Zitternd würge ich Bus Lees Motor ab. Und verharre erstmal eine Sekunde. Ich lasse den noch recht jungen Tag nocheinmal Revue passieren. Erst Unterkühlung, dann noch ein Arschtritt vom Hickhack König. Was soll heute noch kommen? Mir kommt ein alter Reiterspruch in den Sinn!
„Pferde vergessen nie, aber vergeben alles? Na, dann viel Spaß mit deiner reitenden Riu Tussi, Blake! Lass dir mal ordentlich die Sporen geben, mein Freund!“
Schade eigentlich, dass er mich nicht hören kann.
Was ist eigentlich los? Warum hat der Mensch der Gegenwart verlernt, wie man eine dauerhafte Partnerschaft aufbaut?
Warum gibt es so wenige glückliche Paare? Ich meine, richtig glücklich. Nicht diese Kompromisse, und wenn man das Paar besucht, ist immer einer von beiden am Meckern oder am Heulen!
Warum gehören Trennungen zur Tagesordnung? Oder wieso haben so viele Bindungsangst? Anstatt sich auf was Schönes einzulassen, wird wie wild durch die Gegend gepoppt? Bloß nichts anbrennen lassen?
Hat der moderne Mensch, Probleme sich zu binden? Oder liegt es gar nicht in unserer Natur eine feste Partnerschaft einzugehen, sondern ist dies womöglich eine Erfindung der Kirche?
Fakt ist doch, dass es viel zu viele Optionen gibt. Es kann ja immer noch was Besseres kommen, oder? Besserer Sex, noch mehr Romantik, eine noch größere Liebe? Oder?
Ist dies das Problem?
Zwar sagt man ja Männern die größere Bindungsangst zu, aber mal ehrlich, mir geht es doch eigentlich auch nicht anders.
Meiner ersten grossen Liebe, die zehn Jahre andauerte, bin ich entflohen, weil ich mit Ende Zwanzig Angst hatte, zu heiraten und auf der Couch zu versauern.
Big, meinem Exfreund und Mikis Papa bin ich entflohen, weil ich mir seiner Treue nicht hundert Prozent sicher war, aber eventuell war das nur ein Vorwand, um auch da nicht aus Versehen den Bund fürs Leben als lebenslängliche Sicherheitsverwahrung hinzunehmen. Er ist mitlerweile mit Chantal verheiratet, aber das ist eine andere Geschichte. Ich bin ganz froh, dass ich all dem entkommen konnte.
Ist die Wahrheit nicht die, dass die enormen Ansprüche von uns coolen, mutigen, weltbereisten Frauen wachsen? Wir wollen nicht irgendeinen Mann. Wir wollen den, der uns rundum glücklich macht. Das komplette Sorglospaket.
Ja, und ich will auch aufschauen können. Aber was soll denn da noch kommen?
Sind die Ansprüche da etwa zu hoch geschraubt? Also meine? Was soll er denn machen oder was soll er können?
Auf jeden Fall noch besser surfen als ich. Er soll im Beruf erfolgreicher sein als ich. Stärker. Mutiger. Größer. Ausdauernder. Und treu sein! Und sich mit Miki verstehen! Ist es das, was ich will?
Aber ist dieser Mister Right nicht ein Wunderwesen, das es gar nicht geben kann?
Oder ist es was anderes? Vielleicht habe ich noch einfach nicht meinen Seelenverwandten gefunden?
Intuitiv spüre ich, dass ich nun auf dem richtigen Weg bin.
Wenn die Seele der Kern des Ichs ist, dann muss ich mich ja eigentlich nur auf das Abenteuer Expedition in meine Seele einlassen.
Was zur Hölle ist aber eine Seele? Ich habe gelesen, die Seele ist ein Teil des Ganzen, also mein Anteil am Ganzen.
Was für ein Ganzes? Na, mit dem Universum und mit dessen ganzen Energien. Wenn man mal drüber nachdenkt, hat doch wohl jeder schon mal den Einklang mit dem Universum gespürt.
Mir ist das schon tausende Male passiert.
Beim Surfen auf einer Welle im Ozean. Während eines Sonnenaufgangs am Strand oder wenn ich in Bus Lee liege, die Tür geöffnet und ich den unendlichen Sternenhimmel betrachte.
Dann fühle ich mich verbunden.
Dann bin ich Teil des Universums und komischerweise fühle ich mich in solchen Situationen nie alleine!
Ich fühle mich dann verbunden mit allem was existiert. Das würde jedoch bedeuten, dass meine Sehnsucht nach einem Partner im Grunde einfach nur die Sehnsucht ist, mit dem Universum verbunden zu sein, oder?
Also jetzt mal ganz hypotetisch, ich muss doch statt mir einen tollen Kerl zu suchen, nur das machen, was mir so oder so Spaß macht.
Also sind Surfen, Sonnenaufgänge, Sonnenuntergänge betrachten doch ein Lösungsansatz. Aus dem Bulli in die Sterne starren. Skifahren. Skateboarden. Mountainbiken. Die Sonne auf meiner Haut spüren. Mein Kind kuscheln. Das H2O des Ozeans durchschwimmen. Frische, salzige Seeluft atmen.
Ist es das?
Ist das die Lösung, das wahre Glück zu finden?
Oder Schokolade essen? Was Köstliches im Mund zergehen lassen? Puh! Das wäre ja dann easy!
Das Glück würde quasi auf dem Teller liegen. Lustig!
Dann muss ich plötzlich richtig lachen, schon wieder eine Binsenweisheit? Ich muss jetzt dringend googeln, woher die denn kommen!
Dann klettere ich entschlossen aus meinem Bulli, aus der Ferne sehe ich einen kleinen Blondschopf zwischen all den schwarzhaarigen Kindern – und plopp geht schon wieder mein Herz auf und wird ganz warm.
Während ich vor der Schule stehe und warte bis die Kinder an der Reihe sind, entlassen zu werden. Das geht in Spanien nur mit Blickkontakt zu den Eltern und der Reihe nach, wird mir eines klar, was für mich selbst auch von Bedeutung ist.
Nämlich, dass in der Realität nicht jeder alles oder jeden, den er haben möchte, auch haben kann. Es gilt, eine viel größere Liebe zu genießen.
Die Selbstliebe und die Liebe zum Ganzen.
Ich erinnere mich nun auch an ein Zitat, das mir geholfen hat, mich von Mikis Papa zu lösen, als es mit ihm ebenfalls verflixt kompliziert wurde, wie man so schön sagt.
Wenn du etwas loslässt, bist du etwas glücklicher.Wenn du viel loslässt, bist du viel glücklicher.Wenn du ganz loslässt, bist du frei.
An dem Punkt war ich doch nun schon.
Ich habe also noch immer nichts dazu gelernt.
Es wird wirklich Zeit, auch mal was zu ändern!
Ich habe meine Hausaufgaben noch nicht gemacht. Also ist die Reise auch noch nicht zu Ende!
„Komm schon, Eddie! Alles hat seinen Sinn, lass dich nicht runter ziehen, kleine Kriegerin! Wenn du dir einen Hero wünschst, sei einfach selbst Wonder Woman!“, feuer ich mich selbst an.
Och nöööö! Just in dem Moment, als ich die kleine Hand meines Sohnes umschließe, trifft mich ein dicker Regentropfen mitten auf die Nase! Frechheit!
Ich schaue zum Himmel. Aber wie es so ist, wenn man einmal einen miesen Lauf hat, es kommt noch dicker. Ein atlantischer Sturm zieht auf.
Wir setzen uns in Bewegung und rennen gemeinsam zurück zu Bus Lee. Kaum klettern Miki und ich in den Bulli, da fängt es bereits an aus Eimern zu schütten.
Pitsch Patsch. Schütt. Schütt. Och nö! Nicht schon wieder! Kennt ihr den Film Murmeltier Tag? Ich fühle mich grade in einer Zeitschleife gefangen.
Ich gebe Hackengas und fahre erneut gen Canos de Meca, wo ich Bus Lee einigermaßen windgeschützt hinter einer großen Düne am Strand parke.
Dann überprüfe ich, ob alle Fenster gut verschlossen sind, und wir wechseln die Kleidung, denn die Temperaturen stürzen sturmbedingt über zehn Grad ab.
Skeptisch scanne ich den schwarzgrauen Himmel und stelle fest, dass der Sturm immer näher und näher kommt. Man kann es richtig hören. Der Wind heult gespenstisch und das Meeresrauschen schwillt zu einem gruseligen Gepeitsche an.
Ab geht die Lucy; es regnet nun in Strömen und gleichzeitig klatscht der Wind in rauen Böen breitseitig an den kleinen Bulli, sodass wir ordentlich geschaukelt werden.
Am schlimmsten sind jedoch all die Blitze; es scheint als wären sie überall gleichzeitig.
Das anschließende Krachen des Donners llässt sogar den Erdboden und Bus Lee erzittern.
Noch immer nimmt der Wind zu. Ich schätze die Orkanböen, denen wir ausgeliefert sind, auf zwölf Beaufort ein. Die Luft wird von Schaum und Gischt ertränkt. Die See draußen erscheint nun vollständig weiß.
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