»Halt, warte«, rief er, rannte zur Hütte zurück und holte ein Stück Seife aus seinen Rucksack. Schnell war er wieder bei ihr. Das Papier hatte er unterwegs schon abgerissen. Langsam seifte sie ihren Körper ein. Hanna wollte unbedingt das Gleiche mit ihm machen. Er musste daran denken, wie viele unsichtbare Beobachter jetzt vielleicht zuschauten. Sie spülten den Schaum ab und trockneten sich anschließend gegenseitig ab. Hanna roch an ihrem Arm und war über den Duft begeistert. Sie gingen zur Hütte zurück. So wie sie waren, deckten sie sich zu, und ließen sich vom Schlaf in eine andere Welt entführen. Überrascht war Kristian am anderen Morgen Hanna nicht mehr im Bett vorzufinden. Er richtete sich auf und sah, dass das Feuer schon brannte. Hanna hatte den Tisch gedeckt. Sie kam von draußen rein und sah, dass Kristian wach war.
Eine Weile lag dieser noch träumend da und sah ihr zu. Hanna goss Wasser in die Becher und tat jeweils einen Löffel Kaffee und Zucker in die Becher. Er zog sich an, ging nach draußen und wusch sich, dann setzte er sich an den Tisch. Hanna lächelte ihn an. »Ich könnte mich an dieses Frühstück gewöhnen«, meinte sie. Kristian dachte an die vielen Dosen Brot, und dass diese eine Weile reichen würden. Er konnte sie verstehen, wenn er an das Frühstück aus dem Mittelalter dachte. Gerste und Haferbrei war nicht jedermanns Sache.
»Was hast du heute vor«? fragte er.
»Eigentlich nichts«, antwortete sie, »ich muss hierbleiben, weil heute der Zimmermann kommt, um dein Bett zu machen, und vielleicht auch noch die Bank.«
»Ich werde versuchen Hera zu erreichen«, sagte er, wusste aber noch nicht, wie er das anstellen sollte.
Er erinnerte sich an das, was ihm der König gesagt hatte. Das Symbol drücken und an das denken, was man wünscht. Er versuchte es und dachte an Hera. Nichts passierte. Jetzt wusste er auch nicht weiter. Plötzlich klopfte es an der Tür und Hera kam herein.
»Komm, und setz dich«, schlug Kristian vor. Hera setzte sich und blickte ihn fragend an.
»Ich gehe gleich durch das Tor, wenn du willst, nehme ich dich mit, oder weißt du, wie es auf der anderen Seite aussieht?« Hera schüttelte seinen Kopf. »Dann erschrecke nicht, wenn du die Burg siehst, es ist nicht mehr viel davon übrig. Bist du bereit sofort mit mir zu gehen?«
»Natürlich gehe ich mit«, sagte er.
»Hanna wir gehen jetzt.«
»Passt auf euch auf.«
Zu Hera sagte er, »wir machen uns unsichtbar, ich fass dich an, dass Weitere überlass mir.« Hera lächelte. Zum ersten Mal erfolgte der Sprung direkt ohne Umwege durch das Tor. Eigentlich wollte er zu Großvaters Haus, vorher aber Hera zeigen, wie die Burg jetzt aussah. Er blickte sich um. Es waren keine Besucher in der Nähe, als er die Unsichtbarkeit für sie aufhob. Hera war ziemlich geschockt, als er die Burg so sah. Kristian setzte sich, während Hera einen Rundgang machte. Nachdem er alles gesehen hatte, viel war ja nicht mehr da, machten sie sich unsichtbar und sprangen zum Haus von Großvater. Noch unsichtbar waren sie vor dem Gartentor angekommen. Sie hoben die Unsichtbarkeit auf, nachdem sie sicher waren, dass keiner in der Nähe war, und gingen durch das Tor. Der Zigarrengeruch verriet Großvaters Anwesenheit. Er saß auf seine Gartenbank, die Zigarre qualmte im Aschenbecher. Er hatte die Augen geschlossen. »Großvater«, sagte Kristian leise. Erschrocken fuhr er hoch, sah sie entgeistert an. Er wusste, woher sie kamen und sein Blick fiel auf Hera.
»Ha«, ertönte Jessikas Stimme, »hab ich euch bei eurer Geheimniskrämerei erwischt?« Jessika kam hinter dem Bambusstrauch hervor, wie lange mochte sie da schon gelauert haben? Hera, über das plötzliche Auftauchen von Jessika erschrocken, sah nur einen Weg, er machte sich unsichtbar. Das wiederum ließ Jessika und Großvater erbleichen.
»Du hast meinen Freund erschreckt«, sagte Kristian vorwurfsvoll.
»Wo ist dein Freund jetzt«? fragte Jessika.
»Er steht direkt hinter dir.«
Schreiend sprang sie zur Seite. Zu Hera gewand sagte Kristian, »es ist alles in Ordnung.« Daraufhin wurde Hera sichtbar.
»Darf ich vorstellen, das ist Hera, der Bruder der Königin vom Volk der Elfen.« Zu Großvater gewand, »das ist Großvater und seine Enkelin Jessika.« Beide staunten nicht schlecht.
»Ich wusste, dass ihr ein Geheimnis habt«, frohlockte Jessika. »Wenn du hier hoch und heilig versprichst, dieses Geheimnis zu wahren, werden wir dich einweihen«, versprach Kristian.
»Ich verspreche es«, sagte Jessika feierlich.
»Du verstehst doch Spaß«? fragte er sie.
»Ja, warum fragst du?«
»Hera wird dir zeigen, wie mächtig er ist, erschrecke deshalb nicht.« Jessika ahnte plötzlich, dass der Spaß ihr gelten sollte.
»Hera wird dich auf den Turm tragen.« Kristian nickte Hera zu. Plötzlich verschwanden beide und Jessikas Schreie kamen aus der Richtung des Turms. Sie sprangen auf und gingen zum Ende des Gartens, um von hier aus einen Blick zum Turm werfen zu können. Oben auf dem Turm stand Jessika, sie schrie und winkte.
»Es reicht,« sagte Kristian zu Hera, der wieder neben ihm stand. Plötzlich stand Jessika wieder bei ihnen. Mit zitternder Stimme fragte sie »kannst du das auch«? Er nickte.
»Wo lernt man das, ich möchte das auch können?«
»Das ist eine lange Geschichte«, hielt er sie hin.
»Erzähl sie mir,« ließ sie nicht locker.
»Wenn du Kaffee und Kuchen für uns hast, können wir darüber reden.« Jessika war nicht mehr zu bremsen.
»Kommt, wir gehen ins Haus.« Maria die Köchin war einkaufen gefahren, hatte aber vorher Kuchen gebacken. Jessika stellte den Kuchen auf den Tisch und machte Kaffee. Bald saßen sie zusammen, Jessika blickte sie erwartungsvoll an. In aller Ruhe aß Kristian seinen Kuchen. Auch Hera schien der Kuchen zu schmecken. In Kurzfassung erzählte er von dem Tor und die Rettung des Elfenkönigs. Von Hanna erzählte er nur das Nötigste und sagte ihr, dass sie älter ist, was Jessika zu beruhigen schien. Unter seinem Hemd zog er das Medaillon hervor. Hera hatte sich derweil still und heimlich verdrückt und streifte durchs Haus. Jessika starrte das Medaillon an, sich vorstellend, was sie damit alles machen könnte. Währenddessen dachte Kristian an ein Symbol und verschwand vor allen Augen. Jessika aus ihren Träumereien gerissen, schrie auf. Kristian stellte sich hinter Großvater und legte ihm seine Hände auf die Schulter, sodass er auch vor den Augen Jessikas verschwand. Jessika wurde es unheimlich. Sie überlegte, ob sie aus dem Zimmer rennen sollte. Kristian ließ Großvater los, sodass er wieder sichtbar wurde. Jessika war erleichtert, als Kristian ebenfalls wieder zu sehen war.
»Wenn du lange Kleider hast, die du nicht mehr anziehst«, wandte er sich an Jessika, »dann würde Hanna sich darüber freuen.«
»Ich habe so etwas nicht, aber von der letzten Theateraufführung liegen noch Kleider hier.« Da Kristian diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen wollte, ließ er sich den Weg erklären. Unterwegs traf er auf Hera.
»Wie findest du es hier«? fragte er ihn.
»Äußerst lehrreich«, antwortete er und ging weiter. Kristian fand die Kleider. Mehrere kamen infrage. Drei Stück suchte er aus. Wieder bei Jessika, sagte er, »falls du für die anderen Kleider keine Verwendung mehr hast, dann sage mir Bescheid.«
Großvater war eingeschlafen und Kristian fragte sich, was dieser überhaupt mitbekommen hatte. Jessika blickte ihn an.
»Kristian, wenn du durch das Tor darfst, darf ich es dann auch?«
»Das Gleiche hat mich dein Großvater auch gefragt. Du könntest schon, aber das Leben im Mittelalter ist rau. Ich könnte nicht für deine Sicherheit garantieren.«
»Schade, ich hätte dich gerne einmal begleitet. Wenn ich dich schon nicht begleiten darf, warum machst du nicht ein paar Fotos?« Er hatte selber schon daran gedacht, sagte ihr das aber nicht.
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