„Das hoffe ich für Sie“, sagte Klauk angespannt.
„Hier, hier kommt es nun. Schauen Sie“, sagte er. Auf dem Time Code des Rekorders stand zwölf Uhr.
Rosin und Klauk starrten auf den kleinen Monitor. Die Telefonzelle wurde von der Überwachungskamera nur angeschnitten. Sie war nicht ganz zu sehen. Doch würde es ausreichen, jemanden zu sehen, der sich der Zelle näherte.
Jemand kam und trat vor den Geldautomaten. Ein Mann. Sein Gesicht verdeckte beinahe völlig den Hintergrund.
„Nein, nicht jetzt“, sagte Rosin besorgt. Wenn jetzt der Anrufer käme, dann würden sie ihn nicht vollständig sehen können.
Der Unbekannte vor dem Automaten ließ sich Zeit. Er steckte seine Karte in den Schlitz, schaute sich unsicher um, bevor er die Geheimzahl eintippte. Viermal tippte er in Zeitlupe auf das Tastenfeld.
„Mein Gott, mach hin“, sagte Klauk unwirsch. Er schlug mit der Hand auf den Tisch, auf dem der Rekorder stand. Der Bankangestellte zuckte zusammen. Er schon seine Brille zurecht, die von der schweißnassen Nase zu rutschen drohte. Der Unbekannte zog gerade sein Geld aus dem Ausgabeschacht, als ein Mann mit einem Kapuzenpulli hinter ihm her ging. Er hatte die Kapuze über den Kopf gezogen. Bei der Hitze.
„Da!“, rief Rosin, „Das passt von der Zeit.“
„Und er will nicht gesehen werden. Wer trägt bei der Hitze seine Kapuze?“
Der Kapuzenpulli verschwand in der Telefonzelle. Die Türe schwang zu. Durch die Reflektion auf der Scheibe konnte man den Mann nicht genau sehen.
„Scheiße, Scheiße, dreh dich um, dreh dich um!“, schrie Klauk. Der Banker zuckte erneut zusammen.
„Er telefoniert, siehst Du. Er ruft an. Wenn wir die Time Codes von dieser Kamera hier und die Zeit miteinander vergleichen, wo der Anruf bei uns erfolgte, können wir feststellen, ob er es ist“, sagte Rosin und starrte auf den Bildschirm.
Klauk nickte.
Der Mann in der Telefonzelle schien etwas aus der Tasche der Kapuzenjacke zu ziehen. Jetzt hielt er etwas an den Hörer.
„Er ist es. Da! Siehst Du, er hält etwas an den Hörer. Daher klang der Anruf anders. Er hatte seine eigene Stimme aufgenommen und beim Anruf abgespielt. Siehst Du, Sebi?“
„Ja, Du scheinst Recht zu haben.“
Der Mann hängte den Hörer ein. Die Türe der Telefonzelle schwang auf. Der Mann trat heraus, blieb kurz stehen.
„Jetzt, jetzt, jetzt … Scheiße! Verdammter Mist“, rief Rosin, als sich der Mann genau in die entgegengesetzte Richtung davonmachte. Man konnte sein Gesicht nicht erkennen. Rosin drehte sich vor Enttäuschung einmal um die eigene Achse. Dabei schwang ihre Tasche gegen den Kopf des Bankers. Der wich erschrocken zur Seite.
„Sorry!“, sagte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Stimmt. Aber wieso sollte er es uns auch einfach machen?“, sagte Klauk.
„Richtig, aber Scheiße ist es trotzdem“, sagte Rosin, „Wir brauchen eine Kopie dieses Bandes und wir müssen sofort die Telefonzelle sperren, wegen der Fingerabdrücke. Vielleicht ist es noch nicht zu spät!“
„Eine Kopie?“, fragte der Banker irritiert.
„Ja, eine Kopie. Das hier war eben ‚Oskar‘, der heute Nacht live einen Menschen hingerichtet hat“, warf ihm Rosin entgegen.
„Eine Kopie, oh mein Gott, hingerichtet? Ja, eine Kopie, na klar. Sofort.“ Neue Schweißperlen gesellten sich zu denen, die schon auf der Nase des Mannes zu sehen waren.
Rosin zwinkerte Klauk zu. Klauk grinste. Der Mann hinterließ Spuren. Doch blieb er noch unerkannt. Klauk dachte an den Asservatenbeutel in seiner Hand. Vielleicht würde hier noch ein weiterer Hinweis stecken.
Rosin holte ihr Handy aus der Tasche und meldete sich bei der KTU. Man sagte ihr, dass es ein paar Minuten dauern würde, bis sich ein Team auf den Weg machen könnte.
Klauk baute sich draußen vor der Türe der Telefonzelle auf. Jedem, der telefonieren wollte, hielt er seine Dienstmarke hin und klärte denjenigen auf, dass das Telefon außer Betrieb wäre. Den meisten reichte schon ein Blick auf seine Dienstwaffe, die unter seiner linken Schulter baumelte, um unverrichteter Dinge und zutiefst eingeschüchtert weiter zu gehen.
*
Hell sah erstaunt auf. Er hatte den letzten Satz, den Tim Wrobel sagte, nicht ganz mitbekommen.
„Was sagst Du Tim?“
„Die Bildqualität ist so schlecht, weil es dunkel war im Zimmer. Wobei ich gar nicht wissen möchte, was man gesehen hätte, wenn er eine Video-Leuchte benutzt hätte.“
„Womit Du zweifelsfrei Recht hast. Das hier ist schon krass genug“, sagte Hell und heftete seine Blick wieder auf den Monitor. Was er dort bereits zum zweiten Male sah, brachte seinen Magen dazu, sich zusammenzuballen.
Wie ein Tennisball. Eher kleiner.
Klauk und Rosin standen schweigend im Hintergrund. Auch sie sahen zum zweiten Mal den Mord an Jan Schnackenberg. Aufgenommen auf Video. Das Päckchen, was Klauk in dem gelben Mülleimer fand, enthielt eine DVD. Auf der hielt ‚Oskar‘ den Mord an Schnackenberg fest.
Die Video-Kamera fuhr beinahe parallel zur Waffe. Lautlos. Kein Ton. Daher konnte man auch das Telefonat nicht hören, was ‚Oskar‘ ja zu diesem Zeitpunkt mit Demian Roberts führte.
Dunkel.
Ein Kopf kam ins Bild. Schrecken in den Augen.
Schnackenberg hatte Todesangst. Immer näher kam die Waffe.
Dann platzte der Schädel Schnackenbergs auf, sein Kopf schnellte zurück. Die schreckgeweiteten Augen erstarben.
Der Mann trat zurück und filmte sein Werk. Schnackenberg saß so in dem Sessel, wie Hell ihn vorgefunden hatte. Dann endete das Video abrupt.
„Der Typ möchte Applaus für seine Tat haben. Warum schickt er uns sonst dieses Video“, fragte Rosin.
„Das sehe ich auch so“, sagte Klauk.
Hell stand mit einem Ruck auf.
„Besprechung in einer Viertelstunde. Ich will dann mehr Ideen haben. Denkt nach. Je schneller wir was vorweisen, desto besser stehen wir da.“
Klauk und Rosin gingen schweigend den noch fremden Gang entlang zu ihrem Büro. Überall konnte man in die gläsernen Büros hineinschauen. Nicht nur ihr Team hatte Stress. Auch in den anderen Büros sahen sie angespannte Gesichter. Rosin bemerkte es und machte eine Bemerkung.
„Schau hin, nicht nur unser Chef hat schlechte Laune“, raunte ihr Klauk zu.
„Schlechte Laune hin oder her. Er hat ja Recht. Und außerdem ist er seit gestern früh auf den Beinen. Da kann man schon mal unwirsch sein, Sebi.“
Klauk sagte nichts, stimmte ihr aber wortlos zu. Zehn Minuten später saßen sie zu dritt vor den immer noch recht leeren Glastafeln. Hell hatte ein Foto des toten Jan Schnackenberg auf die Wand geklebt.
„Wo ist eigentlich Jan-Phillip?“, fragte er.
Rosin zuckte mit den Schultern. „Noch beim Arzt, denke ich.“
„So lange kann das doch nicht dauern, sein Kopf kann keinen so großen Schaden genommen haben. Ich habe ihm schon eine SMS geschickt. Aber er antwortet nicht“, sagte Klauk.
„Gut, fangen wir eben ohne ihn an“, sagte Hell und stand eilig auf.
Er malte mit schnellen Strichen einen Pfeil auf die Glastafel. Vor dem Pfeil stand ‚Oskar‘, dahinter das Wort ‚Profil‘. Er machte noch zwei Ausrufezeichen dahinter.
„Wir brauchen einen für diesen Psychoscheiß“, rief er aufgeregt. Und prompt bereute er den negativen Ausdruck.
Seine Partnerin Franziska Leck konnte er nicht einplanen. Die Profilerin und Psychologin war noch auf einer Tagung. Bis zum Wochenende. Dann würde sie ihn in Bonn besuchen kommen. Vorher konnte er nur abends telefonischen Kontakt aufnehmen. Er wollte sie auch nicht nach einem anstrengenden Tag mit seinen Problemen behelligen.
Er schaute zu Lea herüber. Man konnte förmlich sehen, wie er einen Entschluss fasste.
„Wir brauchen Christina. Ruf sie an bitte. Ich kläre das mit ihren Ausbildern!“
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