Morgens um halb vier setzte Fabian die beiden Frauen vor ihrer Haustür ab. „Ich hoffe, ihr habt euch amüsiert“, sagte Jonas und gab Judit noch einen Abschiedskuss.
„Tony bestimmt“, erwiderte Fabian und hielt ihr die Hand hin, um ihr aus dem Auto zu helfen.
„Wie meinst du denn das?“, fragte Tony seine Hand ignorierend. Sie kam auch ohne Hilfe aus dem Auto; wenn es auch etwas länger dauerte und nicht ganz so elegant aussah.
„Fabian spielt bestimmt auf deine Knutscherei mit Matze an“, schaltete sich Judit ein.
„Eifersüchtig, weil er mich küssen durfte?“, fragte Tony keck und warf Fabian einen frechen Blick zu. Fabian ersparte sich die Antwort. Stattdessen öffnete er die Fahrertür und wollte sich grade hineinsetzen, als Tony diese wieder zuschmiss.
„Das scheint ein Hobby von dir zu sein“, stellte er ruhig fest.
Tony stellte sich vor Fabian. Da sie auf dem Fußweg stand während er noch auf der Straße war, waren sie genau auf Augenhöhe. Erwartungsvoll schaute Fabian sie an. Tony hob ihre Hand und strich leicht über seine Wange. Dann bewegte sie ihre Finger weiter über die empfindliche Haut an seinem Hals entlang bis hin zu seinem Nacken und zogen ihn sanft aber bestimmt zu sich herunter. Als sich ihre Lippen berührten, schloss sie die Augen. Er hatte weiche Lippen, die sie vorsichtig mit ihrer Zunge berührte. Fabian öffnete nach kurzem Zögern leicht den Mund. Tonys Hand wanderte von seinem Nacken hin zu seiner Schulter, wo sie ihn vorsichtig ein Stück von ihr weg drückte. „Ich hoffe, du bist jetzt nicht mehr eifersüchtig“, bemerkte sie mit fast lautloser Stimme und einem zynischen Lächeln, drehte sich um und verschwand im Hausflur.
Fabian blickte ihr verblüfft hinterher.
Jonas sah Fabian ins Gesicht und fing schallend an zu lachen. „Und?“, fragte er nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. „Bist du noch eifersüchtig?“
„Steig ein und halt den Mund!“
Grinsend wandte sich Jonas an Judit, während er auf dem Beifahrersitz Platz nahm. „Wir sehen uns morgen, Schatz. Und grüß Tony von mir.“
Fabian erwachte am nächsten Morgen ziemlich früh. Da er nicht mehr einschlafen konnte, stand er auf, zog seine Jogging-Klamotten an, nahm den MP 3 Player und verließ die Wohnung. Er lief jeden Tag die gleiche Strecke, insgesamt zwölf Kilometer. Während seine Beine automatisch den Weg fanden, dachte er über den vergangenen Abend nach. Tony hatte ihn überrascht. Jonas hatte ihm bereits vor drei Wochen von ihr erzählt. Was er erwähnte, war allerdings, dass sie, wie nannte er es, verklemmt sei. Als er sie mit Matze knutschend in der Ecke sitzen sah, bekam er nicht grade den Eindruck, dass sie verklemmt sei. Genauso wenig wie in dem Moment als sie ihn geküsst hatte. Gut, er musste zugeben, dass er sie vom ersten Augenblick an provoziert hatte. Und es hatte ihm Spaß gemacht. Tony schien nicht ganz so zu sein, wie Jonas sie schilderte. Fabian lachte bei dem Gedanken an den letzten Abend in sich hinein. Er wusste von Anfang an, dass diese Frau eine Herausforderung war und hatte sich nicht getäuscht. Mal sehen, wo das alles hinführte. Er beendete sein Jogging und setzte sich auf eine Bank. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er heute zwanzig Sekunden schneller gewesen war als sonst.
„Hallo, Fabian. Was machst du denn auf einem Sonntag so früh hier?“ hörte er eine weibliche Stimme.
„Hallo, Katrin“, begrüßte er die junge Frau, die lächelnd auf ihn zukam. „Ich konnte nicht mehr schlafen. Also bin ich joggen gegangen, in der Hoffnung auf eine hübsche Frau zu treffen, der es ähnlich geht.“
Katrin lachte auf. „Charmant wie immer. Dabei hat dein Körper so ein Training gar nicht mehr nötig“, erwiderte sie mit einem bewundernden Blick auf ihn und setzte sich.
„Vielen Dank“, antwortete Fabian mit einem Lächeln und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Er hatte Katrin vor etwa drei Wochen in einer Disko kennen gelernt und die Nacht mit ihr verbracht.
„Hast du nicht Lust, mit mir Eis essen zu gehen? Es wird bestimmt ein sehr heißer Tag“, stellte sie fest und wedelte sich demonstrativ mit der Hand Luft zu. Dabei achtete sie darauf, dass ihr T-Shirt ein wenig höher rutschte, sodass Fabian einen Blick auf ihren schlanken Bauch werfen konnte. „Oder hast du schon andere Verpflichtungen?“, fragte sie mit einem sehr gelungenen Schmollmund.
Fabians Blick fiel ungeniert auf ihren Bauch. „Und wenn, würde ich sie kurzerhand absagen“, entgegnete er.
„Du bist wirklich der charmanteste One-night-stand den ich je hatte“, gab Katrin zu und legte ihre Hand auf seine.
Fabian lachte auf. „Ich hoffe doch, dass du so viele One-night-stands noch nicht hattest“, ging er auf ihren Flirt ein.
„Und wenn, würde ich es nicht zugeben“, antwortete sie verwegen und schlug gespielt schüchtern die Augen nieder, was Fabian besonders reizend fand.
„Ich gehe nur kurz nach Hause, duschen. Dann hole ich dich ab. Hast du was dagegen, wenn mein Bruder und seine Freundin mitkommen?“
Katrin schüttelte den Kopf.
„Dann bis gleich. Ich freue mich.“
Sie stand auf. „Vielleicht können wir aus dem One-night-stand ja einen Two-night-stand machen“, fügte sie herausfordernd und sehr direkt hinzu.
„Wer könnte so einer netten Aufforderung widerstehen.“ Fabian zwinkerte ihr zu und lief in Richtung seiner Wohnung davon.
Als er dort angekommen war, rief er seinen Bruder an und fragte ihn, ob sie sich auf ein Eis treffen wollten. Dieser stimmte begeistert zu. Ihm wäre sowieso zu heiß für irgendwelche anderen Aktivitäten. Fabian legte auf. Sie waren so verblieben, dass er Jonas gleich abholen und sie gemeinsam zu Judit fahren würden. Das wiederum bedeutete, dass er Tony wiedersehen würde. Fröhlich vor sich hin pfeifend ging er duschen.
„Guten Morgen, junge Dame“, begrüßte Judit Tony. „Hast du gut geschlafen?“
„Geht so“, murmelte sie. „Ich glaube mit soviel Alkohol im Blut schläft man nicht gut.“
„Möchtest du einen Kaffee oder verträgt das dein Magen noch nicht?“
Tony hielt ihr schweigend die Tasse hin, die Judit schmunzelnd füllte.
Nachdem Tony einen Schluck genommen hatte, blickte sie Judit über den Rand ihrer Tasse an. „Sag mal, das mit Fabian und dem Kuss zum Schluss war kein Traum, oder?“
„Sein Gesicht war göttlich. Ich glaube, das war das erste Mal in seinem Leben, dass er sprachlos war.“
„Ich hab’s befürchtet. Es war kein Traum“, seufzte Tony verzweifelt.
„Mach dir keinen Kopf!“, entgegnete Judit und stellte ihr Geschirr in den Spüler.
„Du hast leicht reden. Sowas ist normalerweise gar nicht meine Art.“
„Das kannst du ihm ja gleich erklären. Ach ja, Matze hat vorhin angerufen und wollte dich sprechen.“
„Auch das noch. Matze ist zwar ganz nett, aber...Moment mal!“, rief Tony entsetzt aus als ihr klar wurde, was ihre Freundin grade gesagt hatte. „Fabian kommt gleich?!“
Judit nickte. „Jonas, Fabian, Katrin und ich wollen Eis essen gehen.“
„Katrin?“, fragte Tony verwirrt.
„Scheint eine Freundin von Fabian zu sein. Ich hätte dich gefragt, ob du mitkommen möchtest, aber du wolltest ja lernen.“
„Ja, muss ich auch dringend. Viel Spaß.“ Tony nahm die Kaffeekanne und ihre Tasse und ging in ihr Zimmer. Entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten schloss sie die Tür hinter sich.
Judit grinste. „Falls du nachkommen möchtest, wir sind bei Piedro´s!“, rief sie ihr noch hinterher.
Tony setzte sich an ihren Schreibtisch und schlug das Buch über Algebra auf. Sie hatte nur noch wenig Zeit sich den ganzen Kram zu merken. Das Sommersemester war in vier Wochen zu Ende und dann folgten die Klausuren. Sie schenkte sich Kaffee nach und begann zu lernen. Tatsächlich schaffte sie es, sich so sehr zu konzentrieren, dass sie die Klingel völlig überhörte.
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