Kapitel 2 Erste Begegnung mit dem König der Elfen
Ein Haarschopf in der Mitte des Erdrutsches, schaute aus dem Astgewirre, also wieder nach oben. Da er jetzt wusste, wo er zu suchen hatte, ließ er den Haarschopf nicht aus den Augen und arbeitete sich zur Mitte des Erdrutsches vor. Er erkannte, dass der Haarschopf einem Mann gehören musste, der nicht sehr groß sein konnte. Wie gekreuzigt wurden seine Arme von dickem Astwerk niedergedrückt.
Durchdringende Augen blickten Kristian an. Der Mann stellte die vergeblichen Versuche sich zu befreien ein, ließ Kristian aber nicht aus den Augen. Seitlich neben seiner Brust, in einer Astgabel verfangen, hing an einer, scheinbar aus Gold gefertigten Kette, ein handtellergroßes Medaillon. In der Mitte ein halbrunder, grünlich schimmernder Stein, umsäumt von einem etwa einem Zentimeter breiten, flachen Rand, auf dem sich für Kristian unbekannte Zeichen befanden.
Immer den Steilhang vor Augen, hatte er sich nah an ihn herangearbeitet. Schnell erkannte er, dass es mehrerer Männer bedurft hätte, die Äste anzuheben. Ihm fiel sein Messer mit Säge ein, das sich in einer seiner Taschen befand. Als er es aufklappte und auf den Eingeklemmten zuging, fauchte dieser ihn an. Erschrocken sprang Kristian zurück.
»Du brauchst keine Angst haben, ich will nur den Ast durchsägen.« Abwartend blickte Kristian ihn an, während der Blick des Mannes durch Kristian hindurchzugehen schien. Kristian deutete ein leichtes Nicken seinerseits als Aufforderung, seine Arbeit zu beginnen. Ein Vergnügen ist es nicht, mit einer Taschensäge einen faustdicken Ast durchzusägen. Schon bald bildeten sich die ersten Blasen an seiner Hand und Blut machte den Griff des Messers rutschig. Zudem verkeilte sich die Säge immer öfter im Holz, was seine Arbeit zusätzlich erschwerte.
»Ja mein Freund«, sagte er zu dem schweigsamen, ihn nicht aus den Augen lassenden Mann, »und du fauchst mich zum Dank noch an.« Als der Ast schließlich kippte, griff der kleine Mann mit der freien Hand zu seinem Medaillon, legte seine Hand darauf, blickte Kristian kurz an und weg war er. Erschrocken wich Kristian zurück.
Als wenn nichts geschehen wäre, stand er alleine inmitten der umgefallenen Bäume. Nur seine blutende Hand zeugte davon, dass er alles nicht geträumt hatte. Nachrutschendes Erdreich erinnerte ihn daran, den gefährlichen Ort schnellstens zu verlassen. Er kletterte wieder zurück.
Oben angekommen machte er sich auf den Weg zu ihrem Treffpunkt. Schon bald sah er die Burg in einiger Entfernung. Johannes wartete schon ungeduldig.
»Wo bleibst du denn, ich wollte gerade ohne dich losfahren.« »Johannes warte, ich muss dich erst etwas fragen. Ist dir schon einmal ein kleiner Mann begegnet?« Kristian zeigte mit der Hand wie groß. Johannes zuckte zusammen.
»Bist du verrückt, so laut über das gute Volk zu reden. Man darf nicht schlecht über sie reden, und wenn man sie beleidigt, kommen sie des nachts und machen das Vieh krank. Wer aber gut zu ihnen ist, der wird belohnt. Ich könnte dir viele Geschichten über das gute Volk erzählen. Eins muss ich dir aber noch sagen, wenn dir ein Elfe etwas zu essen anbietet, dann darfst du es unter keinen Umständen annehmen. Tust du es trotzdem, gehörst du zum Elfenreich und kannst nicht mehr nach Hause zurück.«
»Keine Sorge«, meinte Kristian rasch und hob beschwichtigend die Hände. Ich frage dich nur, weil der Mann ein wenig seltsam war und sich einfach in Luft aufgelöst hat.«
»Es ist besser, wenn du nicht über sie redest«, entgegnete Johannes ängstlich und schaute zu seinem Wagen, auf den er frisches Heu geladen hatte.
Sich nervös umschauend, schob er Kristian dann zum Wagen und sah zu, wie dieser unter das Heu kroch. Schnell sprang er selber auf den Wagen. Mit der Peitsche trieb er sein Pferd an, sodass dieses erschreckt über die ungewohnt ruppige Behandlung, im Galopp, den Weg zur Burg einschlug. Das Tor der Vorburg war offen, im Galopp ging es über die Zugbrücke. Die zwei Wachposten hatten gerade noch Zeit, zur Seite zu springen. Eine Spur wehenden Heus hinter sich lassend, hatten sie bald die Zugbrücke der Burg erreicht. Die Wachen, durch den Lärm aufmerksam geworden, stellten sich dem Wagen in den Weg. Nur mit Mühe gelang es Johannes, das Pferd zum Stehen zu veranlassen. Nach einer Ausrede suchend, erzählte Johannes der Wache, dass sich sein Pferd erschreckt hätte. Sie gaben sich mit der Erklärung zufrieden und machten den Weg frei. Kristian hatte Angst, dass man ihn sehen konnte, da ein großer Teil des Heus vom Wagen geweht war. Doch zu seinem Glück war dies scheinbar nicht der Fall.
Johannes setzte den Wagen rückwärts vor die Stalltür. Er schaute sich nach allen Seiten um und gab Kristian dann ein Zeichen, dass er den Wagen verlassen könne. Johannes machte hinter sich die Tür zu. Erschöpft setzte er sich auf die Futterkiste.
»Was sollte das«? fragte Kristian. »Es hat nicht viel gefehlt und man hätte mich entdeckt.«
»Warum erzählst du mir auch was vom kleinen Mann. Ich bekomme Angst, wenn ich davon höre.«
»Du hast doch gesagt, dass es das gute Volk genannt wird, wieso hast du dann Angst?«
»Letztes Jahr haben sie einen Arbeiter gelähmt«, erzählte Johannes stockend.
»Und warum?«
»Der Arbeiter war betrunken und hat mit einem Stein nach einem Elfen geworfen, aber nicht getroffen. Der Elf hat ihn angeschaut und den Arm gehoben. Im selben Augenblick fiel der Arbeiter um und konnte seine Beine nicht mehr bewegen. Anschließend löste sich der Elf in Luft auf.« Jetzt war es Kristian, der zusammenzuckte. Genau wie bei ihm löste sich ein Mensch in Nichts auf. Nach Johannes Reaktion zu urteilen, war das eine unumstößliche Tatsache.
»Wieso hast du nach dem Mann gefragt. Es gibt nicht viele hier, die jemals einen zu Gesicht bekommen haben. Du bist gerade mal einen Tag hier und fragst nach ihnen?«
»Das ist ganz einfach«, sagte Kristian, »ich habe einem in Not geratenem Mann geholfen und als Dank hat er sich einfach in Luft aufgelöst.«
»Warte ab«, sagte Johannes, »er wird dich dafür belohnen.« Nicht vertraut mit den Gewohnheiten der Elfen, war Kristian eher skeptisch.
Es war noch früher Abend, deshalb konnte er noch nicht in seine Zeit zurückkehren. Johannes schaute nach draußen und suchte nach Anzeichen, ob die Küche das Abendessen fertig hatte. Als er sah, dass ein Zustrom in Richtung Küche einsetzte, war er nicht mehr zu halten. Mit zwei dampfenden Schüsseln und einem Stück Brot unter dem Arm kam er zurück. Die Schüsseln waren mit Suppe gefüllt. An der Oberfläche schwammen dicke Fettaugen. Aus seiner Hosentasche holte Johannes zwei Holzlöffel. So eine fettige Suppe nicht gewohnt, versuchte Kristian den Inhalt zu ergründen. Fettstücke, und kleine Fleischbrocken, die aussahen wie klein geschnittener Darm.
»Was machst du denn für ein Gesicht«? fragte Johannes, »hast wohl noch nie so eine gute Suppe gegessen?«
„Darm besteht aus zartem Fleisch dachte Kristian, und wenn er gesäubert ist, wird er schon schmecken.“
Das Geklapper vieler Pferdehufe ließ sie beide aufhorchen.
»Der Graf kommt zurück«, erklärte Johannes. »Ich glaube, sie waren auf der Burg Rabenfels eingeladen.«
Neugierig schaute Kristian durch einen Türspalt nach draußen. Das erste Pferd kam um die Ecke auf den Stall zu. Die Reiterin mochte zwanzig Jahre zählen. Der nächste Reiter schien ein wenig älter zu sein. Er sprang aus dem Sattel. Vorne und hinten wies der Sattel hohe Wülste auf. Mit der heutigen Reitkunst hatte dieses wenig zu tun. Er konnte sich aber vorstellen, dass man im Mittelalter mit angelegter Rüstung, mehr Halt brauchte.
»Ich muss jetzt raus«, sagte Johannes, und stellte seine Schüssel zur Seite, »lass dich nicht sehen, und erschreck mich nicht, wenn du das nächste Mal kommst.« Auf Kristians Uhr wurde es zehn Uhr. Da er die Zeit hier nicht vertrödeln wollte, stieg er die Leiter nach oben und zog seine Sachen wieder an.
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