Runde um Runde ...
Mutlos und gelangweilt von seinem goldenen Käfigleben, atmete er tief durch und fragte sich nicht zum ersten Mal, was wohl wäre, wenn er seinen Kopf gegen den weißen Marmorboden schlüge ...
Wie ist das Sterben?
Es wäre zumindest eine Abwechslung.
Und Gott könnte ihm dann auch nichts mehr anhaben, denn das Reich der Toten entzog sich ihrer doch sonst so allgegenwärtigen Macht.
Er musste grinsen. Lachte gar verzweifelt.
Wartete irgendwo ein spannenderes Abenteuer? Dort, wo sein Geist ursprünglich herkam? Dass Gott seine Seele geformt hatte, bezweifelte er stark. Weit fern von dieser Welt war sein Herz, sein Denken, sein Wille entstanden und vielleicht konnte er durch einen Tod in der jetzigen Realität dieser entfliehen.
Neu anfangen. Ein anderer sein.
Je länger er darüber nachdachte, desto verlockender wurde die Vorstellung. Es gab mehr als diese schäbige Kulisse von Gottes Werk. Viel, viel mehr ...
„Mein Fürst!“
Ich bin nicht da, ich bin nicht da, ich bin nicht da ...
Aber das Klopfen an der goldenen Zimmertür nervte.
Schwerfällig schaffte er es, einen Fuß auf den weißen Parkettboden zu setzen. Das zweite Bein wollte sich nicht bewegen. Dagegen wurde das Hämmern an der Tür fortwährend dringender.
Dem Störenfried rief er lustlos zu: „Du kannst reinkommen, die Tür ist offen.“
„Oh“, kam es peinlich berührt von der anderen Seite. Die glänzende Klinke wurde gedrückt und ein Engel betrat seinen geliebt-verdammten Privatraum. Wer auch sonst?
Hier stand nun also einer dieser niederen Engel, die ihn ja so umschwärmten. Samael war von einem sorgsam behüteten Hain aus nicht zur militärischen Garde gegangen, nein. Stattdessen hatte er seine intellektuellen Fähigkeiten genutzt, um jetzt als sein persönlicher Sekretär und höriger Laufbursche herzuhalten. Und diese Aufgabe erledigte der Blondschopf strebsamer als gefordert.
Suchte Luzifel ein wichtiges Dokument, war Samael sofort zu Stelle und hatte bereits den Stift zur Unterzeichnung parat. Stand in seinem Terminkalender ein wichtiges – oder auch banales – Ereignis, tat Samael alles, damit er diesen Zeitpunkt auch einhielt. Gab es gesellschaftliche oder berufliche Neuigkeiten, flitzte Samael sofort los, um ihn genaustens zu unterrichten.
Der Bursche war scheinbar das Musterbeispiel eines loyalen Idioten. So auch die anderen Geflügelten. Umso mehr fühlte sich da ein eigenständig denkender Geist haushoch verlacht. Ein gutes Leben hatten nur diejenigen, die sich fügten.
Eigentlich konnte er Samael nichts vorwerfen – außer, dass sein Arbeitseifer Luzifel noch mehr in der Falle sitzen ließ.
Freiheit. Einfach mal einen Augenblick nur das machen, wonach ihm selbst der Sinn stand. Tun, was er selbst tun wollte, und dazu zählte auch mal faul sein ...
Ist wohl zu viel verlangt.
„Mein Fürst, es gibt -“
Luzifel hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. Doch statt etwas zu sagen, atmete er erneut auf der Liege tief durch, fuhr mit den schlanken Fingern durch sein welliges Haar und schloss die Lider. Genoss die Stille, bevor ein Sturm es wagte, loszubrechen.
„Ähm ... Geht es Euch nicht gut, Herr?“, fragte Samael schließlich leise mit winselndem Blick.
„Wenn gut gehen bedeutet, dass ich fröhlich aufjauchzen soll, nur weil du hier bist, um mir zu sagen, dass ich mal wieder auf Gottes Befehl hin die Drecksarbeit machen darf, dann geht es mir Tatsache nicht gut, kleiner Malach.
Wie nannte Michael mein Denken doch kürzlich?“
Als wenn das eine Frage wäre. Er wusste, was hinter seinem Rücken gewitzelt wurde ...
„Sch-schwermütig?“, stammelte der Engel zögerlich. „Ich glaube nicht, dass Euer Bruder es böse gemeint hat, mein Fürst.“
„Und dennoch hat er recht. Heute kannst du mich vergessen, Sam. Also sag mir, dass du bloß gekommen bist, um zu berichten, dass die Weiße Garde einwandfrei marschiert und ich in nächster Zeit keinen weiteren Fuß nach draußen setzen muss.“
„Ich ... Bedaure Herr, so ist es leider nicht.“
Luzifel seufzte und fragte, nach kurzem, bedächtigem Schweigen und ohne eine Miene zu verziehen, ernster: „Nun, was verdirbt mir meine ohnehin schlechte Laune?
Und wen muss ich töten, um sie zu bessern?“
„Im Hades wurde eine Gruppe Dämonen von unseren Spähern gesichtet. Sie sind auf den Weg zum Höllentor. Der Hohe Rat lässt nach Euch schicken, um mit der Garde loszuziehen, die Dämonen zu vernichten, bevor sie das Höllenreich betreten und Satan -“
„Hab keine Lust, lass sie weiterziehen“, wand er sich salopp raus.
Tja ja, die Dämonen. Von Gott verstoßene Kreaturen, die eine dritte, unbekannte Welt bevölkerten. Nach Himmel und Hades war da die Ebene Gehenna, die ihnen eine Zuflucht bot und dort herrschte ein Großdämon namens Satan.
Es war zig Zeitrechnungen her, dass Satan und seine Mannen Gott und die Engel zum Kampf herausforderten. Es kam zu einem Großen Krieg, dessen Auswirkungen bis heute anhalten. Luzifel selbst war es damals gewesen, der Satan schlug und die verhassten Dämonen zum Rückzug zwang. Seitdem gab es nie wieder eine ernstzunehmende Herausforderung für ihn.
Dieser friedlichen Tage wurde er nur noch losgeschickt, um vereinzelte Gruppen anzugreifen, die durch den Hades wanderten, um nach Gehenna zu kommen.
Wie es dort unten aussehen mag? Muss trostlos sein, wenn die Dämonen von da so oft ins gefährliche Grenzland gehen. Ansonsten würde ihn auch interessieren, was seine ewigen Feinde dazu veranlasste, einen noch trostloseren Ort wie den Himmel erobern zu wollen. Vielleicht sollte er einen der armseligen Teufel fragen, ehe er ihm den hässlichen Kopf abschlug ...
„Mein Fürst, wollt Ihr Euch etwa dem Befehl des Hohen Rates widersetzen?“, fragte der junge Engel erschrocken.
Ja, warum denn nicht?
„Sam, ich habe das schon so viele Male durch. Ein paar Dämonen tauchen auf, ich soll sie umbringen. Gegen wen ziehe ich da ins Feld? Die Dämonen haben Satan, fein, aber der ist keine Führungsspitze und seine Soldaten sind einfache Bauern, keine Krieger.
Mein Schwert gegen Spitzhacken, ich habe darauf keinen Bock.“
„Aber eine Gardeeinheit seht schon bereit und -“
Luzifel horchte auf. „Wer hat das denn befohlen?“
„Ratsherr Metatron.“ Samael wirkte etwas geknickt. „Und ich soll Euch sagen, dass, wenn Euch wieder Kopfschmerzen plagen oder Euch sonstige Ausflüchte einfallen, würde man einen anderen an Eurer Stelle schicken und diesmal laufe das Verfahren über Eure Entscheidung zur Befehlsverweigerung direkt vor Gott.“
... Oh, Meta will bei Mutti petzen.
Wütend schnaufte Luzifel durch die Nase aus.
Gott würde sicher nicht sehr streng mit ihm sein, er war schließlich ihr Lieblingskind. Dennoch würde es sehr unangenehm werden und er verspürte den Drang, dem selbstgerechten Anstifter die Gurgel umzudrehen. Was würde die erlauchte Gottheit davon halten?
Dem Befehl folgen oder Ärger kassieren?
„Okay, okay, okay“, murmelte Luzifel missgestimmt und rollte sich von der Liege auf in Sitzpose, die Füße am Boden ausgestreckt. „Sag den Truppen, ich zieh mich um und komme dann runter ...“
„Jawohl, Fürst Morgenstern.“ Samael salutierte artig und verließ den Raum.
Wieder allein fuhr Luzifel abermals mit den Fingern durch das Haar und zerzauste es. Ein wenig Chaos stiften, bevor er sich weiter gestriegelt und gebügelt geben musste. Metatron und Konsorten lästerten sowieso herum, weil seine Mähne nicht der gewünschten Maxime entsprach.
Schließlich sollte der Gardeführer jemand sein, der Ordnungssinn repräsentierte und aufrichtig den Rat und sein Wort unterstützte – statt einem unfolgsamen, lotterhaften Vagabunden, der eher an einen verächtlichen Grigori erinnerte.
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