erkundigte sich der Fremde freundlich. Solcher Art von Fragen stachelte sofort Fiedje’s Argwohn an, denn außer Jenny kannte er niemanden, der nett zu ihm war.
„Mi wullt keen As. Bin Tines Bastard, den nimmt nich Hinz un nich Kunz.“, maulte er abweisend, mit einem leichten Unterton von Hoffnung. „Ich sabbele nicht so daher Jung. Bin Segelmacher und Zimmermann auf der ‚Windbraut‘, brauch einen Helfer. Mein Beimann kommt nicht, soll tot sein. Willst anheuern?“ „Ik fahr blot mit’m Sägelschlupp, wor di ünner’m Klüver ne Seefru hadd.“ „Gut, komm morgen her, dann liegt deine gesuchte Bark hier unten. Kannst dir‘s bis dahin überlegen. Heiße übrigens Jan Mommsen. Und wie wirst du gerufen?“ „Fiedje.“ „Na und weiter?“ „Givt keen wieder, blot Fiedje.“
Der Seemann ging, ließ einen ungläubigen aber auch verwunderten Burschen zurück, der nicht gewöhnt war, dass man so mit ihm sprach. Fiedje blieb sitzen, musste erst verdauen, dass es jemanden gab, den er helfen sollte. Bisher galt er nur als Nichtsnutz, den man wie einen räudigen Köter verjagte. Lag es an seiner jetzigen Kluft, dass man ihn plötzlich beachtete, ihn als Gehilfen eines Segelmachers für würdig betrachtete? Er ahnte, dass es wohl so sein musste und fasste einen Plan. „Jenny, hett noch Kledäsch, den passt?“, sprach er sie am Abend bei seinem ersten öffentlichen Herumlungern vor Oles Kneipe an. „Muss sehen, hab‘ jetzt keine Zeit. Komm morgen früh!“ Sie ließ ihn stehen, denn drinnen aus dem Gastraum drang der bekannte Ruf: „Jenny, Jenny!“
Ärgerlich, aber weniger wütend, trottete er zurück zum Hafen, wollte die dort vertäute Bark beobachten. Der Segelmacher hatte sie ‚Windbraut‘ geheißen. Doch vergebens. Enttäuscht verkroch er sich in das nächst liegende Nachtquartier. Seine neuerliche Meinung, nach See riechen zu müssen, trieb ihn am frühen Morgen an die Badestelle. Diesmal lief das Elbwasser ab, doch kein Schiff zeigte sich. Die wenigen Fischerboote nutzten die Gunst, um ungehindert und schnell aufs offene Meer zu kommen. Noch wusste er nichts über die von den Gezeiten abhängigen Vorgänge im Hafen, die es ermöglichten, mit eintretender Ebbe, größere Frachtschiffe von den Speichern an die Ladekais zu ziehen, damit sie, wenn sie dort tiefer lagen, besser befrachtet werden konnten. Nicht ahnend, dass er bereits in Kürze damit konfrontiert werden sollte, trieb es ihn zurück in sein altes Revier, den Fischmarkt. Diesmal versteckte er sich nicht, sondern querte die Stände wie jeder andere, fast schon mit einem Anflug von Arroganz. Schließlich besaß er jetzt ein Messer. Zunächst suchte er Jenny auf, sie hatte Wort gehalten. Im Zimmer lagen haufenweise Klamotten, sortiert nach Größe, herum. „Zieh dich us!“, verfiel sie in das oft genutzte Missingsch aus Hochdeutsch und Platt. „Maak ik nich, nich bi di.“, wehrte er sich gegen ihr Ansinnen. „Hab‘ schon mehr Kierls nackig gesehen, als du Har up’n Kopp hest.“ Danach befreite sie ihn ziemlich resolut von seiner schlappernden Jacke, in der das Messer steckte. „Giff her!“; schrie er wie ein gereiztes Tier, sprang auf sie zu, um ihr das Kleidungsstück zu entreißen. Jenny lachte nur überlegen. „Du Hurensohn hast wohl vergessen, von wem dat Zeug is?“ Er stutzte. Ohne Messer, tituliert als Hurensohn, das rückte ihn schlagartig zurück in eine Zeit und das, was er da noch war, ein verdreckter ängstlicher Nichtsnutz. „Bist wieder ruhig?“ Sie kannte sich bestens aus im Umgang mit widerspenstigen Mannsbildern. Unbeeindruckt entblößte sie ihn auch noch vom Rest seiner Staffage. Er ließ es auf einmal wie ein gezähmtes Tier über sich ergehen, hielt sogar ihren musternden Blicken stand. „Hast schon mal mit ‘ner Deern geschlafen?“ „Wi geslöpt?“ „Na, wie din Moder mit di Kierls?“ „Wull nit.“ „Wenn du auf See fährst, musste dat aber weiten.“ Er wurde argwöhnisch. Wo wusste sie her, dass er aufs Schiff wollte. „Bin awer nit up See. Villicht läter.” Sie setzte sich ziemlich aufreizend mit gespreizten Beinen aufs Bett und zog den Rock hoch. „Na, was ist? Willst nun? Mach’s für dich umsonst.“, lockte sie. Er drehte sich weg. Böse Erinnerungen erwachten plötzlich. „Jenny, dat lät man sin. Will blot got Tüüch.“
Sie lachte, verdeckte ihre Blöße und begann in den Klamotten nach passenden Stücken zu suchen. Er musste ausprobieren, umtauschen oder anbehalten, wenn es passte. Nach einer Stunde schob sie ihn vor den Spiegel. Diesmal schlotterte nichts an ihm herum. Sogar Strümpfe zierten seine dünnen Beine. „Alles von die Kierls, die vor lauter Tollerei ihr Zeug da lassen haben. Gehört jetzt dir! Den Rest steck ich in den Seesack. Verlier nicht den Verstand, wenn du mal bei ‘ner Deern bist, dann pass‘ up din Plunner up!“, riet sie anschließend und warf ihm die Jacke mit dem Messer zu. „Kannst sie jetzt drüberziehen, wird kühler!“
Erleichtert über die neue Wendung, verabschiedete er sich sofort wieder aus seinem alten Leben. Jetzt, wo er fast einen wohlhabenden Eindruck hinterließ, das Messer wieder besaß, wechselte er wie selbstverständlich in einen neuen Stand. „Mach dir auch din Zopp!“, bot sie überraschend an. Das Schweinefett hatte den Schorf der Krätze gelöst. Sie rieb ihn den Schädel blank und begann, das einzige Haarbüschel vorm Spiegel zu verflechten. Fiedje rührte sich nicht, wollte Jenny um keinen Preis verärgern. Interessiert verfolgte er ihr Tun in dem mit Gold umrahmten und reflektierenden Glas. Dort sah er nicht nur einen Menschen, den er bisher zu seiner Existenzsicherung benötigte, er nahm zum ersten Mal auch eine Frau wahr, die einige Jahre älter als er sein mochte. Sie verfügte über dralle Formen, gekrönt von einem Wuschelkopf mit gutmütigem Gesicht. Obwohl sie wie seine Mutter mit Kerlen ihr Geld verdiente, war sie bisher immer gut zu ihm gewesen, hatte ihn nie verstoßen. Ihr etwas anzutun, dass wäre das Schlimmste, was er sich denken konnte. Sein beschränkter Verstand lieferte ihm unerwartet diese Einsicht und machte ihn gleichzeitig ärgerlich darüber, dass er sie noch vor kurzem wegen einer Unstimmigkeit hatte abstechen wollen.
„So, min Jung, bist jetzt fertig, geh‘ zum Hafen und such‘ dir ein Schiff! Den Sack holst später.“ Fiedje spürte einen Moment lang etwas wie eine dankbare Rührung, wusste aber nicht wie er sich äußern sollte. Jenny bemerkte seine Verlegenheit und schob ihn zur Tür hinaus.
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