Nichtsdestotrotz wollte der Himmel eine Maskerade, die er perfekt liefern konnte. Mit einem flinken Satz stand Luzifel gerade und marschierte straffen Schrittes zu dem elfenbeinfarbenen Kleiderschrank hin, um aus seinen geöffneten Flügeltüren eine saubere Uniform zu holen.
Als er den weißen Stoff über seinen makellosen Körper zog, schüttelte er rasch den aufkommenden Ekel ab, der ihm unterschwellig sagte, dass die Gestalt dort im Spiegel nicht zu ihm passen wollte. Es war falsch, was er sah. Irgendwas müsste anders sein. Nur was?
War es bloß das ewige Weiß, was ihm zum Hals raushing?
Oder das alte Lied ...
Schlank und anmutig war jeder Engel auf seine Weise gebaut, doch wie oft machten die Soldaten sich heimlich über seine geringe Körpergröße lustig? Es nervte ihn seit Unzeiten, kein Hüne zu sein, der mit seiner Gestalt Respekt einflößte. Den Gehorsam der Truppe hatte er mit Kraft und einem Hang zur Herzlosigkeit erworben, denn sonst hätte man ihn kaum als Anführer wahrgenommen. Als gewöhnlicher Rekrut wäre er allein wegen seiner Statur unten durch gewesen, aber er war ja Gottes Liebling, ha ha ...
Ich hätte eine Reklamation an Gott.
Aufs Neue trübte das korrekte Bild sein schwarzes Haar. Die göttliche Experimentierfreudigkeit kotzte ihn an. Gut, er war nicht der einzige Engel, der hierbei aus dem Rahmen fiel, jedoch hatte Gott fast allen Geflügelten als Standard blonde oder gar weiße Haare vorgeschrieben. Schwarzhaarige nannte man liebevoll „Ausrutscher“ – nur wagte es niemand, ihm das ins Gesicht zu sagen.
Könnte daran liegen, weil er einmal einen dummdreisten Kritiker bis zur Unkenntlichkeit verprügelt hatte ... Sein Bruder musste ihn aufhalten, den frechen Kläffer nicht zu töten. Seitdem war sein Jähzorn in aller Munde.
Zur Uniform zog er farblich passende Stiefel über. Das Haar wurde tadellos nach hinten weg gekämmt, auch wenn sich die Locken störrisch kringelten. Er reckte das Kreuz gerade, lockerte seine Schultern und nickte die Posse ab.
Vorhang auf, das Stück begann und er hing als Marionette an Fäden.
Am liebsten wäre er tot umgefallen.
Die reinweiße Gardeeinheit empfing ihn beritten mit aller Ehrerbietung. Wenn sie über ihn gespottet hatten, drang davon nichts nach außen.
Man brachte ihm sein Reittier, den geflügelten Schimmel Jaspis. Wohl der vertrauenswürdigste Mitstreiter im gesamten Regiment. Selbst im Krieg war Luzifel auf ihm geritten und der Zosse hatte keinen Augenblick gescheut, als Dämonen sie bedrohten. Unerschrocken preschte der Pegasus durch die Horden von Teufeln und zermalmte alles, was vor seine gewaltigen Hufe kam.
Hingegen seiner Grausamkeit im Kampf war das Tier aber auch äußerst sanftmütig seinem Herrn gegenüber und kuschelte schon mal verspielt, gerade wenn Luzifel mit etwas Leckerem lockte. Besonders gern hatte er die violetten Beeren aus den Haingärten.
So viel Freundschaft und Treue konnte er von den Kriegern nicht erwarten.
Zärtlich tätschelte Luzifel Jaspis’ Hals und schwang sich auf seinen Rücken in den ledernen Sattel.
Schweigend folgte ihm die Garde Richtung Totenreich.
Es regnete. Und das nicht zu knapp. Innerhalb kürzester Zeit waren die Köpfe der Gardisten durchnässt und mit grimmigen Mienen trotteten sie durch das sonst so neblige Gebiet.
Der Hades war eine graue, triste Landschaft. Eine endlos wirkende Aneinanderreihung von kahlen Bergketten, ab und an durchzogen von ausgedehnten, farblosen Graslandschaften – wenn man von dem trüben Wasser des Flusses Lethe mal absah, das sich irgendwann in einem ebensolchen Meer verlor. Ohne Sonne war der Himmel ständig bewölkt und, wenn es nicht gerade wie heute aus Eimern schüttete, sah man allgemein vor Dunst selten die Hand vor Augen.
Grünschnäbel mochten nichts Wundersames am Land der Toten finden, aber Luzifel empfand den Tapetenwechsel zumindest etwas erfrischend. Einmal weg von der ganzen Reinheit, der Weißheit des Himmels, dem heiteren Wetter und dem angenehmen Klima.
Andere Mysterien eines anderen Gottes sehen.
Der Herrin des Hades’ war er allerdings noch nie begegnet, denn sie pflegte stets nur Konsultationen mit Gott zu halten. Für eine Audienz musste man mindestens genauso wichtig sein. Drunter ging es nicht. Anscheinend war sie eine ziemlich eingebildete Person ...
Dennoch hätte er sie gern einmal gefragt, was das für Leuchtpunkte waren, die um sie alle herumschwebten und ein Geräusch von sich gaben wie hell schellende Silberglocken. Die Luft war erfüllt von ihnen und ihr tausendfaches Klirren übertönte alle platschenden Regentropfen. Früher – als er gerade neu geschaffen und unwissend war – hatte er kindlich versucht, eines zu fangen und mit nach Hause zu nehmen, es wie ein Haustier zu halten. Nur spielten die Funken nicht mit und entschlüpften seinen Fingern ... Gott nahm ihn zornig ins Gespräch, er solle die Toten nicht bestehlen. Seitdem ließ er die Irrlichter glühen und ignorierte ihr schimmerndes Singen.
Ja, ich bleibe ganz artig. Wie befohlen ...
An der Spitze seiner nassen Gefolgschaft Stellung beziehend, spähte Luzifel von einer Steilklippe aus durch den Regenschleier, auf der Suche nach den Dämonen. Obgleich er hoffte, sie nicht im weiten Land zu finden. Vielleicht hatten sie das Höllentor bereits erreicht und er müsste erfolglos heimkehren.
„... weiß doch selber gar nicht, wo er hinreitet ...“, hörte er Reihen hinter sich die Hetzer murmeln. „... hat keinen Biss mehr, will nicht mehr kämpfen ... lässt die Höllenbrut sicher ziehen ... wir sollten den Rat benachrichtigen und uns einen neuen Anführer suchen ... Michael hätte sie bestimmt gefunden und wir könnten endlich raus aus diesem Mistwetter ... Ja, der Hohe Rat sollte uns Michael geben.“
Wegen dem ach-so-feinen Rat seid ihr Trottel hier , schoss es Luzifel wütend durch den Kopf. Stellt euch selber hin und macht es besser, anstatt nur an mir herumzunörgeln.
Für die Du-bist-Schuld-Nummer herzuhalten, hatte er keinen Nerv. Bloß weil einige Engel so neidische Idioten waren, dass sie alles gegen ihn auffuhren, was aufzufahren ging.
Pech für die Teufel. Wenn er sie fand, würde er an ihnen ein Exempel statuieren, wer im Himmel der größte aller Kämpfer war. Ganz sicher nicht sein viel geschätzter Bruder. Und alle Gegenspieler würden das stinkende Dämonenblut in die arroganten Visagen geschmiert bekommen, damit sie nie mehr auf den Gedanken kämen, sich über ihn lustig zu machen.
Zähneknirschend wischte er den Regen von seinen Augen und schärfte die Sicht.
„... hab gehört, er frönt seit Neustem der Trägheit ...“, verlachte ihn leise ein Niemand. „... neigt dazu, den Todsünden zu verfallen ... Vielleicht hockt er bald mit bei denen im Knast ...“
Dort.
Unterhalb einer Hochebene sah er eine Gruppe über die grasige graue Steppe ziehen. Geschätzt waren es um die zweihundert Mann, vielleicht noch fünfzig Köpfe mehr, aber Luzifel wusste erfahrungsgemäß, dass sie auch Kinder und Frauen mit sich führten. Es war mit Sicherheit niemals eine wehrhafte Kriegerelite.
Luzifel zog sein Schwert aus der Scheide. Die Kristallklinge wies glänzend in die Ferne.
Dunkel grollte der Gardeführer seiner Truppe zu: „Macht sie nieder!“,.
Jaspis breitete seine Flügel aus und stürzte mitsamt seinem Reiter den Hang hinab. Kurz bevor die goldenen Eisen das Gras platt trampeln konnten, sprang Luzifel aus dem Sattel und breitete seine eigenen Schwingen aus. Weiß brachen sie aus seinem Rücken hervor und gingen von einem scheinbar geisterhaften in einen physischen Zustand über.
Seinem Beispiel folgend, flogen die anderen Engel ihm nach und bald galoppierte ihre gesamte Herde geflügelter Pferde donnernden Hufes über die Feldmark, während die Soldaten mit gezücktem Silberschwert vom Luftraum her die gegnerische Gruppe anvisierten.
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