„Was ist denn ein Cocktailwettbewerb? Und warum arbeitet Fabian in der Bar?“, fragte Tony.
„Da sind sieben oder acht Barkeeper, die jeder einen selbst kreierten Cocktail mixen und eine Jury entscheidet dann, welcher der beste ist. Keine große Sache, aber sicher sehr lustig. Und mein Bruder arbeitet dort, weil das sein Beruf ist. Er ist Barkeeper.“
„Fabian ist Barkeeper?“, fragte Tony nach.
„Ein verdammt guter“, erwiderte Jonas. Stolz auf seinen Bruder klang in seiner Stimme mit. „Ich bin mir sicher, dass er gewinnen wird.“
Tony, die immer noch nicht bereit war, ein gutes Haar an Fabian zu lassen, dachte „Jetzt weiß ich, wo er die ganzen Frauen, die ihm nachgesagt werden, kennenlernt. Einfacher konnte es ein Mann wohl kaum haben.“
Silke lehnte schweren Herzens ab, da sie schon einen Termin hatte, den sie unmöglich absagen konnte.
Tony lehnte ebenfalls ab, da sie noch lernen müsse. Nichts lag ihr ferner als Fabian auch noch bei seinen diversen Flirts zu beobachten.
Abends telefonierte Jonas mit seinem Bruder.
„Tut mir leid, Bruderherz“, sagte Jonas zu Fabian. „Anscheinend muss Tony morgen lernen.“
„Sie kann doch nicht ständig lernen“, seufzte Fabian.
„Warum ist es dir denn so wichtig, dass sie mitkommt?“
„Es ist mir nicht wichtig, ich wollte nur, dass sie mal rauskommt.“ Fabian legte den Hörer auf. Dann blickte er sein Spiegelbild an. Der letzte Satz war gelogen. Es war ihm wichtig, dass Tony kam. Nur hatte er keine Antwort darauf, warum. Erneut griff er zum Telefonhörer.
„Hi, Spatz“, begrüßte er Tony als sie sich meldete.
„Mein Name ist Antonia“, beklagte sie sich. „Aber das wirst du dir wohl nie merken.“
Fabian überging ihre Bemerkung. „Ich habe gehört, dass du noch überlegst, mich morgen Abend zu unterstützen.“
Typisch, dachte Tony, die noch genau wusste, dass sie abgelehnt hatte, in die Bar zu kommen. Sie hatte nicht gesagt, sie denke noch drüber nach. Fest entschlossen, sich nicht wieder von Fabian provozieren zu lassen, antwortete sie: „Ich denke nicht, dass ich Zeit haben werde. Personal lernt sich leider nicht von selbst.“
„Also immer noch die Nase in den Büchern.“
So, wie Fabian diesen Satz betonte, klang es, als müsse sie sich dafür schämen, dass sie ihr Studium ernst nahm.
„Ich möchte eben was aus meinem Leben machen“, giftete Tony ärgerlich. Hat ja nicht lange gedauert, mich nicht provozieren zu lassen.
„Soll das eine Kritik an meinem Beruf oder an mir als Person sein?“, fragte Fabian belustigt.
„Das ist lediglich eine Anmerkung, dass ich lernen muss.“ Tony fragte sich, warum sie nicht einfach den Hörer auflegte.
„Nein, Spatz. Das war eine Kritik. Und ich finde, bevor du meinen Beruf kritisierst, solltest du dir erstmal angucken, was ich überhaupt mache.“
„Stell dir vor, ich war in meinem Leben schon öfters in einer Bar. Und ich habe dort auch Barkeeper gesehen.“
„Aber mich noch nicht.“
„Hast du noch nicht genug Frauen, die dich anhimmeln?“
„Interessant, dass du meinst, dass du mich anhimmeln sollst.“
Tony wurde rot. „Na gut, ich werde da sein“, gab sie klein bei, um das Gespräch schnellstens beenden zu können.
„Sehr schön. Dann bis morgen.“
Fabian legte auf und lächelte.
Als es an der Tür klingelte, klappte Tony ihr Buch ärgerlich zu. Wie sollte sie denn hier zum Lernen kommen, wenn es zuging, wie in einem Taubenschlag. Sie öffnete. Vor ihr stand Matthias mit einer einzelnen roten Rose in der Hand. Auch das noch. Seufzend trat sie einen Schritt zur Seite und ließ ihn eintreten.
„Hi, Tony. Da ich dich telefonisch nicht erreiche, dachte ich, ich komme persönlich vorbei.“
Er hielt ihr die Rose hin.
„Vielen Dank, Matthias. Geh schon mal in mein Zimmer. Ich stell nur kurz die Blume ins Wasser.“
Der hat mir grade noch gefehlt, dachte Tony während sie eine Vase suchte. Nachdem die Rose versorgt war, ging sie ebenfalls in ihr Zimmer. Matthias saß am Schreibtisch und blätterte in ihrem Buch über Personal.
„Bist du schon wieder am Lernen?“, fragte er als er sie reinkommen hörte. Warum stellte ihr heute jeder diese Frage? Als wäre es ein Verbrechen. Mit mühsam beherrschter Stimme antwortete sie: „Sieht wohl so aus. Ich bin nächstes Jahr fertig mit dem Studium und muss sehen, dass ich in Personal bessere Noten schreibe als in den vergangenen Jahren.“
„Es gibt tatsächlich ein Fach, in dem du nicht so gut bist?“ Erstaunt guckte Matthias sie an.
„Matze, was willst du hier? Du möchtest doch bestimmt nicht mit mir über BWL reden.“
„Nein, nicht wirklich. Ich würde gerne über uns reden.“
Tony blickte ihn genervt an. Dann war jetzt wohl der Zeitpunkt gekommen, wo sie ihn aufklären musste. „Es gibt kein `uns`“, sagte sie. „Wir hatten einen netten Abend, mehr aber auch nicht. Nur, weil ich dich geküsst habe, werde ich dich nicht gleich heiraten.“ Tony war wirklich langsam am Verzweifeln. Und da sie einen stressigen Tag gehabt hatte, hatte sie auch nicht die Geduld, Matthias das ganze schonender beizubringen.
Matthias lächelte sie an. „Da habe ich aber etwas ganz anderes gehört.“
Verständnislos sah Tony ihn an. Was sollte das denn nun bedeuten?
„Jemand hat mir erzählt, dass du so etwas sehr ernst nimmst“, erklärte Matthias seine letzte Äußerung. „Du bist keine Frau, die wild in der Gegend rumknutscht, ohne sich was dabei zu denken.“
„Wer immer dieser Jemand auch war“, presste Tony hervor und dachte im gleichen Moment, dass es nur Fabian gewesen sein konnte, der so einen Unsinn erzählte. Wahrscheinlich um mich zu ärgern. „Er kennt mich bestimmt nicht so gut, um das wissen zu können.“
Matthias zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ist das heute ein ungünstiger Moment, um reden zu wollen.“
Erleichtert stimmte Tony zu, da sie keine Lust auf lange Debatten hatte. Und das schien eine werden zu wollen.
„Wie wäre es denn mit morgen Abend? Ich lade dich zum Essen ein.“
„Da habe ich schon was vor.“
„Was denn?“
„Ich werde mit Judit und Jonas zu einem Cocktailwettbewerb gehen.“
Matthias zuckte sichtlich zusammen als er das hörte. „Und wieder ist es Fabian, der die hübschesten Frauen bekommt“, stellte Matthias gereizt fest.
„Es ist besser, wenn du jetzt gehst“, sagte Tony nun wirklich verärgert. „Und nur um das klar zu stellen. Ich gehe nicht wegen Fabian in die Bar.“
„Glaubst du eigentlich selber, was du da sagst?“, fragte Matthias mit einem verletzten Blick und verließ die Wohnung.
„Großer Gott, ist das voll hier“, sagte Judit als sie die Bar betraten. Tony blickte sich interessiert um. Soweit sie sehen konnte, war die Bar sehr geschmackvoll eingerichtet. An den Wänden hingen Schwarz-Weiß-Bilder von Louis Armstrong, der Trompete spielte und Aretha Franklin, die in einem langen Kleid auf der Bühne vor einem Mikrophon stand. Auch waren hier und da einzelne Singles an den Wänden angebracht worden. Die Wände selber waren aus Natursteinen, was dem ganzen Raum eine gemütliche Atmosphäre verlieh, die noch durch das gedämpfte Licht, das aus kleinen Lampen, die direkt über den Tischen schwebten, fiel, unterstützt wurde. Über die gesamte hintere Breite zog sich ein Holztresen, der so groß war, dass er noch um eine Ecke reichte. Davor standen die typischen Barhockern, die man aus amerikanischen Filmen kannte. Hinter dem Tresen gab es mehrere Regale auf denen zahlreiche Flaschen standen. Soweit Tony die Etiketten der Flaschen lesen konnte, hatte sie von der Hälfte des vorhandenen Alkohols noch nie etwas gehört. Schien also gut sortiert zu sein. Hinter dem Tresen war ein großer Spiegel angebracht, sodass der ganze Raum viel größer wirkte als er in Wirklichkeit war. Aus mehreren Lautsprechern erklang leise Jazzmusik. Tony, die sich damit nicht auskannte, war sich trotzdem sicher, dass es Louis Armstrong war, den sie grade hörte. Hinter der Bar standen mehrere junge Männer, die ein wenig nervös wirkten. Nur Fabian konnte sie nicht entdecken.
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