Ich wandte mich ab und wollte den Trailer schon wieder verlassen, als mein Blick am Tisch hängen blieb. Langsam ging ich näher und blickte auf die Diashow, die auf dem Laptop ablief. Sie zeigte zwei Leichen. Eine Frau und ein Kind, die erschossen worden waren. Ich kannte solche Bilder und trotzdem traf es mich immer wieder, wenn ich sah, dass ein Kind involviert gewesen war. Vor allen Dingen hatte man die zwei regelrecht durchsiebt und das Blut um ihre Körper wies darauf hin, dass es nur so aus ihnen herausgeflossen war.
Die Akten, die neben dem PC lagen, machten mich neugierig und als ich die erste öffnete, keuchte ich auf. Fuck, das auf den Bildern waren Dogs Frau und sein Sohn. Ich schlug mir die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Ich wusste nicht wirklich, was solch ein Verlust bedeutete, aber in etwa konnte ich es mir vorstellen. Nun wunderte es mich nicht mehr, dass Dario stockbesoffen im Bett lag und Aidan ihm meine Nummer gegeben hatte. Ich blätterte die Akte durch, die sehr dünn war. Der kurzgehaltene Bericht beschrieb einen Bandenkrieg, in den die beiden geraten waren und der Autopsiebericht bestätigte, dass die beiden durch die Schüsse verstorben waren. Das letzte Blatt, eine interne Nachricht, ließ mich jedoch stutzen. In fast unleserlicher Schrift stand dort: Der Vorfall wird nicht weiter untersucht, die Akte wird geschlossen.«
Bitte? Seit wann wurde das so gehandhabt? Wenngleich sie in einen Bandenkrieg geraten waren, hätte geklärt werden müssen, wie genau das passiert war, wer beteiligt gewesen war, wenigstens eine Befragung hätte erfolgen müssen. Nichts von dem, was man hätte machen müssen, war passiert. Verdammt, hier war etwas ganz gewaltig faul. Vor allen Dingen aber, wo hatte Dog die Unterlagen her? Von Aidan? Ich musste morgen dringend im Revier ins Archiv und mir anschauen, was ich dort für Unterlagen fand. Vielleicht war in einer der Kisten noch etwas zu finden. Heute jedoch konnte ich hier nichts mehr ausrichten und auch ins Archiv kam ich nur, wenn es ein Notfall war. Doch im Moment wollte ich keine schlafenden Hunde wecken. Kurz lachte ich bei dem Gedanken auf. Wie passend.
Ich ließ Dario einen Zettel mit einer kurzen Nachricht auf dem Tisch liegen und klappte den Laptop zu, bevor ich ging. Er sollte nicht gleich am nächsten Morgen auf die schrecklichen Bilder schauen müssen.
Krieg der Erinnerungen
Der pelzige Geschmack in meinem Mund war mit nichts zu beschreiben, und mein Schädel dröhnte zum Gotterbarmen, würde ich denn an ihn glauben. Ich blinzelte vorsichtig, denn die Sonne drang durch die Fenster meines Trailers hinein und verstärkte meine Kopfschmerzen nur noch. Es dauerte ziemlich lange, bis ich wagte, meine Augen komplett zu öffnen. Heilige Scheiße, was hatte ich für einen Müll geträumt!
In meinem Traum war eine Frau zu Besuch gewesen, und sie hatte mich ausgezogen. Mein Blick glitt an meinem Körper herab und in weniger als einer Sekunde saß ich kerzengerade im Bett. Mein Schädel strafte mich mit donnernden Schmerzen, aber das war mir gerade vollkommen egal. Wo, verdammt, war meine Hose? Hatte ich die Scheiße etwa doch nicht geträumt? Schlagartig fiel mir das Paket wieder ein und ich entsann mich schwach, dass ich darüber nachgedacht hatte, die Nummer auf Aidans Brief anzurufen.
Und dann wurde mir klar, dass ich offensichtlich nicht nur darüber nachgedacht, sondern tatsächlich angerufen hatte. Was war ich nur für ein Vollidiot! Um nicht zu riskieren, dass mein Kopf doch noch platzte, erhob ich mich langsam, ich musste dringend das tote Tier in meinem Mund loswerden. Und meine Hose finden.
Bruchstückartig, aber dafür umso intensiver kehrten die Erinnerungen zu mir zurück. Wenn mich die Bilder, die sich vor meinem inneren Auge abspielten, nicht trogen, dann ... war die kleine Miss Harper ein richtig heißes Gerät. Und ich Trottel hatte mich, sturzbetrunken wie ich war, von meiner allerbesten schlechten Seite gezeigt.
Nachdem ich die Zähne geputzt und Kaffee aufgesetzt hatte, fühlte ich mich dazu in der Lage, meinen Blick erstmals zum Tisch gleiten zu lassen, wo ich gestern Abend alles stehen und liegen gelassen hatte. Sogar Johnny stand dort noch, leer bis auf den letzten Tropfen, und schien mich hämisch anzugrinsen. Die kleine Lady hatte den Laptop zugeklappt, vermutlich, um mir noch mal die Bilder zu ersparen, die ich mir gestern angesehen hatte.
Erfolglos, denn diese Bilder würden mich für den Rest meines Lebens begleiten, wie sie es seit nunmehr 15 Jahren schon taten. Ich hätte auswendig wiedergeben können, wie meine Frau und mein Sohn auf der Straße lagen, welcher Schuss wo getroffen hatte, und wie wenig Blut nur noch in ihren Körpern gewesen sein konnte, wenn man die Menge bedachte, die sich auf der Straße verteilt hatte.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit waren beide schon nach den ersten Schüssen tot, hatte man mir damals mitgeteilt. Es sollte wohl tröstend sein, aber das war es mitnichten, verdammt! Wieder stieg grenzenlose Wut in mir auf, und ich wischte in einer schnellen Handbewegung nicht nur den Laptop, sondern auch die verfluchte Akte vom Tisch. Ich hasste Aidan dafür, dass er mir das antat.
Ein kleiner Zettel segelte zu Boden und ich verfolgte seinen Flug mit den Augen. Die Handschrift auf diesem war nicht Aidans. War mir das Stück Papier entgangen? Ich hob es auf und las, was in einer zierlichen Schrift dort stand. ›Wenn du wieder nüchtern bist, meld dich. Ave‹. Stöhnend ließ ich mich auf einen Stuhl fallen. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Nicht nur, dass ich die Kleine mit anzüglichen Worten bedacht hatte, jetzt schien sie auch noch darauf aus, Samariterin zu spielen.
Aber damit war sie bei mir an der falschen Adresse. Weder wollte, noch musste ich gerettet werden. Sollte ich jemals die Möglichkeit erhalten, Aidan noch einmal zu begegnen, würde ich ihm deutlich klarmachen, was ich von seinem Paket hielt und wohin genau er sich solche Aktionen in Zukunft stecken konnte!
Ich schnappte mir mein Handy, und tippte auf die Wahlwiederholung. Je schneller ich der Lady klarmachte, dass unsere gemeinsame Zeit schon wieder dem Ende zuging, desto besser. Es dauerte keine zwei Sekunden, da hob sie ab. »Na, wieder nüchtern?«
Ich verzog das Gesicht. Scheiße, reichte es nicht, wenn ich mich daran erinnerte, wie ich mich benommen hatte? Nein, jetzt musste sie auch noch darauf rumreiten. »Nüchtern genug, um wieder bei Verstand zu sein allemal, Lady«, knurrte ich. »Ich will Sie auch gar nicht lange aufhalten. Wollte nur mitteilen, dass einfach alles, was gestern geschehen ist, und was auch immer Sie gesehen haben, sich erledigt hat.«
Ein leises Lachen erklang am anderen Ende der Leitung. »Das hättest du wohl gerne ... Aber keine Sorge, dass du mich ficken wolltest, habe ich schon wieder vergessen. Das Andere jedoch ... Aidan hat dir nicht ohne Grund meine Nummer gegeben.«
Erneut entwich mir ein Knurren. »Weil er ein Vollidiot ist, hat er mir deine Nummer gegeben. Ich werde ihn finden und dann zeige ich ihm, was ich davon halte!«
»Meinst du, das hätten deine Frau und dein Sohn so gewollt?«
Scheiße. Dieses Miststück. Von allen Dingen auf der Welt, die sie hätte sagen können, musste es diese eine Sache sein, die mich sowieso schon nicht losließ. »Soll ich dir was sagen, Lady?«, zischte ich gepresst durch die Zähne. »Meine Frau und mein Sohn können gar nichts mehr wollen, sie sind nämlich tot!«
»Aidan hat gewusst, dass damals nicht richtig ermittelt wurde und wenn du ihnen Gerechtigkeit zukommen lassen willst, bist du auf mich angewiesen.«
»Lady, auf was ich angewiesen bin, hab ich gestern Abend schon angeboten, aber du hast dankend abgelehnt, falls du dich erinnerst! Alles was ich will, ist, dass du diese Sache einfach ruhen lässt.«
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