» Wird offensichtlich einige scheußliche Stunden geben. Da ist es gut, wenn man nicht allein ist. So, als ich von der Tarantel gestochen wurde. Ehrlich gesagt, da hatte ich Schiss, dachte, würde einfach so abkratzen. Den Stress möchte ich nicht nochmals erleben. Und jetzt steht uns wieder so ein Schicksalsschlag bevor.« Arnold sinniert über die vor Kurzem glücklich überstandene Lebensgefahr.
»Es ist so, als wenn die Geister der Wüste uns Europäer als Eindringlinge ansehen und vertreiben wollen. Weshalb ausgerechnet jetzt dieser Sandsturm? Ist doch nicht die Regel, kommt alle paar Monate nur einmal vor, meist, nachdem im bengalischen Golf der große Regen fällt«, meint Botho.
»Ja, und dann entwickeln sich über dem Indischen Ozean gewaltige Wirbelstürme, Zyklone, saugen enorme Wassermassen in die Höhe und laden sie auf den nächsten Landmassen mit Urgewalt wieder ab. Für manche Gegenden ist das Wasser ein Segen, für andere bringt es Verderben.« „Ist ja ähnlich wie in der Karibik, wo die Inseln ebenso regelmäßig von gewaltigen Wirbelstürmen verwüstet werden.“
Botho hält sich zu geschäftlichen Terminen wiederholt in den Emiraten auf. Deshalb hat er einen gewissen Einblick in die thermischen Gegebenheiten des Landes. Als Pilot kennt er sich ebenfalls mit Wetterkapriolen aus, in der Luft, weniger auf dem Boden, in der Wüste.
»Tja, die Geister. In Kenia glauben die Massai auch daran, wie Judith mir sagte. Ihr Freund, der Hakim, – oder hat sie den bereits geheiratet? – dieser Schamane hat einen tagelangen Marsch unternommen, um seinen Gott Engai zu befragen, wem er die Rinder schenken solle; Die Mitgift, die jeder Heiratswillige den Brauteltern schuldig ist. Ob der Vulkangeist eine zufriedenstellende Antwort gegeben hat? Hab Judith noch nicht wieder gesprochen – oder hatte sie mir das doch schon gesagt?«
»Na ja, Geister, übernatürliche Kräfte – wer`s glaubt, mag glücklich sein. Glaube versetzt bekanntlich manchmal Berge. Ich halte mich mehr an die Tatsachen, und die sehen heute nicht vorwiegend rosig für uns aus. Sobald der Sturm uns überfällt, am Vormittag, wie man sagte, dann gnade uns Gott oder Allah oder Shiwa. Aber das ist auch so ein Gerede. Wenn wir Luft zum Atmen haben, könnten wir ihn überstehen, sonst .....«
Gedanken wie Blei belasten die Freunde, denn sie haben erhebliche Verpflichtungen: Gegenüber ihren jungen arabischen Medusen nebst Nachwuchs, den die Europäer zeugten, wie zu ihren abendländischen Frauen. Ihre Sterne stehen zur Zeit nicht günstig.
Manchmal kurz einnickend, dösen die Freunde dem Morgen entgegen. Sobald die Kamele einen Laut von sich gaben, schrecken die vom Unheil bedrohten wieder auf. Die Angst schleicht sich immer deutlicher in ihre Knochen. Was steht ihnen bevor, wenn die Sonne sich wie jeden Morgen über die Dünenkämme erhebt? Es könnte ihr letzter Tag anbrechen.
*
Juhari, wie die Deutsche Judith in der Mundart der Massai genannt wird, wartet wie ihre beiden >Mitfrauen< nach der durchtanzten Nacht auf ihren zweiten Ehemann.Sie hat die zwei anderen Weiber des Schamanen in ihrer Hütte untergebracht. Im dunklen Hintergrund, unsichtbar, führt sieim Schilde, ihre Geschlechtsgenossinnen miterleben lassen, mit welcher Gefühlsvielfalt eine Hochzeitsnacht erlebt werden kann, wenn ein Weib unverstümmelt ist. Der Massaiische Quickie ist eine Verachtung r Wesen.
Zu einer lasziven Vereinigung gehört eine stimmungsvolle Atmosphäre, und um eine solche zu erzeugen, sammelte Juhari Räuchersalbei und Seifenkraut. Diese Kräuter verströmen, fein zerrieben, ein anregendes Aroma. Mehrere Tranlichter verbreiten ein flackerndes, Fantasien auslösendes Licht in der Hütte, weshalb ängstlichere Typen darin sogar schwebende Geister vermuten könnten.
Die Funzeln erzeugen leider einen derart penetranten Geruch, dass sie für europäische Nasen kaum zu ertragen sind, für massaische Riechnerven demgegenüber erregend wirken. Juhari aber überwindet sich der Sehnsucht wegen, und in der Weise vorbereitet, erwartet sie Hakim. Hochzeitsnacht mit einem Massai fiebert Juhari entgegen wie ein reifes Mädchen der Defloration; bebend und doch erwartungsvoll.
Das selbstbewusste Naturvolk der Massai ist es durch Jahrhunderte alte Bräuche gewohnt, ihre Frauen nach dem Vorbild der Rinder zu zügeln. Hauptsache, der Moran hat seinen Spaß. Juhari mag diese Sitten nicht mittragen. Sie wird daran arbeiten, derartige Gepflogenheiten zu verändern.
Die Weiße versteift sich in den Gedankem, Mädchen des Stammes, dem sie jetzt angehört, oder weit besser, alle Jungfrauen Afrikas davor zu bewahren, nach altem Ritual verstümmelt zu werden. Beschneidungen bergen die große Gefahr, die > Patienten < zu infizieren, sodass sie im verhängnisvollsten Fall an eintretender Sepsis sterben. Manches Mädchen ist dabei unter unermesslichen Schmerzen ums Leben gekommen. Doch nach dem Glauben der Massai hat dann Gott Engai, der auf dem Vulkan Ol Doinyo Lengai wohnt, es so gewollt. Das sollte sich trotz alledem mit zunehmendem Wissensstand ändern, und Juhari will dahinwirken, dass diese frauenverachtende Sitte der Vergangenheit angehört.
Die Enkaji Juharis macht heute einen recht romantischen Eindruck. Flammen züngeln, werfen irritierende Schatten an die Hüttenwand und treiben Tränen in Juharis Augen. Nicht aus Schmerzen, sondern des penetranten Geruches wegen. diffuses Kerzenlicht in der Mitte der Hütte beleuchtet einen kleinen Tisch, auf dem Naschereien ausgebreitet liegen, die Randzone der Enkaji aber ist in Dunkel getaucht. Ihr ekelt vor den nach Kot riechenden Funzeln, für Massaiische Riechorgane ist der Gestank offenbar lusterregend.
Die Hochzeitsnacht mit dem Schamanen soll desgleichen für die unsichtbaren Geschlechtsgenossinnen zu einer Erkenntnis werden. Dafür nimmt Juhari in Kauf, dass ihr nahezu übel wird. Die Duftkräuter mildern etwas den reizenden Qualm der Tranfunzeln.
Bis jetzt hat ihr farbiger Galan den Vorhang zur Hütte nicht angehoben. Traut er sich nicht, eine Weiße zu ihrem Glück zu verhelfen? Vor Wochen, als man Juhari betrunken machte, sind vermutlich mehrere Massai über sie hergefallen. Das hat die Touristin aber, weil abgefüllt, nur schemenhaft wahrgenommen! Am nächsten Morgen bemerkte sie indessen einige Spuren auf sich, die diesen Verdacht in ihr aufkommen ließ. Und jetzt soll ihre offizielle afrikanische Hochzeitsnacht nicht Wirklichkeit werden?
Wochenlang hatte Judith mit ihrem Schild keinen Speer abfangen können. Das kommt dieser Amazone, die in Europa bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu draufgängerischen Aktionen bereitstand, wie eine Entwürdigung vor.
Ihr Hakim wird doch nicht weniger leistungsfähig sein als der Guide Dogo, der sie aus dem Tanganjikasee gerettet hat; dem sie pflichtschuldig ihre Dankbarkeit dafür abgestattet hat. Mit den Mitteln eines Weibes, natürlich. Und diese Instrumente gedachte sie heute von Neuem anzuwenden.
Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Nacht in den nächsten Tag verwandelt. Massai leben in der Nähe des Äquators. Noch hängen Tautropfen an den bereits wieder verdorrten Grashalmen, die für Insekten die einzige Wasserquelle in der Trockenzeit sind. Tagsüber herrscht unbarmherzige Hitze, die nächste Regenzeit wird von Mensch und Tier sehnsüchtig erwartet.
Kleinere Steppenbewohner haben Mühe, ihren Wasserbedarf zu decken; sie verziehen sich zu den heißen Stunden in Gebüsche oder Erdlöcher, während die größeren Lebewesen tagsüber dösen und die letzten Wasserlöcher am Abend aufsuchen. Da treffen sich dann alle, denen dürstet und die Hunger haben. Das Bedürfnis, den Durst zu löschen, ist bedeutender als die Angst, gefressen zu werden.
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