geprägten Städten getanzt werden. Sie sieht darin eine der Möglichkeiten, ihre geplante Mission gegen die Beschneidungen von Frauen und Mädchen in Afrika zu verwirklichen.
Heute ist Juhari wie die anderen weiblichen Festteilnehmer in ein farbenfrohes Kleid geschlüpft. Um den Hals trägt sie eine schwere, aus getrockneten Früchten und kleinen, in verschiedenen Facetten schimmernden Lavasteinen gefertigte Kette, die zeitaufwendig durchbohrt wurden. Elektrisch betriebene Bohrer gibt es hier keine, alles ist aufwendige Handarbeit. Handgelenke und Fußfesseln werden gleichermaßen geschmückt. In ihren durchlochten Ohrläppchen stecken farbige Holzfigürchen, welche die Hochzeiter darstellen sollen. Doch auch im alltäglichen Leben tragen Stammesangehörige selbstgefertigten Schmuck, wie schwere Halsketten, Reifen an Hand- und Fußgelenken, an den Ohren, wovon die Ohrläppchen oft unförmig verlängert werden. Aber je skurriler, desto selbstbewusster sind die Ausgeschmückten.
Juhari, die Braut, die mit Hakim heute den zweiten Tag der Hochzeit feiert. Wie selbstverständlich hat sie ebenso an den traditionellen Tänzen teilgenommen, als Lernende, stundenlang nach alter Sitte, kaum unterbrochen durch Pausen. Daraufhin kam ihr dann der Gedanke, europäische Tanzfiguren vorzustellen. Aber ihr Hakim, der Feigling, macht nicht mit. Na denn, zwei mutige Jünglinge haben sich ja gefunden.
»Vom Ansehen her kenne ich euch, doch eure Namen sind mir unbekannt. Du bist?« »Hashim« »und du?« »Issa«
Dunkle Regenwolken dräuen über der Savanne. Mensch und Tier sind nach der lange andauernden Dürreperiode in aktiver Bewegung. Jetzt kommt die ideale Zeit, um ihre Feste zu feiern. Lachend und energievoll tanzen sie ohne wesentliche Unterbrechungen. Durch die Regenzeit reduzierte, angenehme Temperaturen lassen sie das durchhalten. Der nächste Schauer bringt immer erfreuliche Erfrischung.
»Hashim, Issa, wir Drei bilden jetzt einen Kreis. Inmitten der Zuschauer, die uns bewundern werden. Wir fassen uns an den Händen und bewegen uns, nach dem Takt der Trommel, immer rechts herum«.
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