Arnold macht sich in dieser brenzligen Lage Vorwürfe, Botho überredet zu haben, ihn zu begleiten. Doch andererseits: Wäre er hier allein auf sich angewiesen, hätte er noch geringere Chancen, zu überleben. Jetzt aber könnten sie beide draufgehen, wenn der Sauerstoffmangel letztlich zum Ersticken führt. Zwischendurch heult es mal weniger durchdringend, und sogleich hoffen die Verschütteten, dass das Martyrium bald vorbei ist. Doch kurz darauf steigert es sich erneut, es ist, als wenn der Weltuntergang bevorsteht .
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Hakim ist nicht sonderlich begeistert, ja regelrecht wütend, dass er von der neuen, dritten Frau gradewegs weggeschickt wird. Und seine Begleiter bekommen das mit. Wie steht er denn jetzt da, der großartige Massaikrieger? Er ist es gewohnt, sich das zu nehmen, was er will. Sex, wann immer ihm danach zumute ist. Das Weib hat zu gehorchen. Sollte er etwa klein beigeben? Doch er weiß genauso, dass Juhari ungeheuer willensstark ist, erlebt es tagtäglich, wie sie den anderen Eheweibern im Dorf die englische Sprache und Verhaltenstechniken über westliche Gesundheitsfragen zu vermitteln bemüht ist. In den Unterrichtungen ist sie konsequent und genau. Insbesondere die Beschneidungsrituale sind ihr ein Dorn im Auge. Aber Hakim begreift, dass er zusammen mit der Weißen ein noch höheres Ansehen im Dorf und im übrigen Stammesgebiet erlangen könnte. Deshalb schleicht er sich jetzt ohne weitere Widerrede davon. Es ist eine Niederlage, doch durch sein Besäufnis hat er die selbst zu verantworten. Es ist heute ja auch der erste Tag der Hochzeitsfeierlichkeiten. Morgen wird er erneut um ihre Liebe kämpfen. Und dann ....
Juhari ist gleichfalls wütend, dass sie nicht eine Hochzeit auf Massaiisch erlebt, obwohl doch das der ursprüngliche Grund ihres Hierbleibens war. Daher versucht sie mit gehöriger Wut um Bauch, Arnold anzurufen. Aber obschon der Ruf rausgeht– er meldet sich nicht.
Na ja, es ist früher Morgen. Da liegt er womöglich in den Armen seiner Mira, der Wüstenblume. Doch Juhari kann nicht wissen, dass ihr Arnold ums Überleben kämpft, dass ihm–und Botho–die Luft zum Atmen knapp wird.
Judith versucht es später erneut. Er wird sie bei aller Liebe nicht abgeschrieben haben?
Die dritte Frau
Der zweite Tag der Hochzeitsfeierlichkeiten dämmert, die Frauen des Dorfes sind bereits früh wieder auf den Beinen. Sie haben sich heute wie stets neben den kleinen Kindern zusätzlich um die Rinder kümmern. Die sonst doch so selbstsicheren Morankrieger sind vom in reichlichen Mengen genossenen, eigengebrautem Bier selbst gegen Mittag weiterhin außer Gefecht gesetzt. Juhari`s Hakim geht es ebenso. Sie bekam nicht, was ihr zusteht, und ihre Mitfrauen haben keinen Anschauungsunterricht in Sachen Liebe erhalten. Juhari setzt alles daran, das in der heutigen Nacht aufzuarbeiten.
Was wäre, wenn die alten Zeiten herrschten, als die Stämme, der Rinder und Weiber wegen, gegeneinander kämpften? Dieses Dorf würde heute keine Gegenwehr leisten können. Frauen und Rindvieh hätten die Sieger geraubt.
Hakim, der Schamane. In Afrika und manchen orientalischen Ländern ist es weit verbreitet, dass ein vermögender Mann mehrere Frauen besitzt. Dieser angesehene Naturheiler hat zusätzlich eine Weiße geheiratet, Juhari. Sie ist auf den Afrikaner abgefahren, obwohl sie ihn mit zwei sonstigen Lieblichkeiten zu teilen hat. Doch für Judith ist das kein Problem, Vielfalt praktizierte sie auch in Europa. Eifersüchteleien unter verheirateten Frauen der Massai sind äußerst selten. Gegebenenfalls, wenn der gemeinsame Bwana die Besuche nicht gleichmäßig aufteilt, kommt es zu Konkurrenzkämpfen.
Der Schamane hat seine Ehefrauen sowie den sechsköpfigen Nachwuchs anständig zu versorgen, was heißt, dass er Verantwortung trägt, jedes Weib mit den Kindern eine Enkaji zur Verfügung zu stellen, die sie trotzdem selber zu errichten haben. Ebenso hat sie für die eigene und die Ernährung der Nachkommen zu sorgen. Der Mann fungiert also in erster Linie als Begatter, auch als Beschützer, doch um alles andere muss er sich nicht kümmern; das sind die Aufgaben der Frauen und, sobald sie herangewachsen sind, der Kinder.
Der Moran kümmert sich ausschließlich um die Rinder oder pirscht auf die Jagd. Coole Arbeitsteilung ist das. So lässt sich leicht ein Harem unterhalten. Dem Ehemann steht es frei, bei welcher seiner Evas er nach eigenem Gutdünken jeweils nächtigen will. Wenn er das >n ächtigen < anständig und gleichmäßig verteilt, sind alle zufriedengestellt.
Schon, als Juhari noch ihren europäischen Namen trug und Touristin war, ist sie von den jungen Müttern des Massaidorfes ohne Vorbehalt akzeptiert worden. Und als sie sich dann bemühte, die Sprache der Massai zu erlernen, brachte man ihr sogar Freundschaft entgegen. Dass sie aber dauerhaft unter ihnen leben wollte, versetzte alle in Erstaunen.
Probleme bekam Juhari, als sie versuchte, die alten Weiber zu überzeugen, vom Ritual des Beschneidens abzukommen. Viele Sonnenaufgänge lang sind Mädchen unter unsäglichen Schmerzen verstümmelt worden, weil Männer meinten, weibliche Genitalien wären unansehnlich und nicht gottgewollt. Was für ein Unsinn. Manche Mädchen starben durch infizierte Wunden, denn die Beschneidungen wurden gewöhnlich mit Glasscherben oder gar scharfkantigen Steinen vorgenommen. Gingen die Beschneiderinnen mit benutzten, meist rostigen Rasierklingen vor, empfand man das bereits als fortschrittlich.
Zwar wunderte man sich zunächst, weshalb diese Weiße sich von ihrer Safarigruppe getrennt hat und, zumindest probeweise, hierzubleiben gedachte. Aber die Dramatik um ihre Person hatte sich bald gelegt. Endgültig dann, als Juhari sich bemühte, Stammesbräuche zu verstehen. Sie ließ es allerdings nicht zu, anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten ihre gepflegten Haare abschneiden und Kuhdung auf dem kahl geschorenen Kopf und ihre Brüste schmieren zu lassen. Das ist ein Fruchtbarkeitsritual, das Juhari nicht mehr benötigt.
Sie hat vier halbflügge Kinder und die reichen ihr. Aber sie möchte in den so andersartigen Kulturkreis der Massai eindringen. Unsterblich hat sie sich in die hochgewachsenen, tätowierten, mit bunten, die Brust bedeckenden Halsketten der Naturmenschen vernarrt. Insbesondere die Frauen dieses Naturvolkes lieben die Farbenvielfalt der Kleider und großformatigen Schmuck. Kinder laufen überwiegend nackt durch den Tag.
Fest entschlossen ist Juhari, herauszufinden, ob diese Rinderzüchter ebenso sexversessen sind wie Dogo, der Guide, der sie aus dem Tanganjikasee gerettet hatte. Oder der Ghanaer in der heimischen Villa, der manche Party durch akrobatische Eskapaden zum Erlebnis für lüsterne Gäste werden ließ. Gleichermaßen der zunächst so distinguiert auftretende Butler daheim hatte erheblichen Anteil am Gelingen der Gartenfeste.
Jetzt ist Juhari eine der drei Ehefrauen des Hakim, dem Schamanen. Sie ist erpicht darauf, zu erleben, wie das Eheleben hier abläuft. Der Auftakt gestern Nacht allerdings war nicht in ihrem Sinne. Heute wird ein weiterer Versuch unternommen. Sie ist aufgeregt wie ein kleines Kind vor der Weihnachtsbescherung.
Juhari ist ja nun eindeutig die Älteste in diesem Trio, aber wegen der weißen Hautfarbe für ihren weitaus jüngeren Mann die Attraktivste. Trotz ihrer 53 Jahre vermag sie es ohne Weiteres mit Hanaa aufzunehmen, die erst 41, für afrikanische Verhältnisse indessen bereits schrecklich alt ist. Ihre einstige Schönheit hat diese Frau durch ihre Kinder verloren, doch für Juhari ist sie weiterhin attraktiv.
Judith hatte in Deutschland ein wesentlich angenehmeres Leben, frei von Sorgen um das tägliche Brot. Das Wasser kommt aus der Wand, der Strom aus der Steckdose. Hier schöpft man es in Kalebassen aus einem Wasserloch, und in der Trockenzeit wird es kilometerweit, grazil, doch schweißtriefend auf dem Kopf balanciert, herangeschafft. Juhari beginnt eine völlig neue Lebensbahn; ob sie die durchstehen kann? Bringt sie die Kraft auf, gegen Nyota mit ihren 33 Sommern auf gleicher Höhe zu bestehen? Aber – Disharmonien unter den massaischen Ehefrauen gibt es nicht, solange die Gaben vom gemeinsamen Mann immer klar und gerecht verteilt werden.
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