Dermaßen aufgewühlt habe ich den Atlantik noch nie gesehen! Eigentlich kann ich nun überhaupt nichts mehr draußen erkennen, es fühlt sich alles ein bisschen an als wäre ich Protagonistin in einer von Stephen King beschriebenen Horrorgeschichte und sitze in einer vom Teufel persönlich entworfenen Autowaschanlage und gleich wird was ganz fruchtbar Schreckliches und Gruseliges passieren.
Miki, der seinen ersten Sturm bewusst wahrnimmt, beginnt zu weinen und hat schreckliche Angst. Eng umschlungen verharren wir im Bus. Ich merke, wie Mikis kleiner Körper zittert.
Miki ist nun sechs Jahre alt und normalerweise ein echter Sonnenschein. Mutig, robust und kerngesund, doch so winzig und verängstigt habe ich ihn noch nie erlebt, es bricht mir fast das Herz.
„Alles gut mein Engel, in Bus Lee kann uns nichts passieren. Hier sind wir Hundertprozent sicher.“, beruhige ich mich eher selbst. Ich drücke das verängstigte Kind fest an mich heran.
Vom Blitz getroffen werden: Das ist eine Urangst des Menschen, auch im Auto. Und meine einzige Phobie sind Blitze!
“Miki, irgendwann wirst du es noch in der Schule in Physik lernen, aber es kann ja nicht schaden, es vorher zu wissen.”, versuche ich das Kind und mich selbst, mit der Ablenkungsstrategie zu beruhigen.
“Sollte der Blitz wirklich einmal einschlagen, wirkt die Karosserie von Bus Lee als sogenannter faradayscher Käfig. Der leitet die elektrische Entladung um die Insassen herum. Uns kann also nichts passieren!”
Was ich Miki nicht sage, ist, dass man im Innenraum nach dem Blitzeinschlag keine Metallteile berühren sollte, die mit der Karosserie in Verbindung stehen.
Bei der heute üblichen Kunststoffauskleidung in PKWs dürfte das kein großes Thema sein, aber in meinem Bulli von 1971 ist eher mangelnder Kunststoff das Problem. Hier ist nur Metall, Chrom, Glas und Holz!
Ich schaue mich ängstlich um. Dass ich der größte Angsthase aller Zeiten bei Gewittern bin, kann ich meinem Kind nicht verraten. Schön tapfer bleiben, Lady!
Oh Mann, das ist Mal wieder so ein Tag, an dem ich alles hinschmeißen könnte, heulend Mama schreien oder mich unter einem Sofa verstecken möchte. Aber weder Mami noch ein bescheuertes Sofa zum Verkriechen sind in greifbarer Nähe.
„Das ist nur ein klitzekleiner Atlantik Sturm“, höre ich mich sagen und verdrehe die Augen: Was bin ich doch für eine schlechte Lügnerin.
Ich versuche mich, mit aller Kraft zusammenzureißen und stark zu sein. Ich fühle mich einsam und alleine, von der ganzen Welt abgeschnitten wie noch nie zuvor in meinem gesamten Leben. Was würde Wonderwoman jetzt tun?
Rausfliegen und die Wolke wegschieben!
Vielleicht klappt es mit Visualisierung?
Habe ich nicht grad erst herausgefunden, dass alles miteinander verbunden ist? Ein großes Ganzes und ich gar nicht alleine bin? Wie war das, ich muss nur an was Angenehmes denken, oder was Schönes machen?
Ich stelle mir meinen Lieblingsbeach, Maria Sucia am Kap Tragalgar vor, mit türkisen, langlaufenden Longboard Wellen und herrlichem Sonnenschein.
Gleichmäßig schwappen die Wellen im Takt hypnotisierend an den auslandenden, breiten Strand des wunderschönen Kaps.
Allmählich beruhige ich mich. Ich gähne herzhaft. Irgendwann werde ich so müde, dass ich einschlafe.
Ruhige Mama, ruhiges Kind? Auch Miki pennt eingekuschelt in meinem Arm ein. It´s siesta time! Ein gruseliges Gewitter zu verpennen, ist doch die beste Lösung!
Als ich am späten Nachmittag wieder wach werde, regnet es leider noch immer in Strömen. Langsam mache ich mir Sorgen, ob wir nicht wegschwimmen in unserem Bus.
Ich schiebe die Busvorhänge beiseite und checke die Lage. Andalusien scheint nicht für so viel Wasser von oben präpariert zu sein.
Die anfänglichen Regenrinnsale sind mittlerweile zu angeberischen Flüssen mutiert und donnern gurgelnd die Straßen entlang.
Es ist auch kein Schwein, sprich Mensch weit und breit draußen zu sehen. Das sonst so fröhlich Geschnatter in Spaniens viel gelobten Straßenleben ist völlig verebbt.
So lustig, dass der Spanier bei einer Cerveza nass werden möchte, ist er dann doch nicht.
Andalusien scheint wie ausgestorben. So ungefähr stelle ich mir die Apokalypse vor! Was grad noch paradiesisch und spektakulär war erscheint jetzt trister und grauer als Norddeutschland an seinen dunkelsten Wintertagen.
Ich beschließe zur Gasolina zu fahren, der Tankstelle im Inland. Dort gibt es alles. Von einer öffentlichen Toilette, die vierundzwanzig Stunden geöffnet hat, einen Shop mit Backwaren und sogar ein anschließendes Bistro mit Internetzugang.
Ich kaufe Trinkwasser, ein wenig frische Obst, Baguette, Milch, für Miki ein Vanilleshake, die liebt er und eine spanische Tageszeitung. Diese eignen sich um einerseits die Sprache zu lernen und auch um mich zu informieren, was in der Welt so geschieht.
Die wenigen Andalusier die sich ebenfalls an der Tankstelle verkrochen haben sind wie immer sehr redselig und diskutieren den Klimawandel in Spanien.
Ein einheimischer, braungebrannter Opa mit Käppi, leichter Schnapsfahne und nur einem Zahn behauptet, noch vor ein paar Jahren habe es im Herbst und Winter nicht so viel und vor allem so heftig geregnet.
Das Klima habe sich eben verändert, weiß die schlaue Kassiererin zu berichten. Die Äcker stehen nun unter Wasser, die Kanalisation läuft völlig über und sogar Stauseen sind bis zum Rand voll während es früher öfter eher knapp mit der Wasserversorgung werden konnte. Eigentlich herrsche hier das Sahara Klima.
“Na großartig, dass sich das Klima genau dann wandelt, wenn wir die spanische Sonne genießen wollen. Eigentlich wollte ich dem Regen aus Deutschland entfliehen!” gebe ich nun auch meinen Senf dazu.
„Es wird sich alles umdrehen, in Deutschland werden bald Palmen wachsen und hier wird es noch schneien!“ vorhersagt der einzahnige Opi mit Käppi und lacht ein bisschen irre. Schnell packe ich meine sieben Sachen an der Kasse ein und klettre zurück in den Bus zu Miki.
Wir tuckern zurück zu unserem Lieblingsstellplatz. Es ist Freitagabend. Wochenende. Die Aussicht? Auf knapp vier Quadratmetern den Sturm und das Wochenende in einer Wohndose aussitzen.
Vanlife kann auch mal kacke sein. Das ist also die Kehrseite der Medaille?
Drei ganze Tage bleibt das Wetter mies und meine Nerven liegen völlig blank. Leider habe ich noch immer leichtes Fieber von meiner Unterkühlung im Meer und bin am Ende meiner Kräfte.
Drei Nächte, in denen ich kaum schlafe und tagsüber fast nichts esse.
Zum einen, weil ich immer wieder an Blake und die Riu Tusse denken muss und mir das den Appetit verdirbt, zum anderen, weil mir die Nahrungsmittel ausgehen und kein Supermarkt weit und breit geöffnet ist.
Der nächste Supermarkt ist in Conil und in Barbate, aber bei den Überschwemmungen auf den Straßen, traue ich mich nicht loszufahren.
Mein Herz schmerzt, mein Kopf schmerzt und vor allem muss ich ganz dringend heiß duschen.
Ich versuche dennoch, das Beste aus der Situation zu machen. Wir haben einen kleinen Vorrat an DVDs dabei, die uns im Notfall durch solche Tage hindurch helfen sollen. Miki schaut am liebsten die Drive thru Filme mit Donovan Frankenreiter an, oder Comic Filme wie Asterix und Obelix.
Unsere Bus Lee Sitzecke haben wir nun dauerhaft zum Kuschelbett umgebaut und es mit Kissen und Decken gemütlich ausgestattet. Ich mache für Miki in einem Töpfchen mit Deckel Popcorn, und wir gucken alle mitgebrachten DVDs auf meinem Laptop rauf und runter, bis die letzte Powerbank verbraucht ist.
Mittlerweile ist im Bulli auch alles klamm. Die Decken und Kissen haben Feuchtigkeit gezogen, sie wärmen uns kaum noch. Mein Fieber hält sich ebenfalls wacker, zwar nicht hoch, ist aber doch schlauchend.
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