Den Spaß am Surfen hat auch nicht die Geburt meines Söhnchens Miki getrübt. Ganz im Gegenteil, die viele Freizeit in der Elternzeit habe ich genutzt, um einfach noch mehr zu surfen und noch mehr zu reisen. Und was soll ich sagen?
Wo ein Wille- da eine Welle!
Nun verbringe ich wie erwähnt bereits meinen dritten Winter in Andalusiens Wellenparadies am legedären Kap Trafalgar.
Meine Lieblingswelle hier heißt Maria Sucia, was eigentlich nur die Einheimischen wissen. Warum die Welle schmutzige Maria heisst?
Keine Ahnung, ich habe mal rumgefragt, aber weiß eigentlich keiner so genau. Vielleicht weil, wenn man einmal infiziert ist, nur noch an Maria denken kann?
Aber eins ist so was von klar- die Wassersportbedingungen an der Costa de la Luz, oder Cadizfornia wie die lokalen Surfer liebevoll diese Region um die Landeshauptstadt Cadiz nennen, sind einzigartig, wenn nicht sogar fantastisch im Winter.
Selbst in der kalten Jahrezeit, ist das Meer unanständig türkis und die weißen, unendlichen sowie menschenleeren Strände traumhaft schön.
Die unbebaute, wilde Dünenlandschaft erinnert an Sylt oder an Jütland in Dänemark, die Pinienwälder im angrenzenden Barbarte duften wie das wunderschöne Aquitaine am Atlantik in Südfrankreich.
Darüber hinaus punktet Andalusien besonders in den Monaten Dezember und Januar mit konstantem Swell und einem sonnigen und sehr mildem Klima, das selbst das gute alte Mallorca temperaturtechnisch alt aussehen lässt.
Das Meer hat derzeit eine Temperatur von fünfzehn Grad Celsius. Wenn ich daran denke, dass Jungs und Mädels in Cold Hawaii -so wird eine besonders gut surfbare Gegend rund um Kittmöller in Dänemark genannt- bei gerade mal vier Grad Celsius surfen gehen, dann kann man sagen, fünfzehn Grad sind noch echt human . Da gibt es nichts zu meckern.
Dennoch habe ich heute morgen irgendwie Mist gebaut. Ich war zu lange im Wasser, der Swell hatte eine hohe Periode, was bedeutet, das man immer wieder mal zwanzig Minuten im Wasser abhängt, einfach nur auf seinem Surfbrett sitzt, ewig wartet, obwohl kaum eine Welle ins Becken kommt.
Wenn man dann meint, noch nicht genügend derer abbekommen zu haben, denkt man sich: „Ach, eine noch!“ Und wartet. Und noch eine. Und wartet. Und noch eine.
Zack- und ehe man sich versieht, sind dann schon zwei, drei Stunden verstrichen. Oft komme ich erst aus dem Wasser, wenn ich meine Füße und Finger kaum noch spüre oder der Hunger mich an Land treibt. Oder wenn meine Energie Reserven definitiv vebraucht sind, und ich bereits im Wasser friere wie ein Schneider. So wie heute.
Ich war mal wieder viel zu lange im Wasser, sprich surfen und habe die Zeit völlig vergessen. Jetzt sterbe ich fast vor Hunger und Durst und friere wie eine kleine Katze, die beim Fischangeln in ein Eisloch gefallen ist.
Wir schreiben gerade mal den neunten Januar. Das Jahr ist also noch frisch. Ich liege Mutterseelenallein in meinem Bus Lee und habe bereits sowas ähnliches wie meinen ersten Zusammenbruch. Na super!
Rien va plus!
Nachdem ich mit schnellen Schritten aus dem Meer zurück zu meinem Bulli Bus Lee kam, den nassen Neopren ausgezogen hatte und Kuschelkram sowie Uggboots anzog, überfielen mich bereits aus dem Nichts Symptome wie Frieren, Schwitzen, Muskelzittern und eine beschleunigte Herzfrequenz.
So etwas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht.
Während Miki, der neuerdings seit einigen Wochen in einer kleinen spanischen Vorschule in El Palmar steckt, liege ich zitternd wie Espenlaub und völlig erschöpft in meinem Bulli.
Weil ich so stark zittere und friere, stapel ich alle vorhandenen Decken und Kissen über mir zu einem monströsen Iglu auf.
Plötzlich setzen zudem krasse Kopfschmerzen ein. Sie pochen wie Hämmer in einem Stahlwerk auf meine Schläfen.
Ich bekomme schrecklichen Durst und versuche aufzustehen, aber mein Gleichgewichtszentrum macht bescheuerte Sperenzchen. Entnervt und schlapp wie eine gekochte Spagetti in einem Kochtopf falle ich kraftlos in mein Iglu zurück.
Alles tut mir weh; nicht nur der Kopf! Ich habe sogar stechende Schmerzen in den Händen, in den Fingern, Beinen, sogar bis in die einzelnen Zehen.
Mit Konzentration auf meinen Atem und mit progressiver Muskelentspannung versuche ich, mich dem Schmerz in Kopf und Gliedern entgegenzustemmen.
Nach einiger Zeit schlafe ich ein.
Keine Ahnung wie lange ich da so liege, als sich plötzlich ein Mann mit rötlichem Rauschebart vor meinem Iglu aufbaut und mich freundlich anlächelt.
Aber das ist doch...also...eh?
Wo kommt der denn jetzt her?
Vor mir steht mein Dad!
„Hey Papschi, was machst du denn hier?“, frage ich ihn verwundert und bemerke, dass sein Bart ruhig mal gestutzt werden könnte. Mein Papa sieht ja aus wie Barbarossa!
„Eddie, hab ich dir nicht tausend mal erklärt, dass je kälter das Wasser ist, desto länger solltest du dich vorher an Land aufwärmen, um zu verhindern, dass du zu schnell auskühlst? Wie lange hast du dich aufgewärmt?“, fragt mein Dad mich oberlehrermässig.
Für einen Moment bin ich völlig sprachlos.
„Gar nicht, Papschi!“, antworte ich dann leicht trotzig und versuche mich zu erinnern, wo ich eigentlich bin.
„Gehe immer langsam ins kalte Wasser, hörst du! Und gib deinem Körper die Gelegenheit, sich an die Kälte zu gewöhnen!“, erklärt mein Dad mir freundlich und bestimmt.
“Bei Wassertemperaturen von unter fünfzehn Grad solltest du, Eddie – neben einem vierdreier Neoprenanzug in Erwägung ziehen, zusätzlich Neoprenhandschuhe, Socken und Haube überzuziehen und die Zeit, die du surfst, entsprechend zu verkürzen.“
„Haube, Handschuhe und Booties sind voll uncool, Papschi! Sowas hat hier keiner! Und ein vierdreier Neopren ist teuer, mein alter Dreizweier reicht mir völlig! Wir sind ja nicht in Dänemark!“, kontere ich pikiert. Ich habe noch immer starke Kopfschmerzen und eigentlich gar keine Lust auf Diskussion mit meinem Papa.
„Eddie, du weißt ganz genau, das ist Mumpitz. Ein Mensch kühlt im Wasser unter gleichen Temperaturbedingungen etwa fünfundzwanzig mal schneller aus! Was soll denn der Klamauk, wem willst du denn mal wieder was beweisen?“
Barbarossa alias mein Dad wird langsam sauer und sein sonst so freundliches Gesicht nimmt einen gefährlich roten Schimmer an.
„Außerdem bin ich ja kein Weichei vom DLRG.“, trete ich nach und merke in der selben Sekunde, ich bin zu weit gegangen! Das war gemein.
Mein Dad war Zeit seines Lebens passionierter Rettungsschwimmer im DLRG, der deutschen Lebens-Rettungs- Gesellschaft.
Als ich in meiner Pubertät nicht mehr gewillt war, seine Liebe zu pipilauwarmen Trainingseinheiten im städtischen Schwimmbad zu absolvieren, sondern mich lieber mit Freundinnen in der Stadt verabredete, sorgte das öfter für Zündstoff in der Familie.
„Wag es nicht....“, das Gesicht meines Dads verfinstert sich zu einem Donnerwetter, schwillt an wie ein Luftballon und – PENG - verwandelt sich mein Papa unglaublicherweise in Neptun! Oder meinentwegen auch in Poseidon.
Auf jeden Fall hat er nun keinen roten sondern einen weißen Rauschebart und einen schicken, goldenen Dreizack in der Hand, mit dem er böse rumfuchtelt und Blitze verschleudert.
Hä? Papa? Echt jetzt?
Um sich dann aber nach einem erneuten PENG, mir nichts dir nichts in einen kleinen orange-weißen Fisch zu verwandeln.
Ich bin überfordert.
Zum Schluss sieht er gar aus wie ein sauer dreinschauender Nemo.
Völlig baff und erstaunt glotze ich das putzige aber sehr, sehr wütende Fischchen an dämlich an.
Das putzige, sehr wütende Fischchen glotzt mich ebenfalls mit großen Kulleraugen an. Aber eher unverblümt an als dämlich und sagt dann mit einer noch putzigeren Stimme: „Schluss jetzt mit Firlefanz! Ab nach Hause Eddie!“
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