Er atmete tief ein, trat dann um das Geländer herum und ging die Stufen hinab. Unten stapelten sich leere Bierkästen. Er legte die Hand an das morsche Holz der Tür. Es gab keine Klinke und er nahm nicht an, dass sie offen war.
Er täuschte sich. Zwar konnte er die Tür nicht aufstoßen, doch das Schloss war nicht verriegelt. Er sah genauer hin – es schien aufgebrochen worden zu sein, lange Holzspäne standen ab, deutlich erkannte er, dass jemand die Tür mit einem Balleisen oder etwas Ähnlichem traktiert hatte.
Dennoch: Die Tür ließ sich keine Handbreit öffnen, etwas versperrte sie von der anderen Seite. Er nahm das Handy aus der Tasche, schaltete die Leuchte ein und hielt sie vor den engen, schwarzen Türspalt. Doch der dünne Lichtstrahl verlor sich in dem Meer aus Dunkelheit, das in dem Keller hauste wie etwas Lebendiges. Ein dunkles Cordsofa wurde sichtbar, irgendetwas Gläsernes stand davor, gleich links an der Rückwand befand sich offenbar ein Regal, mehr erkannte er nicht.
Er schaltete die Lampe wieder aus, blickte noch einmal auf die Uhr. Noch sieben Minuten – wenn Dollerschell pünktlich kam. Am besten, ich warte vor dem Haus, dachte er. Er hatte hier unten keinen Handy-Empfang, wie sollte Dollar ihn finden? Er blickte auf, der schwarze Schatten des Hauses lag über dem Garten, auch hier hinten waren alle Rollos heruntergelassen. Der Geruch von Katzenpisse lag in der Luft. Es ist ohnehin keiner zu Hause, sagte er sich. Die Nazis sind am See oder brüllen irgendwo mit bloßem verbrannten Oberkörper „Sieg heil“ bei einer Demo. Wahrscheinlich im Osten.
Er blickte auf die Tür. Ohne weiter nachzudenken, rammte er die Schulter dagegen. Es gab einen dumpfen Laut, irgendetwas quiekte leise auf der anderen Seite.
Der Spalt war nicht größer als zuvor.
Ratlos sah er sich um, fuhr sich mit einer Hand durch das leicht fettige Haar. Dann trat er zurück, bis an die Bierkästen, nahm Anlauf. Wieder donnerte er mit der Schulter gegen das morsche Holz. Rumpeln, Quieken. Ein stechender Schmerz durchzog sein rechtes Schultergelenk.
Scheiße, dachte Plossila und krümmte sich nach vorne. Ein verrosteter Abfluss grüßte vom Boden. Er begann, den Schmerz mit der linken Hand zu verreiben. Es würde einen blauen Fleck geben, er bekam immer schnell blaue Flecken.
Er inspizierte den Spalt. Zwei Zentimeter hatte er gewonnen. Wenn er sich noch zwanzig Mal dagegen warf, wäre er groß genug, um hindurch zu schlüpfen. Und seine Schulter wäre mit Sicherheit verrenkt, ausgekugelt oder gebrochen. Oder alles gleichzeitig.
Ich warte auf Dollerschell, zu zweit wird es gehen.
Plossila fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, drehte sich einmal im Kreis, trat dann mit der Pike gegen die Bierkästen. Es klirrte.
Dollerschell, dachte er. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals mit einem gewissenhafteren Polizisten zusammengearbeitet zu haben. Und er hatte sich weiterentwickelt in den letzten Jahren. Früher war er oft unkonzentriert gewesen, ein bisschen fahrig, jetzt entging ihm immer weniger. Er konnte ein guter Ermittler werden, das Einzige, was ihm fehlte, war manchmal die zündende Idee. Die Phantasie, die auch irgendwie dazugehörte.
Dollerschell war eher ein Mann der Vorschriften und der Dienstanweisungen, wusste Plossila. Würde er wirklich mit ihm hier unten diese Tür aufbrechen und ohne Hausdurchsuchungsbefehl in dieses Gebäude eindringen?
Plossila musste sich keine Antwort auf diese Frage geben, stattdessen kickte er erneut gegen die Bierkästen. Er betrachtete die Kästen. Dann die Tür.
Ja, dachte er, so könnte es gehen.
Er machte einen Schritt auf die Tür zu, lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Die Füße stemmte er gegen die Bierkästen, bis er zwischen Tür und Kästen in der Luft hing. Dann presste er sich mit Wucht gegen das morsche Holz, stemmte die Bierkästen gegen die Wand. Er stieß einen unterdrückten Schrei aus, hörte hinter sich das Jammern der Tür. Er hielt die Luft an, presste mit voller Wucht, bis sich ein erneuter Schrei aus seinem Inneren löste und wie aus einem unter Druck stehenden Ventil aus ihm entwich. Endlich, die Tür gab nach, erst einen kleinen Spalt, dann gab es einen Ruck und Plossila sackte auf den Boden.
Aus dem Abfluss roch es nach Verwesung, eine Spinne streckte ihre langen Beinchen über das rostige Gitter. Plossila rappelte sich auf die Knie, drehte sich um.
Der Türspalt war jetzt knapp unterarmgroß, er würde hindurchpassen, wenn er den Bauch einzog. Er stand auf, schaute erneut ins schwarze Nichts. Immerhin sah er das Leuchten einer roten Diode am anderen Ende des Raums. Ein Lichtschalter!
Plossila atmete tief ein und schob sich durch den Türspalt, er hätte keinen Zentimeter kleiner sein dürfen.
Eine plötzliche Kühle umfasste ihn, Staub kitzelte in der Nase und es roch unangenehm nach Bier und Schweiß und einem Hauch von Cannabis. Auf dem Boden lag ein schmaler Lichtkegel, wie ein langes gelbes Kuchenstück sah es aus. Es fiel durch den Türspalt in den Raum und beleuchtete die versiffte Cord-Couch und einen Teetisch, in den sich Staub, Schmutz und Asche gefressen hatten.
Eine komplette Schrankwand hatte die Tür versperrt, sie reichte fast bis zur anderen Seite des Raumes. Offenbar hatte man sie von der Wand gelöst und vor die Tür gewuchtet. Plossila hielt sich mit einer Hand daran fest und tastete sich durch die Dunkelheit in Richtung des Lichtschalters. Unter seinen Sohlen knirschte es. Zerbrochenes Glas, wusste er.
Bevor er den Lichtschalter drückte, blickte er hinaus in den angrenzenden Flur, doch sah er nicht die Hand vor Augen. Er drehte sich wieder dem Zimmer zu, schaltete die Lampe ein.
Die Birne flackerte, schoss zuckende Lichtblitze durch den Raum. Erhellte die Sofalandschaft, an der Wand eine riesige Fahne mit Totenkopfschädel. Combat 18, las Plossila gerade noch, dann war das Licht schon wieder aus.
Verfluchtes Ding!
Erneutes Flackern. Plossila sah einen Vitrinenschrank mit Pokalen, wie er sie von Fußballturnieren kannte. Er blähte die Backen. Dollerschell würde jeden Augenblick da sein. Und dann? Er konnte sich auf eine Rechtsbelehrung seines Kollegen einstellen. Aber es half nichts, er musste an dieser Stelle abbrechen und die Strategie gemeinsam mit seinem Kollegen besprechen.
Doch als er sich der Ausgangstür zuwendete, stieg ein eigenartiges Gefühl in ihm auf. Er konnte es zuerst nicht zuordnen, doch dann wusste er es plötzlich.
Es war das Gefühl, beobachtet zu werden.
Instinktiv drehte er sich um, blickte in Richtung Flurtür, die nur schemenhaft zu erkennen war.
Ein kalter Schauer kroch ihm über den Rücken, seine Handflächen wurden feucht und er spürte, wie er immer schneller zu atmen begann.
Ganz ruhig, sagte er zu sich selbst. Er wusste, dass man sich in solchen Situationen schnell von Gespenstern umstellt fühlte. Ich darf mir jetzt nichts einbilden! Der größte Feind in der Dunkelheit war die eigene Phantasie.
Das Licht flackerte. Auf einmal Tageshelle.
Ein Gesicht.
Ein Mann mit dichtem Backenbart stand in der Tür. Reglos, mit kalten Blick, die Arme verschränkt.
Flackern, Dunkelheit.
Plossilas Herz stand still, für die Ewigkeit einer Sekunde konnte er sich nicht rühren. Vorne eine reglose Silhouette, im fahlen Türspaltlicht. Dann, mit einem Mal Zugluft, sie umgriff Plossilas Nacken, durchfuhr sein Haar, kroch in sein Hemd. Es donnerte, die Wände vibrierten. Die Kellertür hinter ihm, sie war zugefallen.
Vollkommene Dunkelheit. Schwarze Nacht.
Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden. Plossila stand still, doch er hatte das Gefühl, er beginne zu taumeln. Plötzlich drehte sich alles. Er versuchte, die Hand auszustrecken, um sich an der Schrankwand festzuhalten. Doch er konnte nicht. Er war wie versteinert.
Das Deckenlicht zitterte.
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