„Da könntest du Recht haben. Ich habe mich schon manches Mal gewundert, wieso so viele Jungs sich für die Cindy interessieren sollten und auf sie reinfallen.“
„Kommst du mit rutschen?“, fragt Annika.
Tilly schaut sich um, ob Herr Schulze in der Nähe ist und fragt Lydia: „Können wir dich hier alleine lassen?“
„Na klar. Geht nur und macht die anderen müde.“
Auch Lydia sieht sich vorsichtshalber suchend um und muss etwas schmunzeln. Die Cindy ist zum Schatten der Frau Berger geworden und zieht ein Gesicht wie ganz viel Regenwetter. Da Annabell es ohne Cindy nicht aushält, beschattet sie Frau Berger gleich mit.
Lydia macht es sich auf ihrer Decke bequem, schließt ihre Augen und genießt die Sonne.
Nach kurzer Zeit wird es kühler und sie denkt: „Sicher ist eine Wolke zwischen mich und die Sonne gezogen.“
„Soll ich dich eincremen?“, flüstert die Sonne. „Damit du nachher nicht aussiehst wie ein knuspriges Hühnchen.“
Erschrocken setzt sie sich auf.
Um ein Haar wäre sie gegen Herrn Schulze geprallt, weil der sich gerade in diesem Moment zu ihr herunterbeugt.
„Herr Schulze, haben sie mich erschreckt! Nein, danke. Das ist nicht nötig“, lehnt sie entschieden ab.
„Ach, komm schon. Hab dich nicht so. Diese Gelegenheit hast du nicht so schnell wieder. Die willst du dir doch nicht entgehen lassen, oder? Und außerdem, sag doch einfach Hans zu mir. Das ist doch viel vertrauter.“
Bevor sie antworten kann, ruft Frau Berger: „Herr Schulze, kommen Sie doch bitte. Die Jungs wollen Wasserball spielen und brauchen einen Schiedsrichter.“
Sein Gesicht fällt etwas zusammen und er flüstert: „Bis später, Süße.“
Laut sagt er: „Aber natürlich, ich habe gerade nichts anderes vor.“
Frau Berger ist unterdessen mit ihren beiden Schatten angekommen und sagt leise zu Lydia: „Vor zwei Jahren war ich mit dem alleine. Das war unangenehm.“
„Das kann ich mir vorstellen. Machen Sie sich keine Sorgen. Mit dieser Art Mann werde ich schon fertig.“
Damit Frau Berger wenigstens eine kurze Zeit aufatmen kann, bietet Lydia ihr an, Cindy und Annabell zu beaufsichtigen. Tilly und Annika kommen auch bald darauf zurück, sodass Lydia sich nicht mehr so unwohl fühlt.
„Hast du schon genug Ideen für dein neues Buch, oder sollen wir uns etwas einfallen lassen?“, fragt Tilly.
„Bloß das nicht. Mir reicht es vollkommen, was um mich geschieht“, sagt Lydia gespielt entsetzt. „Ich freue mich schon auf die Einsamkeit und Ruhe in meiner Wohnung.“
„Was für ein Buch?“, fragt Cindy empört und sieht Lydia mit zusammengekniffenen Augen an. „Sie werden doch nicht über mich schreiben? Das rate ich Ihnen nicht! Sowie ich davon etwas erfahre, wird mein Vater sie verklagen. Da können Sie Gift drauf nehmen.“
Annabell nickt, um die Worte von Cindy zu bekräftigen. Sicher will sie Lydia nur darauf vorbereiten, dass sie nie mehr froh wird, sollte sie sich nicht an die Warnung halten. Cindy dreht Lydia den Rücken zu und bleibt so sitzen, bis Frau Berger sie eine Stunde später wieder abholt.
Tilly und Annika wollen noch eine Runde schwimmen.
Lydia ist wieder allein auf der Decke, traut sich aber nicht, die Augen zu schließen. Das war eine gute Idee, denn sie sieht den Herrn Schulze, wie er schnellen Schrittes auf sie zueilt.
„ Nichts wie weg hier“, denkt sie und läuft den Mädchen hinterher.
Lydia ruft ihnen zu: „Wollen wir um die Wette schwimmen? Los. Wer zu erst am anderen Ende ist, hat gewonnen.“
Sie springt ins Wasser und schwimmt sich den ganzen Herrn-Schulze-Frust von der Seele. Tilly und Annika kommen kaum hinterher.
Ein Teil des Freizeitzentrums ist als Fitness-Park ausgebaut. Frau Berger schlägt am Nachmittag vor, dass alle testen sollen, wie fit sie sind. Manche stellen sich geschickt an, andere hängen wie Affen an den Stangen.
Herr Schulze kommentiert die Versuche seines etwas beleibten Sohnes. Dabei schielt er immerzu in Lydias Richtung und kommt sich mit seinen Bemerkungen mächtig schlau vor. Er hat die Abfuhren scheinbar nicht verstanden. Hannes strengt sich an, aber für seinen Vater ist nichts gut genug. Hannes ist schon fast den Tränen nahe und weigert sich, das nächste Gerät auszuprobieren. In Lydia staut sich die Wut. Der Junge tut ihr leid und sie sagt: „Herr Schulze, man kann von seinem Kind nicht verlangen, wozu man selbst nicht in der Lage ist. Dann zeigen Sie Ihrem Sohn doch mal, wie es gemacht wird.“
Herr Schulze winkt nur ab und sagt: „Als ich so jung war, da habe ich alles mit Leichtigkeit genommen.“
Hannes will es noch einmal versuchen. Er greift nach der Stange und strengt sich sehr an, bekommt aber keinen Klimmzug hin. Es hilft ihm auch gar nichts, dass er dabei kräftig zappelt und laut stöhnt.
Die meisten Kinder grinsen.
Sein Vater sagt genervt zu ihm: „Junge, du bist eine Pfeife. Aus dir wird mal nichts, so blöd wie du dich anstellst.“
Lydia zwinkert Hannes zu und erwidert: „Herr Schulze, ich dachte gerade, wie ähnlich Sie doch Ihrem Sohn sind.“
Das saß. Herr Schulze bekommt einen roten Kopf, dreht sich um und geht. Frau Berger hat Lydia verstanden und lächelt. Auch Hannes muss sie gehört haben, denn er stutzt, denkt kurz nach und fängt an zu lachen.
Später sagt er zu Lydia leise: „Danke.“
Sie kann es sich nicht verkneifen, ihm freundschaftlich durch die Haare zu wuscheln.
Frau Berger sieht nachdenklich vor sich hin: „Kinder können nichts dafür. Sie sind das Produkt ihrer Eltern. Da spielt zum einen Vererbung eine Rolle. Aber, wenn es nicht viel zu vererben gibt .....“
Sie lächelt Lydia an und spricht weiter: „Zum anderen können Kinder nur so gut sein, wie die Vorbildhaltung der Eltern auf sie abgefärbt hat. Und wenn kein Vorbild vorhanden ist .....“
Lydia denkt über diese Äußerungen kurz nach und nimmt sich vor, diese Zitate unbedingt mit in ihrem Buch zu erwähnen.
Am Abend treffen sich wieder alle auf der Wiese. Die jungen Männer haben das Lagerfeuer bereits angezündet. Einige Kinder spielen Verstecken im Dunkeln. Lydia sitzt allein auf einem umgefallenen Baumstamm, schaut in die Flammen und hängt ihren Gedanken nach. Deshalb hört sie Herrn Schulze nicht kommen. Er lässt sich schwerfällig stöhnend neben sie fallen.
„Das wird ja Zeit, dass ich dich ohne die störenden Gören erwische. Du lebst doch allein und bist sicher froh, mal die Gesellschaft von einem richtigen Mann zu genießen.“
Er grinst sie an und stößt ihr unsanft seinen Ellenbogen in die Seite.
„Danke für Ihre Sorge, aber ich komme schon klar“, sagt sie und fragt: „Sind Sie auch erleichtert, morgen endlich wieder nach Hause zu können?“
„Nein. Ich würde gern noch mit dir hierbleiben“, antwortet er und streichelt ihr über den Arm.
Lydia zuckt zusammen und rückt weg.
„Sei doch nicht so. Du musst doch keine Angst vor mir haben. Bis jetzt hat sich noch keine beklagt. Wenn du weißt, was ich meine.“
Er holt Schwung und schiebt seinen massigen Körper ganz nah an sie ran.
„Ich glaube nicht, dass ich das nötig habe“, sagt Lydia und versucht, ihn abzuschütteln.
„Hab dich doch nicht so“, sagt er etwas ungehalten, wechselt den Ton und säuselt freundlicher: „Außerdem kannst du ruhig Hansi zu mir sagen. Wie oft soll ich dir das noch anbieten?“
„Nee, ganz bestimmt nicht“, antwortet Lydia und springt auf. „So hieß nämlich der Wellensittich meiner Oma. Ich kann mich nicht überwinden, Sie so zu nennen. Das hat der Vogel nicht verdient.“
„Nun werde doch endlich etwas locker“, brummt er sie an und ignoriert diese Beleidigung einfach.
„Herr Schulze“, sagt sie jetzt mit Nachdruck. „Sie sind doch sicher mitgefahren, weil sie sich um die Kinder kümmern wollten. Nicht um mich!“
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