Nora presste die Lippen aufeinander und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Na gut. Aber wehe, du beschwerst dich hinterher!“ Sie startete den Motor und würgte ihn gleich wieder ab. „Verdammte Dreckskarre!“ fluchte sie und schlug wütend auf das Lenkrad. Es ertönte ein kurzes Hupgeräusch, welches klang, als hätte man eine Ente überfahren. Nora lenkte das hoppelige, kleine Auto zurück auf die Straße und drehte ruppig.
„Nora, bitte. Beruhig dich wieder.“ Hannah war zum Heulen zumute. Dieser Urlaub war schon jetzt eine Katastrophe. Sie hätte nicht mitfahren sollen. Warum zum Teufel hatte sie sich von Nora dazu überreden lassen? Sie fuhren schweigend das kurze Stück wieder zurück, bis die Farm erneut ins Sichtfeld kam.
„Da steht Cloverlane Farm und B&B dran“, sagte Hannah.
„Ja, das seh ich auch“, zischte Nora. Sie verzichtete auf das Blinken und hielt vor dem mittleren der drei geschlossenen, hüfthohen Holztore. Hannah stieg aus, atmete durch und schlug die Autotür hinter sich zu, etwas fester, als es nötig gewesen wäre.
Hannah hatte ein Déjà-vu, als sie an der Tür klingelten und im Nieselregen auf eine Reaktion warteten. Auch bei den anderen Pensionen hatten sie wie begossene Pudel im Dunkeln vor der Tür gewartet, entweder völlig umsonst oder um kurz angebunden darüber informiert zu werden, dass es kein Zimmer für Hannah geben würde.
Die Lampe neben der Tür des Hauses ging an, man hörte einen Hund bellen und durch die dicken, braunen Glasscheiben neben der Eingangstür sah man nun auch das Licht im Flur angehen. Jemand näherte sich und die schwere Holztür öffnete sich nach innen. Ein großer, hellbrauner Hund quetschte sich durch den Türspalt nach draußen und schob die Schnauze unter Hannahs Jacke. Wie automatisch streichelte sie ihm über den Kopf. Nora wurde mit einem kurzen Knurren bedacht.
„Arrow, komm rein“, sagte eine Stimme aus dem Haus und der Hund verschwand wieder nach drinnen. Die Tür öffnete sich nun etwas weiter und eine nicht ganz so schlanke, ältere Frau mit grauen Locken kam zum Vorschein. „Ja, bitte?“ Sie klang ernst und skeptisch und war definitiv nicht zu Späßen aufgelegt.
„Wir, ähm, ich ... bräuchte ein Zimmer für zwei Wochen. Wir machen hier einen Reitkurs und hatten Probleme mit der Buchung, und jetzt habe ich kein Zimmer.“
Die Frau musterte Hannah und starrte sie an. „Das ist doch nicht mein Problem. Wir haben schon geschlossen, die Saison ist vorbei!“
„Dan hat gesagt, wir sollen hier nachfragen“, sagte Hannah leise.
Die Frau hatte die Tür schon fast wieder geschlossen, als sich nun der hinter ihr stehende Mann einmischte. Sie murmelten miteinander und die Tür öffnete sich wieder.
„Na gut. Kommen Sie rein, wir besprechen das“, sagte die Frau und bedachte den Mann mit einem tadelnden Blick.
„Danke“, sagte Hannah, trat in den steingefliesten Flur und machte Platz, damit Nora die Tür schließen konnte. Der Hund knurrte Nora erneut an und wurde von der Frau weggeschickt.
„Nur Sie?“ fragte die Frau. Nora setzte zu einer Antwort an, aber Hannah antwortete zuerst. „Nur ich, ja. Sie hat noch eine Unterkunft im Reitstall bekommen.“
„Kommen Sie mal hier rein“, sagte die Frau und schlug auf den Lichtschalter eines kleinen, fensterlosen Raumes auf der linken Flurseite. „Sie nicht“, fauchte sie Nora an, die sich auch noch in den Raum quetschten wollte. „Hier ist nicht genug Platz!“
Nora rollte mit den Augen und verschränkte die Arme, blieb aber im Flur stehen.
Hannah betrat den kleinen Raum, der fast vollständig von einem Schreibtisch und einigen vollgestopften Regalen ausgefüllt wurde. Von der Decke baumelte eine einzelne Glühbirne. Wohlfühlatmosphäre pur.
„Setzen!“ befahl die Frau und Hannah gehorchte. Der Mann, der vorhin schon mit an der Tür gewesen war, schob sich nun auch noch in den Raum. „Hallo, Guten Abend!“
Er klang etwas freundlicher als die Frau und streckte Hannah seine Hand hin. Sie ergriff sie. „Hallo.“
„Was sind das für Probleme, die du mit dem Reitstall hattest?“ fragte er, während die Frau den Computer startete. Der Mann war sehr groß und wirkte mit seinem wirren, rotblonden Vollbart auf Hannah etwas ungepflegt. Er hatte aber freundliche Augen und ein nettes Lächeln. Bevor Nora, die nun am Türrahmen lehnte, loslegen konnte, ergriff Hannah das Wort. „Wir ... äh ... meine Freundin hat den Reitkurs für uns gebucht, es gab aber Probleme bei der Buchung und für mich war dann doch kein Bett mehr frei.“
Eine senkrechte Falte bildete sich zwischen den Augen des Mannes. „Und im Hotel auch nicht? Oder war das zu teuer?“
„Hotel?“ fragte Hannah. „Welches Hotel?“
„Du weißt doch, sie haben nicht gerne Reitgäste im Hotel“, sagte die Frau. „Außerdem ist es viel zu teuer.“ Er nickte. Es gab ein Hotel? Hannah sah zu Nora, die ihrem Blick auswich.
„Wie lange wollen Sie genau bleiben?“ fragte die Frau, die mittlerweile eine Lesebrille auf der Nase hatte und konzentriert auf den Computermonitor schaute.
„Zwei Wochen.“ Hannah nannte ihr das Abreisedatum.
„Mit Frühstück?“
„Ja, bitte, das wäre prima.“
Die Frau nickte und tippte etwas ein.
„Besteht die Möglichkeit, ein Abendessen zu bekommen?“
„Heute noch?“ fragte die Frau und schaute alarmiert auf.
„Ja, nein, ich meine allgemein.“
„Nein, heute auf keinen Fall mehr. Es ist schon nach zehn! Das geht nicht!“
„Das ist schon in Ordnung. Wissen Sie, wo man hier in der Gegend heute noch ein Abendessen bekommen könnte?“ fragte Hannah vorsichtig.
„Moment bitte, erst mal das mit dem Zimmer!“ Die Frau tippte erneut etwas ein und zeigte darauf. Der Mann lehnte sich rüber und sie flüsterten aufgebracht miteinander. Dem Gesichtsausdruck der Frau nach zu urteilen hatte der Mann die Auseinandersetzung gewonnen.
Zehn Minuten später holte Hannah ihr Gepäck aus dem Auto. Ihre Unterkunft für die nächsten vierzehn Tage war gesichert, sogar mit Lunchpaket mittags und Abendessen nach Absprache.
„Mein Sohn zeigt dir dein Zimmer und dann schaut mal, ob ihr unten im Ort gegenüber der Bushaltestelle beim Dönerstand noch was zu essen bekommt, das sind die Einzigen, die jetzt noch offen haben.“ Die Frau schüttelte Hannah die Hand. „Dann ... Willkommen. Ich bin Mary Sullivan, mir gehört diese Pension.“
„Ich bin Hannah.“ Hannah kam es erzwungen vor, und außerdem kannte Mary ja schon ihren Namen, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie hatte eine Unterkunft und sogar mit Hund! Das Haus machte einen sehr gemütlichen Eindruck und war um Längen einladender und auch wärmer als die schuppenartige Betonbaracke, in der Nora nächtigen musste und das für mehr Geld, als Hannah hier mit Abendessen zahlte. Sie stieg hinter dem Mann die enge Treppe hoch in den ersten Stock.
„Warten Sie doch im Auto draußen“, hörte Hannah Mary noch zu Nora sagen und kurz darauf fiel die Haustür zu. Hannah hoffte, dass Nora wirklich im Auto warten und nicht wutentbrannt davonrauschen würde.
Der Sohn der Pensionsbesitzerin blieb im Flur des Obergeschosses stehen und öffnete einen Wäscheschrank. Er nahm drei Handtücher heraus und öffnete die nächstgelegene Zimmertür. „Du kannst hier wohnen“, sagte er und ging hinein. Hannah folgte ihm in den Raum.
Das Zimmer war recht groß und in freundlichen Farben eingerichtet. Die unaufdringliche, hellgrün-hellgelb gestreifte Tapete, der goldfarbene, flauschige Teppichboden sowie der große, cremefarbene, runde Teppich neben dem Bett machten das Zimmer sehr gemütlich und wohnlich. An der Wand stand ein breites Bett mit wunderschön gemustertem Patchworkbettüberwurf in Naturtönen. Es war kalt im Zimmer, die Luft roch frisch und nach Holz. Der Mann drehte die Heizung ein wenig hoch.
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