Tony starrte ihm perplex hinterher. Das hatte sie wohl hoffentlich grade geträumt. Wenn sie eins nicht leiden konnte, dann war es, wenn sich jemand die Frechheit herausnahm, ihr ohne ihre Erlaubnis zu nahe zu kommen. Und sie dann auch noch für einen kleinen Augenblick aus der Fassung zu bringen. Hinter sich hörte sie Judit lachen. Tony erwachte aus ihrer Erstarrung, schnappte sich ihre Jacke und stürmte Fabian nach.
Als Judit und Jonas, die Tony grinsend gefolgt waren, aus der Haustür traten, bot sich ihnen ein interessantes Bild. Fabian lehnte entspannt am Auto und schaute die um einen Kopf kleinere Tony spöttisch lächelnd an, während diese ihn anschrie.
„Hey, Mister, um eins gleich klarzustellen: wir kennen uns nicht gut genug als das du das Recht hättest, mich zu küssen. Auch nicht zur Begrüßung.“
Fabian zog die Augenbrauen hoch. Dann zuckte er mit den Schultern als wolle er sagen `Wenn du meinst` und öffnete die hintere Autotür, um Tony beim Einsteigen zu helfen. Erbost schlug diese die Tür wieder zu. Sie war noch nicht fertig mit ihm.
„Das wird erst geklärt. Ich mag es nicht, so behandelt zu werden!“
„Wie habe ich dich denn behandelt?“, fragte Fabian sichtlich amüsiert.
Tony schnappte hörbar nach Luft. „Als wüsstest du nicht genau, was ich meine.“
Fragend blickte Fabian sie an. Tony kochte innerlich. Das machte dieser Kerl mit voller Absicht. Und das brachte sie erst recht auf die Palme.
„Ich bestimme, wer mich küssen darf. Und du gehörst ganz gewiss nicht dazu.“
„OK, Spatz. Können wir dann fahren, jetzt, wo das geklärt ist?“
Tony blieb ob soviel Frechheit der Mund offen stehen. Sie hatte das deutliche Gefühl, dass er sie absolut nicht ernst nahm. Was sich auch bestätigte als Fabian erneut die hintere Tür öffnete. Wieder schlug Tony diese zu.
„Was bildest du dir eigentlich ein?“ Böse funkelte sie ihn an. „Es mag ja sein, dass es Frauen gibt, die auf dieses Macho-Gehabe stehen. Zu denen gehöre ich allerdings nicht.“
„Und was gefällt dir?“ Ruhig blickte Fabian sie an.
Einen kleinen Moment geriet Tony etwas aus der Fassung, da sie mit so einer Äußerung nicht gerechnet hatte. Dann antwortete sie heftig: „Zu einem Mann gehört jedenfalls mehr als nur gutes Aussehen. Höflichkeit und Respekt wären für den Anfang nicht schlecht.“
„Vielen Dank.“
„Wofür?“, fragte Tony verwirrt.
„Für das Kompliment über mein Aussehen.“ Fabian öffnete zum dritten Mal die hintere Tür.
Tony starrte ihn ungläubig an. Dieser Mann war absolut unfassbar. Und völlig von sich überzeugt.
„Lasst uns endlich fahren“, schaltete Judit sich dazwischen, bevor Tony die Tür zum dritten Mal zuschlagen konnte und stieg ins Auto. „Wenn ihr das unbedingt ausdiskutieren wollt, könnt ihr das auch noch in der Kneipe tun.“
Fabian warf Tony ein charmantes Lächeln zu und hielt ihr weiterhin die Autotür auf. Mit der Hand deutete er ins Innere. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, stolzierte sie an ihm vorbei und setzte sich.
„Na, dann auf“, sagte Jonas und nahm neben seinem Bruder Platz. Bevor Fabian los fuhr, stellte er den Spiegel so ein, dass er sowohl den hinteren Verkehr als auch Tony beobachten konnte. `Diese Frau ist eine echte Herausforderung`, dachte er und fuhr los.
Tony blickte stur aus dem Fenster. Nach einer Weile jedoch drehte sie den Kopf in Richtung Frontscheibe und begegnete Fabians Blick im Spiegel, der sie unverhohlen anstarrte. Es schien ihm nicht mal peinlich, dass sie ihn dabei erwischt hatte. Schnell schaute sie wieder nach draußen. Fabian lächelte still vor sich hin.
Eine halbe Stunde später betraten sie den Irish-Pub. Jonas und Fabian wurden herzlich begrüßt. Die Gruppe, die aus drei Männern und einer Frau bestand, rückte sofort zusammen. Jonas besorge noch vier weitere Stühle, während Fabian seine Aufmerksamkeit der einzigen Frau der Clique zukommen ließ anstatt seinem Bruder zu helfen.
War ja klar, dachte Tony und registrierte, dass die Frau Fabians Charme nicht abgeneigt war. Ganz im Gegenteil, sie genoss es seine volle Aufmerksamkeit zu haben. Gleich wird mir schlecht. Tony hielt eine Kellnerin an und bestellte sich einen Prosecco.
„Hey, Fabian“, hörte sie einen der Männer sagen. „Möchtest du uns nicht deine neueste Flamme vorstellen?“ Entsetzt bemerkte Tony, dass der junge Mann auf sie deutete. Anscheinend ging man automatisch davon aus, dass sie zu Fabian gehörte, da Judit eindeutig Jonas´ Freundin war. Und Fabian tat nichts, das ganze richtig zu stellen. Ganz im Gegenteil.
„Spatz, das ist Matze, Matze, das ist Tony“, stellte er die beiden vor und wandte sich wieder der anderen Frau zu.
„Freut mich, dich kennen zu lernen“, sagte Matze zu Tony.
„Ich bin nicht seine Flamme“, entgegnete Tony empört. Es ärgerte sie, dass Fabian sie so nebenbei vorstellte. Er hatte nicht mal genug Anstand, dabei seinen Flirt zu unterbrechen. Wäre sie wirklich mit ihm hier, hätte er spätestens jetzt ihren Prosecco im Gesicht. „Etwas mehr Geschmack kann man mir ruhig zutrauen“, fügte sie verärgert hinzu.
„Hört, hört“, lachte Matze auf. „Da scheinst du es diesmal nicht ganz so einfach zu haben wie sonst immer, Fabian.“
Fabian ignorierte ihn.
Matze bestellte eine Runde Whiskey für alle. Als die Kellnerin das Glas vor Tony stellte, betrachtete diese skeptisch die goldene Flüssigkeit. Normalerweise trank sie keinen Schnaps und erst recht keinen Whiskey. Aber heute war eindeutig ein Tag für eine Ausnahme. Augen zu und durch. Tony nahm einen tiefen Schluck. `Na hoppla`, dachte sie. Schmeckt gar nicht so schlecht und brennt überhaupt nicht in der Kehle. Anscheinend gab es gravierende Unterschiede zwischen Whiskey und Whiskey.
Ungewollt ging ihr Blick in Richtung Fabian. Dessen Glas stand noch unberührt vor ihm.
„Ich muss noch Auto fahren. Also keinen Alkohol für mich.“ Fabian schien das allgemein zu sagen, blickte dabei allerdings Tony direkt in die Augen. Und wieder fühlte sie sich ertappt. Dieser arrogante selbstgefällige Kerl. Was musste er auch ausgerechnet in dem Moment hochgucken, wo sie ihn anschaute?! Dabei hatte sie nur sehen wollen, ob er den Whiskey trank. Schließlich musste sie noch mit ihm zurückfahren. Da war es ihr gutes Recht abzuchecken, ob der Fahrer auch nüchtern blieb.
„Und Matze“, wandte sie sich demonstrativ an den neben ihr sitzenden, „woher kennen Jonas und du euch?“
Während Matze zu erzählen anfing, registrierte Tony aus den Augenwinkeln, dass Fabian mit der Frau aufstand und die Kneipe gemeinsam mit ihr verließ. Tony konnte sich vorstellen, was draußen vor der Tür jetzt ablief. Sie hoffte nur, dass er nicht allzu spät zurückkam.
„Hörst du mir überhaupt zu?“, hörte sie Matze fragen. „Oder interessiert es dich mehr, wohin Fabian mit Susi verschwunden ist?“
Tony blickte ihn ruhig an und sagte: „Das einzige, was mich daran interessiert, ist, was sie bewogen hat mit ihm rauszugehen. Ich persönlich ziehe eure Gesellschaft der von Fabian eindeutig vor.“
Matze lächelte. Das war eine Frau nach seinem Geschmack. Nicht, dass er etwas gegen Fabian hatte. Im Gegenteil, er zählte ihn durchaus zu seinen Freunden. Aber es gefiel ihm nicht, dass Fabian niemals Schwierigkeiten hatte, dem weiblichen Geschlecht nahe zu kommen, während andere, sich selbst einbezogen, sich da wesentlich schwerer taten. Aber Tony schien anscheinend keinerlei Interesse an Fabian zu haben. Im Gegenteil; irgendwie machte Fabian sie eher wütend. Na ja, konnte Matze nur recht sein. So hatte er wenigstens bei dieser einen Frau mal keine Konkurrenz von Seiten Fabians zu befürchten. Tony, die ihre Aufmerksamkeit jetzt ganz Matze zugewandt hatte, hörte ihm zu, wie er von seinem ersten Treffen mit Jonas erzählte. Sie unterhielten sich auch noch zwei Stunden später als Fabian den Pub wieder betrat; natürlich ohne Susi. Er setzte sich schweigend an den Tisch und beobachtete Tony durch seine langen dunklen Wimpern. Diese saß mittlerweile fast auf Matzes Schoss und war nicht mehr ganz nüchtern. Als sein Blick auf die vielen leeren Whiskeygläser fiel, schmunzelte er.
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