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Deutschland
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„Verein der Nationalpark-Freunde e.V.“
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1. Auflage 2017
ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-942509-61-9
eISBN: 978-3-942509-82-4
www.lichtland.eu
HANS BIBELRIETHER
DIE ENTSTEHUNG DES
ERSTEN NATIONALPARKS
DEUTSCHLANDS:
DER NATIONALPARK
BAYERISCHER WALD
Die Geschichte des Nationalparks Bayerischer Wald ist politisch und fachlich exemplarisch für die Entwicklung des Naturschutzes in Deutschland. Damit verbunden war auch der Lernprozess der Systemzusammenhänge in der Natur, den Ökosystemen.
Alle diese Lernprozesse waren natürlich auch Konfliktprozesse. In der gesellschaftlichen Debatte, in der politischen Auseinandersetzung und in der naturschutzfachlichen Diskussion. Für die politische Durchsetzung des Projektes Nationalpark Bayerischer Wald steht der Name eines Politikers, der im Naturschutz weitgehend unbekannt ist: Dr. Hans Eisenmann, der damalige Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Bayern. Er verstand die ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge. Mit dem Bayerischen Waldgesetz wurden erstmals Naturschutz und Schutzwälder als Aufgabe benannt. Mit diesem Geist, dieser Haltung setzte Hans Eisenmann auch das von Anfang an umkämpfte Projekt Nationalpark Bayerischer Wald durch. Für die fachliche Verwirklichung steht das leidenschaftliche Engagement und die Fachkenntnis von Dr. Hans Bibelriether. Der Preis waren nicht nur große Belastungen und Anstrengung; der Preis waren auch unendlich viele Anfeindungen und Schmähungen. Nur mit großem Engagement, großer Überzeugungskraft und innerer Stärke war dieser Weg zu meistern.
Beiden Pionieren danken wir für diese große Lebensleistung, die nachhaltiger nicht sein könnte.
Alois Glück
Landtagspräsident a. D .
1|VISIONEN UND VISIONÄRE
WIE DIE GESCHICHTE IHREN ANFANG NIMMT
2|WIR TUN DREI JAHRE SO ALS OB …
DER AUFBAU DES NATIONALPARKS BEGINNT
3|HIRSCHE UND REHE FRESSEN DEN WALD
DAS WILDPROBLEM DER ANFANGSJAHRE
4|ZWEI SCHRITTE VOR – EIN SCHRITT ZURÜCK
DER WEG ZUM WILDEN WALD BEGINNT
5|ZUR RECHTEN ZEIT AM RECHTEN ORT
DER VEREIN DER NATIONALPARK-FREUNDE E.V.
6|DAS UNABHÄNGIGE SPRACHROHR
DIE ZEITSCHRIFT „NATIONALPARK“ WIRD GEGRÜNDET
7|EIN URWALD FÜR UNSERE KINDER UND KINDESKINDER
DER WINDWURF VON 1983 UND SEINE FOLGEN
8|IST DER ROTHIRSCH WERTVOLLER ALS DER BORKENKÄFER?
DIE MASSENVERMEHRUNG DES BORKENKÄFERS UND IHRE FOLGEN
9|MITEINANDER ARBEITEN – VONEINANDER LERNEN
EIN NATIONALES UND INTERNATIONALES NETZWERK ENTSTEHT
10|LERNEN UND ERLEBEN MITEINANDER VERBINDEN
EIN INFORMATIONSZENTRUM WIRD GEBAUT
11|NATIONALPARKGEMEINDEN WERDEN UNTERSTÜTZT
EINRICHTUNGEN FÜR BESUCHER
12|RANGER UNERWÜNSCHT!
DIE NATIONALPARKWACHT WIRD AUFGEBAUT
13|WALD ERLEBEN – NATUR VERSTEHEN
UMWELTBILDUNG WIRD AKTUELL
14|DER NATIONALPARK IST KEINE INSEL
NATIONALPARKVORFELD UND INTEGRATION
15|KEINE ANGST VOR GROSSEN TIEREN
FINDEN WOLF UND LUCHS IM BAYERISCHEN WALD WIEDER EIN ZUHAUSE?
16|KEINE SPIELWIESE FÜR FORSCHER
FORSCHUNG MUSS DEM NATURSCHUTZ DIENEN
17|EINE JAHRHUNDERT-TRAGÖDIE?
DER STREIT UM DIE NATIONALPARKERWEITERUNG VON 1995 BIS 1997
18|NATURSCHUTZ AUF NEUEN WEGEN
VOM ARTENSCHUTZ ZUM SCHUTZ NATÜRLICHER ENTWICKLUNGEN
19|DIE SCHÖPFUNG BEWAHREN
1|VISIONEN UND VISIONÄRE
WIE DIE GESCHICHTE IHREN ANFANG NIMMT
Manchmal werden Wünsche und Träume wahr. Oft ist es schwer, neue Ideen durchzusetzen. Mitunter scheint es unmöglich. Und doch – es lohnt sich, für seine Träume zu kämpfen – umso mehr, wenn man vom Sinn einer Sache überzeugt ist. Immer wieder gibt es Menschen – Visionäre –, die etwas weiter sehen als andere und für machbar halten, was andere für unerreichbar erklären. Nicht selten werden solche Visionäre verlacht oder sogar angefeindet. Dennoch halten sie fest an ihrem Ziel und setzen sich mit ihrer ganzen Kraft dafür ein. Sie verkraften Rückschläge und stecken Niederlagen weg. Sie stehen immer wieder auf. Oftmals schaffen solche Visionäre etwas von bleibendem Wert. Sie schreiben ein Stück Geschichte. Unzählige solche Geschichten gibt es, und eine davon nahm ihren Anfang vor über einhundert Jahren. Es ist die Geschichte des ersten deutschen Nationalparks, des Nationalparks Bayerischer Wald.
Am 30. März 1898 – das Deutsche Reich wurde vom machtbesessenen Kaiser Wilhelm II. regiert – bewies ein preußischer Parlamentarier beeindruckenden Weitblick. In einer aufsehenerregenden Rede vor dem preußischen Abgeordnetenhaus forderte er den gezielten Schutz der bedrohten Natur. Wilhelm Wetekamp hieß der Mann, der in Zeiten massiver Aufrüstung und drohender Kriegsgefahr das Parlament aufforderte, „… gewisse Gebiete unseres Vaterlandes zu reservieren, (…) in „Staatsparks“ umzuwandeln, (…) Gebiete, deren Hauptcharakteristik ist, dass sie unantastbar sind .“
Damit wurde der Reformpädagoge Wetekamp einer der Begründer der deutschen Naturschutzbewegung. Ihm ist die Einrichtung der ersten deutschen Naturschutzbehörde, der „Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege“ in Preußen 1906 zu verdanken. Nur drei Jahre später, am 23. Oktober 1909, wurde in München der „Verein Naturschutzparke e.V.“ gegründet und 1911 der Bayerische Wald erstmals als geeignetes Gebiet für ein großes Naturreservat benannt. Bedingt durch die Abgeschiedenheit und klimatische Rauheit der Gegend, hatte eine intensive Forstwirtschaft im Bayerischen Wald viel später als anderswo in unserem Land begonnen, weshalb ursprüngliche Wälder noch großflächig erhalten waren.
Im selben Jahr – 1911 – rief Dr. Emmerich in einem Beitrag der „Niederbayerischen Monatshefte“ zum Widerstand gegen den materialistischen Zeitgeist auf. Er demonstrierte eine Einsicht, die uns auch heute gut zu Gesicht stünde: „ Wir haben ein Recht zu leben, aber wir haben nicht das Recht, unser Vaterland zu einer Wüste zu machen, unseren Kindern und Enkeln ein verödetes, schematisiertes, von Paragraphen und Nützlichkeitstheorien, die so schnell vergehen, wie sie gekommen sind, regiertes Land zu hinterlassen. Zur wirksamen Abhilfe gibt es nur ein Mittel: Die Schaffung großer Naturschutzparke, in denen die gesamte, in diesen Gebieten einheimische Tier- und Pflanzenwelt ein dauerndes Asyl erhält “.
Doch wie so oft, folgte darauf zunächst nichts. Jahre gingen ins Land. Die Menschen kämpften während des Ersten Weltkrieges und in den Folgejahren der Weltwirtschaftskrise ums eigene Überleben. Der Schutz der Natur musste warten. Zwar meldete sich 1928 ein weiterer Visionär zu Wort, der Waldbaureferent der Bayerischen Staatsforstverwaltung, Geheimrat Dr. Karl Rebel. In blumigen Worten beschrieb er seine Vision bei einem Vortrag vor dem Bund Naturschutz. Er erträumte sich einen Nationalpark nach internationalem Vorbild, „ wo keine Axt hallt, keine Sense klingt, kein Schuss fällt, kein Vieh weidet “. Doch wie die Axt im Wald, so verhallte auch dieser Ruf.
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