„Wissen Sie, wie sie genau heißt oder wo sie wohnt?“, fragte nun Tamara.
„Moment, ich hab´s gleich.“ Die Furchen auf Alice Monroes Stirn wurden tiefer. „Jetzt fällt’s mir ein! Sie heißt Stavarakis. Romaine Stavarakis. Sie wohnt, oh Gott, ich meine, sie wohnte hier, in Chinchilla, mit ihrem Cousin. Ed Fraser, heißt er.
Romaine Stavarakis’ Haus lag am Ortsausgang von Chinchilla. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befanden sich nur noch zwei weitere Häuser, Holzhäuser, von denen die Farbe abblätterte. Auch Romaines Haus hätte einen frischen Anstrich und ein paar Reparaturen der Fenster vertragen können. Die Trockenheit setzte den Vorgärten zu, Sträucher waren dürr und die Rasenflächen braun. Auf einem Grundstück hing Wäsche auf der Wäschespinne. Hinter den beiden Nachbarhäusern drehte sich quietschend ein rostiges Windrad, das eine Wasserpumpe antrieb. Durch die Felder hoher Gräser, die sich an die Häuser anschlossen, blies der Wind Schneisen. Am Straßenrand, vor Romaines Haus, stand ein roter, glänzend polierter allradbetriebener Ford Explorer. Eine Frau mit dauergelocktem blondierten Haar und buntgemusterter, weiter Bluse über einer engen gelben Hose kam mit einem Wäschekorb aus einem der Häuser und steuerte auf die Wäschespinne zu. Als sie Shane und Tamara aussteigen sah, rief sie bestimmt aber nicht unfreundlich:
„Zu wem wollen Sie?“
„Wohnt da drüben Romaine Stavarakis?“, rief Shane zurück.
Sie nickte.
„Ist das Romaines Wagen?“, fragte Tamara.
„Sind Sie von der Polizei?“ Sie stellte den Wäschekorb auf den Boden und kam näher
„Romaine fährt einen weißen Toyota Kombi“, sagte sie, nachdem Tamara ihr den Ausweis entgegengehalten hatte. „Der rote Ford da, ist der Wagen von Ed. Sind Sie wegen ihm hier?“ Die Frau blickte Shane und Tamara einen Moment forschend an.
Als weder Shane noch Tamara antworteten, fragte sie vorsichtig: „Oder wegen Romaine?“ Wieder blickte sie von Shane zu Tamara. „Sagen Sie bloß, ... Sie wollen doch nicht behaupten, dass... ist sie ... die Tote?“ Ihre Stimme wurde schriller.
„Wann haben Sie Romaine Stavarakis zum letzten Mal gesehen?“, fragte Tamara anstatt zu antworten.
„Jesus!“ stieß die Frau hervor, „ich hab’ noch gedacht: komisch, dass sie die ganze Zeit weg ist! Sonst seh’ ich sie immer mal morgens oder wenn sie Wäsche aufhängt. Jesus!“ Sie schlug die Hände vor ihr gerötetes Gesicht, das sicher schon vor Jahren seine Konturen verloren hatte.
„Mrs...?“, begann Tamara.
„Bosch. Emily Bosch.“
„Mrs. Bosch, wann haben ...“
„Mein Gott“, sie biss sich auf die Lippe, „jetzt weiß ich es wieder. Ich war am Dienstag, nein, warten Sie, am Mittwoch, beim Friseur und da fragte meine Friseuse, ob ich Romaine gesehen hätte, sie hätte vor mir einen Termin gehabt und sei nicht gekommen.“
„Das war letzten Mittwoch?“, fragte Shane.
„Ja, genau.“
„Danke Mrs. Bosch.” Tamara wendete sich zum Gehen.
Emily Bosch sah ihnen nach, wie sie zu Romaines Haus hinüber gingen.
Die Gestalt, die ihnen nach mehrmaligem Sturmläuten schließlich öffnete, war spindeldürr, hatte bunt tätowierte Arme, und einen dünnen Pferdeschwanz. Ed Fraser war blass, Mitte oder Ende Dreißig, mit spitzer Nase und tief liegenden ängstlichen Augen. Unter dem ungepflegt wuchernden Schnauzer schimmerten lange, graugelbe Zähne. Ein Junkie sah kaum anders aus, dachte Shane.
„Verdammte Zeugen Jehovas, was?“, fuhr er sie an. Sein Atem roch nach Alkohol und Zigaretten, das weiße T-Shirt war fleckig und die Jeans waren an den Knien aufgerissen. Er wollte ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen und hielt erst in der Bewegung inne, als Shane ihm seinen Ausweis entgegenstreckte und den Fuß in die Tür stellte.
„Mister Fraser?“, fragte Shane, „Ed Fraser?“
„Dürfen wir reinkommen?“, fragte nun Tamara.
„Wenn ich nein sage, holt ihr die Handschellen raus, was?“ Resigniert trat er zur Seite und sie gingen an ihm vorbei. Im Wohnzimmer lief der Fernseher.
„Na, dann legt mal los.“, sagte er mit provozierendem Unterton.
„Sind Sie der Cousin von Romaine Stavarakis?“
„Yeah!“ Er nahm einen Schluck Bier aus der Flasche.
„Wann haben Sie Ihre Cousine zuletzt gesehen?“, fragte Shane, sich umsehend.
Ed hatte sich auf die Couch gelümmelt, Bierflaschen, mehrere leere oder halbleere Chipstüten, Reste eines Hamburgers, Zigarettenschachteln und ein Aschenbecher, in dem sich Asche und Kippen häuften, lagen auf dem Sisalteppich. Gelüftet hatte er wohl seit Tagen nicht. Die weißen Rattanmöbel, die bunten, zueinander passenden Kissen schienen mit weiblichem Geschmack und Sorgfalt ausgewählt worden zu sein. Im Moment machte die Wohnung allerdings den Eindruck, dass seit Tagen nicht mehr aufgeräumt oder sauber gemacht worden war.
„Romaine? Weiß nicht. Vielleicht letzte Woche.“ Ed pulte an seinem Daumennagel. Shane zog das Foto hervor, das die Tote mit abgedecktem Gesicht zeigte.
„Könnte das Ihre Cousine sein?“
„Ach du Scheiße!“, rief Ed aus. „Sie hatte so ´nen Rock ...!“
„Hatte sie eine Zahnprothese der vier oberen Schneidezähne?“, fragte Shane weiter.
Als Shane und Tamara ihn fragend ansahen, holte er geräuschvoll Luft.
„Sie hatte so einen Typen kennen gelernt, George, mit ihm wollte sie wegfahren.“ Er zuckte die knochigen Schultern, „sie hat mir `en Zettel hingelegt, dann hab’ ich nichts mehr von ihr gehört.“
„Wo ist der Zettel?“
Ed blickte Shane an. Die Schatten in seinen hohlen Wangen wurden noch dunkler.
„Den hab’ ich weggeworfen. Mann, es war `ne Nachricht, dass sie mit ihm `ne Weile wegfährt, da hab’ ich mir doch nichts dabei gedacht! Bin doch nicht ihr Kindermädchen!“
„Und Sie haben sich natürlich keine Gedanken gemacht, als sie sich nicht meldete?“, fragte Tamara.
„Wieso denn?“, blaffte er, „Wieso sollte sie sich überhaupt ... “
„Wie heißt der Mann genau?“ fiel ihm Tamara scharf ins Wort. „Name, Adresse?“
„Keine Ahnung! Hab’ ihn ja noch nicht mal gesehen!“
„Wann hat sie Ihnen den Zettel hingelegt?“
„Am Samstag – also gestern vor `ner Woche!“
„Und seitdem haben Sie nichts mehr von ihr gehört?“
„Nein, Scheiße, Scheiße, Scheiße!“
„Und was haben Sie am Samstag und am Sonntag vergangener Woche gemacht, Mister Fraser?“, fragte nun Shane.
Ed trank die Flasche aus und kratzte sich am Kopf.
„War ja klar - die Scheißfrage nach dem Alibi!“ Er ließ einen anzüglichen Blick über Tamara wandern, zog die Nase hoch und sagte dann lässig: „War in Brissi, bin am Samstag los, war erst am Montag frühmorgens wieder hier.“
„Wann genau? Mit wem? Mit ihrem Wagen?“, fragte Tamara ungerührt.
„Scheiße! Irgendwann am Nachmittag. Sicher mit meinem Wagen! Verdammt, das ist `en echtes Verhör, was?“
„Zeugen in Brisbane?“
Ed wischte sich mit dem Handrücken über seinen zotteligen Schnauzer. „Sicher, Sweetheart, ich fahr doch nicht nach Brissi um allein vor mich hinzudämmern, was?“
„Noch einmal Sweetheart und wir werden andere Methoden anwenden, Mister Fraser.“
„Wie soll ich das denn verstehen?“
„Indem Sie darüber nachdenken“, sagte Tamara kühl.
„He, he schon gut!“ Er hob die Hände, „he, wie wär’s mit `nem Eis? Vanille? Schoko? Ist im Kühlschrank...“
„Also,“ ging Shane dazwischen, bevor das hier aus dem Ruder lief, „Namen?“
„He, ich hab’ das ernst gemeint mit dem Eis!“, krampfhaft hielt Ed die Bierflasche fest. „Also gut: Sidney Emmerson. Wir waren in Harry Newmans Kneipe. Zufrieden?“
Читать дальше