Wir setzten uns. Kai bestellte zwei Kaffee, worauf das Mädchen näher kam. Und es geschah genau das, was immer dann geschieht, wenn jemand in Österreich Kaffee bestellte und was auch immer in Büchern über Österreich zu lesen ist.
Also:
„Welchen?“ wurde gefragt.
Fein, wenn die Klischees bedient sind.
Sie hatte nicht nur wunderschöne wasserblaue Augen, sondern auch einen hübschen kleinen Delphin als Schmuck im zierlichen linken Nasenflügel.
„Zwei große Braune.“
Ich übernahm die Bestellung, Kai grinste doof.
Augenscheinlich wusste mein polyglotter Fotoreisende nicht, dass es in Österreich mehr als nur eine Sorte Kaffee gab und sich die zwei großen Braunen mal nicht auf den Inhalt des Dekolletes bezogen, das durch die offene Kittelschürze blitzte. Ich hätte ihn eigentlich aufklären müssen, doch der Kollege war gedanklich schon gar nicht mehr anwesend. Ich stieß ihn an.
„Was ist?“
Er sah in ihre Richtung und hob die Augenbrauen an, als sie sich an einem großen Kaffeeautomaten zu schaffen machte.
Natürlich!
„Schon wieder…?“
Er hob die Brauen erneut. Klar, das hätte ich wissen müssen: blaue Augen, lange Haare, Nasenpiercing – ganz Kais Geschmack. Dazu das bezaubernde Lächeln, mit dem sie sicher schon einige tausend deutsche Touristen bei der Frage nach dem richtigen Kaffee irritiert hatte.
„Vielleicht gefällt mir Heiligenblut doch noch.“
„Kreuz, Heiligenkreuz.“.
Die großen Braunen kamen mit dem Kaffee – eine Krönung vom Monarch in zwei hübschen weißen Schalen! Ich war müde, mir war kalt und die Schultern schmerzten vom Schlafen während der Fahrt.
„Danke, dass sie uns rein gelassen haben. Wohnen sie hier?“
„Nein“, das Mädchen lächelte – aber nur Richtung Kai. Vielleicht war sie sogar jünger als 25?
„Ich komme aus Alland.“
Kai nickte: „Kenn ich gut.“
Das Mädchen lächelte weiter. Ihr Mund war wirklich hübsch und zwischen den roten Lippen glänzten in zwei Reihen weiße Mausezähne. Wenn ich Piercings mögen würde und nicht in festen Händen wäre, hätte ich sie sicher auch so angesehen wie es Kai noch immer tat – nicht nur wegen des Kaffees.
Aus einem Raum gegenüber der Gaststube hörten wir eine Klingel und das Mädchen lächelte plötzlich nicht mehr.
„Ich muss.“
Sie ging.
„Wir müssen auch."
"Mindestens zwei Tage lang."
"Und abends haben wir frei."
"Wie heißt du?“
Vier Sätze nacheinander – Kaiser verblüffte mich. Ich hatte schon viele Male erleben müssen, wie Kai Mädels aufriss. Aber so viel hatte er meist nie gesprochen – vier Sätze, wenn auch keine zusammenhängenden. Sonst reichte es ihm, seine Kamera zu zeigen.
Das Mädchen drehte noch einmal um. War sie doch erst sechzehn?
„Sofia!“
Kai war zufrieden und die Tür der Gaststube fiel ins Schloss.
„Nett!“
„Sicher. Aber keine 15 Jahre.“
„Quatsch.“ Kai fingerte seinen Tabak aus der Jacke. „Nicht bei der Figur.“
„Denk dran. Du bis fast 50!“
Er leckte schon wieder auf diese unästhetische Art und Weise an seinem Zigarettenpapier entlang.
„Na und? Nach 45 wird alles besser – war doch in Deutschland auch so! Und, überhaupt, du bist auch fast 40 und deine Kirsten ist in meinem Alter. Wen stört's?“
Recht hatte er. Dauerfreundin Kirsten war vor sechs Tagen sechsundvierzig geworden. Meinen 40. Geburtstag hatten wir im Winter gefeiert. Sechs Jahre Altersunterschied – für mich eigentlich kein Problem. Für Kirsten schon. Vier Jahre sind wir zusammen, leben gemeinsam in ihrer Wohnung – und haben uns arrangiert. Sie sich mit meinen Fehlern, ich mich mit ihr. Und auch wenn sie sich an fast alles unserer Beziehung gewöhnt hat – an die sechs Jahre Altersunterschied nicht. Schlimm war das dann, wenn sie darauf angesprochen wurde. Dabei sah sie keinen Tag älter als 39 aus: schulterlange blonde Locken, graugrüne Augen, vollschlanke Figur und schöne Hände.
Aber das war es auch eigentlich schon …
Ich rührte in meinem Kaffee, während Kai einen neuen Zigarettenstumpen anblies. Merkwürdig, seit neuestem hatte Kirsten kleine dunkle Stellen auf den Händen – Altersflecken. Was einem so einfällt.
Wenigstens der Kaffee war frisch, und heiß war er auch. Alles anders als zu Hause.
„Das Stift wurde 1136 von französischen Mönchen gegründet. Das Gelände war eine Schenkung von Marktgraf Leopold. Damals war’s hier aber so ungemütlich, dass die Mönche Richtung Ungarn weiterziehen wollten. Also erließ Leopold den Mönchen die Zinsabgaben an die Pfarrkirche in Alland und vergrößerte das Klostergebiet. Und so leben die Mönche bis heute hier im Wienerwald.“
„Wegen der Hähnchen?“ Kai freute sich über seinen überflüssigen Witz.
„Nein, Forstwirtschaft und Weinbau. Heiligenkreuz hat einige ausgezeichnete Weinlagen. Und die Abtei ist eines der bekanntesten Ausflugsziele vor den Toren Wiens. Du wirst dich noch wundern, was es hier alles zu sehen gibt.“
Kai drückte die Zigarette in einem großen Metallaschenbecher aus.
„Reicht's für Fotos?“
„Klar! Kirche, Kreuzgang, Grabkapelle, Friedhof, Sägewerk, Hochschule und jede Menge Touristen. Da findest du schon etwas. Um zehn Uhr treffen wir den Kämmerer des Stiftes für eine VI-Führung. Da kannst du die Location checken.“
Kai sah auf die Uhr.
„Das sind noch mehr als zwei Stunden! Was machen wir bis dahin?“
„Ich weiß ja nicht, was du machst. Aber ich suche dieses Mädchen, das uns den Kaffee gebracht hat...“
„Sofia“
„Sofia soll mir mein Zimmer zeigen. Ich ziehe eine trockene Hose an und dann können wir uns den Friedhof ansehen gehen.“
„Einverstanden.“
Kai rutschte über die Holzbank rund um den Tisch und stand schon an der Tür, noch bevor ich den letzten Schluck Kaffee getrunken hatte. Wo war das Mädchen? Statt Sofia stand im finsteren Flur nämlich jetzt nur Mann.
„Wer seids denn ihr?“ Auch er trug einen Kittel, der bis zu den Knien reichte und wahrscheinlich im letzten Jahrhundert einmal weiß war.
„Fischer, ich bin Thomas Fischer. Das ist Kai Kaiser, mein Kollege. Wir sind Journalisten und haben für zwei Nächte Einzelzimmer gebucht.“
„Telefonisch?“
Wir nickten.
„Soferl“, der Mann drehte sich zur Seite. Er mochte fünfzig Jahre alt sein, trug zu langen Kotletten einen gepflegten Schnauzbart, dessen Enden nach oben zeigten. Dieser und fröhlich blitzende Augen gaben ihm ein beinahe liebenswürdiges Aussehen – zumindest für einen Österreicher.
„Soferl!“ Er brüllte den Namen erneut in den Flur. Bei der Lautstärke gab es wohl keine anderen Nächtigungsgäste, auf die er Rücksicht nehmen musste.
Liebenswürdig? Nein, nur Österreicher!
Sie kam zurück.
„Zimmer zwei und drei und dann wieder herkommen.“
Sofie nickte, griff an der Wand von vier Schlüsseln zwei und zeigte zur Treppe, die dem Eingang gegenüber nach oben führte. Am Gang, der in der ersten Etage über die Länge des ganzen Gebäudes führte und - weil fensterlos - ziemlich düster war, lagen die vier zu vermietenden Zimmer. Ich nahm das Erste links, während das Mädchen meinem Freund und Kollegen die Tür zu Zimmer Nummer drei öffnete – mir gegenüber.
„Soferl!!!“
Der durch und durch Österreichischer im Parterre brüllte erneut und das Mädchen verschwand mit einem scheuen, wohl ausschließlich für Kai bestimmten Lächeln. Er sah triumphierend zu mir herüber. Dann gingen wir in unsere Zimmer, gingen wieder heraus, gingen wortlos die Treppe hinunter, traten in den Biergarten, gingen durch den Kies und setzten uns in den Benz.
„Keine Dusche!“
Kai nickte.
„Keine Badewanne!“
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