Der Lärm unten nahm zusehend ab, er wollte nicht auf Johannes warten und stieg also die Leiter wieder herunter. Vorsichtig schlich er die Stallgasse entlang, darauf bedacht, möglichst ungesehen sein Tor zu erreichen. Als er Öffnungszeremonie in Gang setzte, und er auf einen schnellen Wechsel hoffte, kam der jüngere Mann, der als Zweiter das Burgtor passiert hatte, auf ihn zu. An seiner Hose nestelnd, konnte Kristian sich schon denken, weswegen er hier war. Es war für beide ein Schreck. Der Mann blickte Kristian an, zog sein Schwert und rannte die Stallgasse entlang auf Kristian zu. Für diesen gab es kein zurück. Gerade noch rechtzeitig, setzte das Flimmern ein. Grüßend die Hand hebend, verschwand er aus seinem Blickfeld. Wohltuende Stille empfing ihn, trotzdem immer noch damit rechnend, dass ihm ein Schwert folgen könnte. Er musste lachen, als er an das verdatterte Gesicht des Mannes denken musste, der vielleicht gerade an der gleichen Stelle stand wie er und einem Geist nachjagte.
»Hallo Junge«, dröhnte es aus einer Ecke. Der unverkennbare Zigarrenrauch hatte Kristian schon verraten, wer da auf ihn wartete. »Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte Großvater, »ich konnte einfach nicht einschlafen, und da fiel mir ein, dass du heute wieder zurückkommen wolltest. Sicher bist du müde und da habe ich mir gedacht, ich hole dich ab und fahre dich nach Hause.«
»Großvater, ich danke dir dafür, aber ich kenne dich genau, du kannst nicht abwarten und willst wissen, wie es mir in der anderen Zeit ergangen ist. Ich bin zu müde und will nur noch ins Bett.« Ein wenig enttäuscht drehte sich Großvater um und Kristian folgte ihm zu seinem Wagen, der nicht weit entfernt stand.
Ohne weitere Worte zu wechseln, fuhr Großvater ihn nach Hause. Als sie endlich vor seinem kleinen Haus angekommen waren, brach Kristian das erdrückende Schweigen.
»Tut mir leid«, sagte er, als er Großvaters enttäuschtes Gesicht sah, nur um kurz darauf, ohne eine Antwort abwartend, auszusteigen und die Autotür zufallen zu lassen. Jetzt zählte nur noch sein Bett. Die Haustür fiel hinter ihm zu, er zog sich aus und kurze Zeit später war er auch schon eingeschlafen.
Die ersten Sonnenstrahlen machten sich in seinem Zimmer breit. Bewusst, dass er sicher in seinem eigenen Bett lag, verleitete ihn, die Augen noch mal zu schließen.
Eigentlich hätte er darauf gefasst sein müssen, dass Großvater nicht so schnell klein beigeben würde. Tassengeklirr riss ihn wieder aus seinem Schlaf. Kristian hatte keine Zweifel, wer die Geräusche verursachte. Der Wecker verriet ihm, dass es kurz vor zehn Uhr war. Ihm fiel ein, dass er sich gestern Abend nicht die Zeit genommen hatte, seine Haustür abzuschließen. Er ging ins Badezimmer und zog sich an. Ein Blick in die Küche zeigte ihm einen Großvater von einer Seite, die er noch nicht kannte. Großvater sah ihn kommen und strahlte ihn an.
»Großvater, kochst du zuhause für die anderen auch Kaffee?«
»Es ist doch selbstverständlich, dass ich für unseren Heimkehrer etwas vorbereite, zumal man beim Frühstück so richtig entspannt plaudern kann.« Kristian sah ein, dass es für Großvater ein ebenso großes Abenteuer war wie für ihn. Er erzählte ihm, was er im Mittelalter erlebt hatte.
Ihn nicht aus den Augen lassend, hingen seine Augen auf Kristians Lippen, um ja nichts zu verpassen. Die Zeit verging, er wollte alles wissen.
»Was ist mit unserem Haus, hast du es gesehen?«
»Großvater, ich war doch nur kurz weg, so schnell kann man doch die Gegend nicht erkundigen.«
Beim nächsten Besuch wollte er haltbare Lebensmittel aus Bundeswehrbeständen mitnehmen und hatte dabei speziell an Hanna gedacht, aber auch Johannes sollte nicht zu kurz kommen. In Silberfolie eingeschweißte Notrationen waren um ein Vielfaches besser, als das trockene Brot. Großvater druckste herum, »Junge, was meinst du, nimmst du mich irgendwann mal mit?«
»Du weißt«, sagte Kristian, »dass das Tor meine Schwachstelle ist. Ich muss jedes Mal erst in die Burg und dann sehen, wie ich wieder heraus und hereinkomme. Ich glaube nicht, dass du dich gerne unter eine Fuhre Mist verstecken willst.« Um ihn abzulenken, fragte er deshalb: »Was weißt du über Elfen?« Erstaunt schaute Großvater ihn an. »Begegnet ist mir noch keiner.« Nicht wissend, ob er ihn auf den Arm nehmen wollte, blickte Kristian ihn kurz an. Großvaters Lachfalten um die Augen blinzelten verräterisch, beide lachten sie laut auf. Die Spatzen in den Obstbäumen, suchten jetzt bestimmt erschreckt das Weite. Sie konnten sich nur langsam beruhigen. »Großvater, ich muss erst in die Stadt zum Einkaufen. Wenn ich alles beisammenhabe, wäre ich dir dankbar, wenn du mich mit meinen Sachen heute Abend zum Tor hochfährst.«
»Das mache ich gerne«, sagte er. »Sag nur Bescheid, wenn du so weit bist, ich komme dann.« Bald saß Kristian alleine am Frühstückstisch. Schnell hatte er aufgeräumt, sodass er sich seine Einkaufsliste vornehmen konnte. Das Wichtigste schienen ihm haltbare Lebensmittel zu sein. Wenn er Hanna besuchte, musste doch etwas Essbares im Hause sein.
Er fuhr in die Stadt. Hier hatte er mehr Auswahl, wie in seinem Dorf. Schnell war der Einkaufswagen voll. Zum Schluss noch zwei Dosenöffner und zwei zusammensteckbare Bundeswehrbestecke. In zwei Seesäcke hatte er alles verstaut. Im normalen Einkaufszentrum holte er noch duftende Seife, Butter, Zucker wie versprochen, Salz und einige Gewürze. Vakuumverpackte Hühnersuppen durften nicht fehlen.
Er dachte darüber nach, was passieren würde, wenn nicht Eingeweihte diese Verpackungen im Mittelalter finden würden?
Hannas Haus stand unter Elfenschutz, ungebetene Besucher waren kaum zu erwarten. Trotzdem würde er Hanna bitten, den Abfall aus seiner Zeit zu sammeln, damit er ihn mit zurücknehmen konnte.
Da seine Brötchen das letzte Mal so gut angekommen waren, deckte er sich reichlich damit ein.
Nachdem seine Einkäufe im Auto verstaut waren, ging er nochmals zurück. Ihm fiel ein, dass er Hanna noch eine Freude machen wollte. Er wusste, dass es um die Ecke einen Secondhandshop gab. Es sollte ein Kleid sein, das bis zu ihren Füßen reichte. Schnell war das Richtige gefunden. Es schien eine Art Trachtenkleid aus seiner Gegend zu sein. Zumindest hatte es etliche Borden und Rüschen. An Schuhe wagte er sich nicht ran, da er ihre Größe nicht kannte.
Am späten Nachmittag machte er mit Großvater einen Termin für den nächsten Übergang aus.
Um nicht wieder bei Johannes die Kleider wechseln zu müssen, versuchte er sich den Umständen entsprechend, annähernd anzuziehen. Schwarze Lederhose und Weste schien ihm ein Kompromiss zu sein. Pünktlich fuhr Großvater vor, sie verstauten die Einkäufe, die er in zwei Seesäcke aufgeteilt hatte in den Kofferraum, und ab ging es. Angekommen trugen sie alles den Rest des Weges in den Burghof. Die Sachen um Kristian verteilt, stand er schließlich auf der Stelle, die in eine andere Welt führte. Ein komisches Gefühl hatte er schon, da er nicht wusste, was sein letzter Abgang für einen Wirbel verursacht hatte. Er blickte sich um. Großvater stand abseits und ließ ihn nicht aus den Augen. Sicher wollte er sehen, wie Kristian das Tor öffnete. Zum Glück wusste er nicht, wie einfach die Sache in Wirklichkeit war. Um das Ganze noch ein wenig auf die Spitze zu treiben, winkte Kristian ihm nochmals zu, hob seine Arme über den Kopf. Schon der Gedanke an das sich öffnende Tor brachte ihn ohne Übergang ins Mittelalter zurück. Zum Glück geschah das ohne den geringsten Laut und man erhielt auch keine Bestätigung über den gelungenen Zeitwechsel. Der Stallgeruch der Pferde bestätigte ihm jedoch, wo er war. So weit schien alles in Ordnung zu sein. Vorsichtig hievte er sein Gepäck über die Leiter nach oben. Einen Seesack versteckte er am Ende des Heubodens, ohne zu wissen, ob Johannes überhaupt hier war. Erleichtert vernahm er die Schlafgeräusche, die aus seiner Kammer kamen. Johannes hatte einen festen Schlaf. Um ihn nicht unnötig zu erschrecken, rief er leise seinen Namen. Johannes öffnete seine Augen und horchte ins Dunkle. Kristian stand hinter ihm, weswegen er ihn nicht sah.
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