1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 »Botho. Booothoooo«
Ein schnaufendes Geräusch antwortet. Gott sei Dank, ganz tot ist er nicht. Aber bewusstlos. Wenn ihm das als Pilot passiert wäre. Besinnungslosigkeit im Flieger!
Der Sturm hat weiter nachgelassen. Er bläst zwar weiterhin, doch es ist kein Vergleich zu den vergangenen Stunden. Arnold drückt mit irrsinniger Kraftanstrengung die Sandlast hoch, um zu Botho hinrobben zu können. Er entfernt die Tücher von dessen Kopf und blickt in ein verzerrtes, angsterfülltes Gesicht. So hat er seinen Freund bisher nie erlebt.
Blutunterlaufene Augen, der Rachen völlig ausgetrocknet, geschwollene, lila verfärbte Lippen, vom Wüstensand verstopfte Nasenlöcher, das Gesicht aschgrau; Arnold ist erschüttert. Viel länger hätte der Sturm nicht wüten dürfen, dann ..... an das Ende des Satzes mag er nicht denken.
»Botho, hörst du mich?« Sprechen vermag er nicht, nur matt nicken. Aber er lebt. Arnold entfernt vorsichtig den feinen Sand vom Gesicht seines Freundes, doch wie kommen die beiden unter der Zeltplane heraus, ohne dass sie zuvor endgültig vom Wüstensand begraben werden?
ist es Arnold wenigstens möglich, an sein Handy zu gelangen. Hoffentlich ist es nicht vom Sandstaub zerstört. Er wählt die Nummer von Mira. Da müsste der Sturm ja auch vergangen sein. Bleibt zu hoffen, dass der die Oase nicht plattgemacht hat. Aber dass er die Gedanken schon wieder hat, wo er selber weiterhin von Sandlasten verschüttet liegt?
Sein Mobiltelefon setzt einen Ruf ab, und das unter dem Sandberg, von dem die Wüstenreisenden nicht befreit sind. Befänden sie sich in einem Felsentunnel, ginge das Signal nicht hinaus.
Tuut.Tuut.Tuut. Keine Antwort. Immer wieder versucht er es. Dabei kommt ihm die Erinnerung an die Kamele, die ohne Schutz dem Sturm ausgeliefert waren. Von denen hat er noch nichts bemerkt. Und keinerlei Reaktion von Mira. Sind sie von allen gütigen Geistern verlassen? Offenbar nur von Bösen umgeben, welche die Eindringlinge aus der heiligen Wüste zu vertreiben beabsichtigen?
Weil er seine junge Frau nicht erreicht, versucht er, mit Judith in Verbindung zu kommen. Ebenfalls null Ergebnis. Es ist doch noch nicht Schlafenszeit? Während der Zyklon wütete, hat man für alles andere als die Tageszeit einen Sinn besessen. Ein Drehrum, wie die Afrikaner eine Armbanduhr nennen, besitzen sie keine, denn ihre Uhr ist das Handy, das offenbar funktionsgestört ist. Und jetzt sind Arnold und Botho unter der Zeltplane, mit den Mengen von Sand darauf, begraben, und kein Licht dringt zu ihnen durch. Luft zum Atmen haben sie, wenn sich auch bei jedem Atemzug die Lungenflügel schmerzlich aufblähen. Doch woher kommt die Luftzufuhr, die sie bis jetzt am Leben erhalten hat?
Arnold hegt die Hoffnung, über das Handy Hilfe zu bekommen, je nachdem, vom Schamanen in Kenia, der ihm schon einmal geholfen hatte, mit dem feinen Getränk, welches das Gift des Skorpions unschädlich stellte. Oder vom Oasenvorsteher, der möglicherweise gewisse medizinische Kenntnisse besitzt. Aber wenn sich auf der Gegenseite niemand meldet, hat Arnold mit seinem fast vergessenen Erste-Hilfe-Wissen das Überleben Bothos zu versuchen.
Arnold befreit das Gesicht des Freundes vom Wüstensand. Im Mund findet er ein Sand-Speichelgemisch, das zuerst entfernt werden muss. Sodann beginnt er mit der Herzpumpe. Er erinnert sich blass, dass er mit aller Kraft und übereinandergelegten Händen den Brustkorb niederzudrücken hat. Das fällt ihm nicht leicht bei dem eigenen, geschwächten Zustand. Eine Atemspende hat er noch nie gegeben; einem anderen Mann seine Lippen aufdrücken, - er ist doch nicht schwul.
Indessen, hier ist es ein Notfall. Er will, er muss dem Spezi das Leben retten, selbst wenn ihm dabei übel werden sollte. Heute ist es ja kein Kamelurin, wie er den vor nicht langer Zeitzu schlucken hatte. Arnold hatte sich gewaltig zu überwinden; sein eigenes Überleben stand auf dem Spiel.
Aber ebenso Arnold ist nach wie vor gefährdet. Unter schwerer Sandlast Erste Hilfe zu leisten- bald steht er selber am Ende seiner Kräfte. Unfähig, weiter zu helfen, sinkt er kraftlos neben Botho in den Sand der Wüste. Er war wohl einige Zeit weggetreten, bewusstlos oder eingeschlummert, als sich erneut das Mobiltelefon meldet. Endlich ein Lebenszeichen von Außen. »Hallo«.
»Salam allaikum, Arnoldi. Wie ich mich freue, dich zu hören. Wie habt ihr den Zyklon überstanden?« Mira hat alle ihre Kenntnisse zu sammeln, um ein paar der mittlerweile gelernten deutschen Worte ins Gerät zu sprechen.
»Oh, Mira, das ist wie ein Geschenk vom Dschannah, dem Himmel, dich zu hören. Ich hatte seit geraumer Zeit versucht, euch anzurufen. Warum hast du nicht geantwortet?« »Ja, in der Nacht telefoniert man selten, da schläft man. Nach der Todesangst besonders fest. Habe kein Telefon gehört.«
»Ja, wie spät ist es denn, soeben der Morgen angebrochen? Wir liegen unter der Zeltplane, über uns zentnerweise Sand, in völliger Dunkelheit sind wir eingeschlossen. Botho fast erstickt, mir geht's etwas besser, doch bisher haben wir uns nicht von den Sandmassen befreien können. Ein wahres Wunder, dass mein Mobilefone funktioniert. Wie sieht es bei euch aus, trostlos, verschüttet?«
»Ja, allerhand zerstört, aber keine Toten. Sind wir genötigt,zum Helfen zu kommen?« »Wird absolut erforderlich sein, denn ich weiß nicht, wie wir uns eigenhändig befreien könnten; und ob die Kamele leben, kann ich auch nicht sagen. Warum nur dieses Unglück, ist es, dass Allah zürnt, weil du ein Kind von einem Christen bekommst? Hast du Beschwerden?«
»Es geht. Manchmal das Unwohlsein, aber das ist ja mehr oder weniger stets so, sagen erfahrene Frauen. Viel furchtbarer scheint mir, dass ihr gefangen seid. Ich werde dem Mameluck berichten, was du mir gesagt hast. Er wird mit Sicherheit einige Reiter schicken, die euch da herausgraben. Halte durch solange, ich will dich lebend wiedersehen.«
»Ja, die Luft ist beängstigend dünn, es wird höchste Zeit«, Arnold fängt an, zu husten, »dass wir hier herauskommen.«
Er kümmert sich erneut um seinen Freund, der noch immer aschfahl um die Nasenspitze ist. Botho geht es weitaus beschissener als ihm. Arnold hat nach diesem Gespräch wieder neuen Lebensmut gefasst.
Da er jetzt weiß, dass ein taufrischer Tag angebrochen ist, versucht er es erneut, seine andere Frau in Kenia zu erreichen. Lange hat er nichts mehr von ihr gehört.
*
Das Liebesnest ist hergerichtet. Juhari hat erneut die penetrant stinkenden, emsig flackernden Tranfunzeln in ihrer Hütte angezündet. Für sie kostet es nach wie vor Überwindung, in diesem Dunst ihre Hochzeitsnacht verbringen zu sollen.
Noch immer betört Juhari der absurde Gedanke, ihren Freundinnen das Liebesabenteuer miterleben zu lassen. Ob ihr Hakim diesmal auftaucht, vor allem ohne beduselt zu sein? Oder erscheint er erneut in Begleitung? Im Hintergrund haben Hanaa und Nyota ihren Platz eingenommen.
Solange der Schamane nicht aufgetaucht ist, kann Juhari sich mit den Beiden im Flüsterton besprechen; ein außerhalb der Hütte Lauschender würde eventuell gewisse Wortfetzen mitbekommen; er dürfte dann Veranlassung haben, zu glauben, dass Juhari sich mit dem Gott Engai unterhält.
So verging eine geraume Weile; die Wartenden beschlich schon das Gefühl, dass auch heute nicht mit Spaß zu rechnen sei. Da wurde dann aber doch der Vorhang am Eingang des Enkaji angehoben.
»Juhari, du hier?« , rief jemand in die Hütte hinein.
»Ja, mein Lieber«.
»Weißt du, wo Nyota und Hanaa sich herumtreiben?«
»Nein, weshalb denn?«
»Sie sind doch gleichfalls meine Frauen, und ich wollte sie besuchen. Ich habe mit ihnen heute gar nicht getanzt. Nachher sind sie böse, wenn ich mich nicht um sie kümmere«.
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