Mit einer Hand zeigte ich auf den Putzeimer samt Wischmopp, der sein trostloses Dasein in einer Ecke fristete. Brian war blass geworden und starrte mich mit offenem Mund an. »Das kannst du nicht machen, Coach!«, stammelte er.
Meine Augenbraue zog sich nach oben, während ich amüsiert grinste. »Kann ich nicht?«, echote ich. »Ich glaube, ich kann sehr wohl. Wenn es dir allerdings lieber ist zu gehen ...«, ich breitete die Hände aus und deutete zur Tür. »Bitte, tu dir keinen Zwang an, Mr. Ich habs voll drauf! Aber komm am Ende nicht jammern, weil sie dir im Knast deinen süßen Arsch aufgerissen haben!«
Mit diesen Worten drehte ich mich um und verließ mit einem lauten Türknallen die Toilette. Ich war mir sicher, dass Brian spätestens in einer halben Stunde mit wesentlich weniger Überheblichkeit zu mir ins Büro kommen und mir mitteilen würde, dass die Klos jetzt so sauber waren, wie es halt ging bei dem alten Porzellan.
Ich trainierte seit Jahren fehlgeleitete Jugendliche, und kannte meine Pappenheimer. Brian musste schnell begreifen, dass der einzige Gott, den er in meiner Boxhalle anzubeten hatte, ich war, sonst würde ich keinen Zugriff auf ihn bekommen, und das konnte hier tödlich enden. Finster starrte ich die restlichen Jugendlichen an. Auch sie würden ihr Fett noch wegbekommen.
Mir war sehr wohl das Gejohle aufgefallen, dass ich schon vor der Halle gehört hatte. Jeder Einzelne von ihnen hatte Brian angestachelt, ihn angefeuert. »Antreten!« Mein Ruf hallte an den Wänden wider und es dauerte nicht einmal zehn Sekunden, bis die gesamte Bande in mehr oder weniger reih und Glied vor mir stand.
»Falls es einer von euch noch immer nicht kapiert haben sollte, Jungs. In meiner Boxhalle gilt das Motto mitgegangen, mitgefangen.« Mein Blick glitt zu Jamie. Dessen Nase hatte zwischenzeitlich zwar aufgehört zu bluten, aber sein T-Shirt zeigte deutlich die Spuren des vorangegangenen Kampfes. Langsam schritt ich die Reihe ab, starrte jeden von meinen Jungs finster an. Bei Tom, der mich über die Prügelei informiert hatte, blieb ich stehen.
»Du gehst mit Jamie und sorgst dafür, dass er ein frisches Shirt bekommt«, wies ich ihn an und drückte ihm den Schlüssel zu meinem Vorratsraum in die Hand. Ich hatte schon vor Jahren einen Vorrat an billigen T-Shirts und Hosen in allen nur erdenklichen Größen angelegt, denn Dinge wie heute waren sozusagen an der Tagesordnung. Dieser Raum wurde von mir verschlossen gehalten, seitdem ich vor zwei Jahren einen jugendlichen Dieb hochkant aus meiner Halle und dem Programm geworfen hatte und ich gab den Schlüssel nicht leichtfertig aus der Hand. Tom wusste um diesen Umstand und sein Gesicht leuchtete kurz auf, ehe er nickte und mit Jamie zusammen verschwand.
»Und ihr anderen ...«, holte ich Luft und wandte mich endgültig ab, um in meinem Büro zu verschwinden, »ihr werdet jetzt in die verdammte Toilette gehen und Brian helfen.« Nicht der geringste Widerspruch war zu vernehmen, als die Jungs mit hängenden Köpfen den Weg zur Toilette antraten.
In meinem Büro ließ ich mich auf den Stuhl plumpsen und legte meine Füße auf den Schreibtisch. Ich liebte meine Jungs, jeden einzelnen Querkopf, aber manchmal musste man ihnen nun mal vor Augen halten, dass ich hier der Boss war und die Regeln bestimmte. Für viele dieser Jungs war ich die letzte Instanz davor, in den Jugendknast zu wandern. Entweder lernten sie bei mir, ihrer Wut ein anderes Ventil zu geben, oder sie lernten es eben nicht. Brian war kein hoffnungsloser Fall, er hatte einfach einen beschissenen Start in dieses Leben gehabt und hier eine Chance, es auf die Reihe zu bekommen. So einfach war das.
Es klopfte und nach meinem Herein steckte Jamie seinen Kopf durch die Tür. Sein Gesicht sah wieder vorzeigbar aus und er trug ein frisches T-Shirt. »Coach, da ist was für dich gekommen!«, erklärte er und trat mit einem kleinen Karton ein. Verdutzt starrte ich auf das Paket, denn ich konnte mich nicht entsinnen, etwas bestellt zu haben.
Jamie stellte den Karton auf meinem Schreibtisch ab, grinste schief und trat dann von einem Fuß auf den anderen. »Was ist los, Junge?«, ermunterte ich ihn, denn ich konnte sehen, dass ihm etwas auf der Seele brannte.
»Er hat gesagt, dass meine Mutter eine Crackhure ist, aber ... ich habe ihn nicht geschlagen, Coach.« Ich erhob mich und trat um den Tisch herum, das Paket war für einen Moment vergessen. Vor dem Zwölfjährigen ging ich in die Knie, und wuschelte ihm mit der Hand durch die Haare. »Ich bin stolz auf dich.« Ein Lächeln glitt über Jamies Gesicht und er blickte kurz hinter sich zur Tür. Diese war geschlossen und im nächsten Augenblick hing der Junge auch schon an meinem Hals.
»Danke, Coach«, flüsterte er in meinen Bart hinein, dann riss er sich von mir los und verschwand aus meinem Büro. Verdammt, genau solche Momente waren es, die mir zeigten, dass ich das Richtige tat. Jamies Mutter war süchtig und sie war eine Hure, da musste ich mir nichts vormachen. Mit blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass es mir gelingen würde, Jamie so weit zu festigen, dass er nicht abrutschen würde, wenn seine Mutter ihre Sucht nicht in den Griff bekam. Leider hatte ich nicht viel Hoffnung, was sie betraf.
Ich richtete mich wieder auf und griff nach meiner Kaffeetasse. Dabei fiel mein Blick auf das Paket. Scheppernd fiel mir der Becher aus der Hand und zerschellte auf dem Betonboden. Keuchend machte ich einen Schritt nach hinten und musste mich an meinem Jackenständer festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. ›Dario Dog Matthews‹ stand nebst der Adresse des Boxclubs auf dem Adressaufkleber und ich würde diese Schrift unter Tausenden wiedererkennen.
Mir war speiübel und ich tastete mich langsam an meinem Schreibtisch entlang, ehe ich mich wieder auf den Stuhl setzte. Mit brennenden Augen starrte ich auf das Paket, das keinen Absender besaß und von dem ich doch wusste, wer es mir geschickt hatte. Sofort sah ich Bilder vor mir. Aidan, einer meiner Jungs von ganz früher. Er war das perfekte Beispiel für gelungene Integration gewesen. Vom Schläger zum Bullen. Na ja gut, wenn ich ehrlich war, fast gelungene Integration. Aidan hatte, solange ich ihn kannte, Probleme mit Autorität und das sorgte für so manche Schwierigkeit in seinem Job.
Fast wie von selbst glitt meine Hand an die kleine Narbe am Kinn, die verborgen unter meinem Bart lag und rieb nachdenklich darüber. Unsere ersten Wochen im Boxclub hinterließen bleibende Erinnerungen bei uns beiden, aber irgendwann hatten wir gelernt, uns gegenseitig zu respektieren. Es war mittlerweile ein knappes Dreivierteljahr her, dass Aidan einen Undercover-Job angetreten hatte, und tief in die russische Mafia New Yorks abgetaucht war.
Aidan war ein Kämpfer, wie ich auf der Straße groß geworden. Es gab Fähigkeiten, die erwarb man nur dort, wo wir beide herkamen und genau diese waren es, die ihn perfekt dafür machten, sich als Straßenkämpfer auszugeben und so die Struktur des russischen Paten zu unterwandern. Mein Job in dieser Angelegenheit war es, Aidan, der sich von da an wieder bei seinem Kampfnamen Mir rufen ließ, auf Posten zu bringen.
Alles war gut durchdacht und Aidan hatte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem der besten Fighter hochgearbeitet, denn er war einfach verdammt gut in dem, was er tat. Nur eins war nicht geplant gewesen, und genau das hätte Aidan fast sein Leben gekostet. Der russische Pate hatte nämlich eine Tochter. Und mein Schützling hatte natürlich nichts Besseres zu tun, als sich ausgerechnet in Janka Pastrowa zu verlieben und die ganze Mission damit zu gefährden. Es hatte geendet, wie es enden musste. Die New Yorker Polizei hatte mit der Hilfe eines verdammt guten Hackers und den Aussagen von Aidan und Janka die gesamte Familie Pastrow samt ihren Handlangern auffliegen lassen, während Aidan, Janka und ihre Eltern ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden waren.
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