Marcel konnte es denjenigen nicht einmal verdenken. Die Leute mussten sich einfach im Schatten dieses mächtigen Mannes aufhalten. Es war wie eine Sucht. Er musste es wissen, tat er es doch ebenfalls seit drei Jahren.
Er schüttelte sich. Nur, dass er komplett andere Gründe dafür hatte. Mann, wie erbärmlich er war. Das Erste, was er tun sollte, nachdem er gekündigt hatte, war ein Termin bei einem Seelenklempner zu vereinbaren. Nein, falsch. Zuerst würde er ausgehen und sich flachlegen lassen. Es war Zeit, Christopher Thalberg zu den Akten zu legen.
Er schaute auf seine Armbanduhr und runzelte die Stirn. Sie hätten die Villa längst erreichen müssen. Er drückte auf den Knopf für die Trennscheibe und Max ruhiger Blick traf seinen im Rückspiegel.
„Es tut mir leid, Herr Bender. Herr Thalberg hat sich gemeldet und angeordnet, sie zu Monsieur Pierre zu fahren. Beim Empfang heute Abend ist Smokingpflicht und ich glaube nicht, dass er ein Nein akzeptieren wird.“
Marcel unterdrückte ein resigniertes Seufzen. ‚Nur noch ein paar Stunden. Dann ist dieser Zirkus endlich vorbei‘, sprach er sich in Gedanken Mut zu.
Da er auch wusste, dass eine Diskussion sinnlos wäre, sagte er deshalb nur: „In Ordnung, Max. Ich tue ihm diesmal den Gefallen. Welchem Anlass dient die Gesellschaft heute Abend?“
Der Chauffeur lächelte. „Das gehört nicht zu den Dingen, die er mir mitteilt, Herr Bender. Aber seine Gästeliste liest sich wie das ‚Who is who‘ der Reichen und Schönen. Wie ich mitbekommen habe, gibt es Schwierigkeiten mit einer etwas sehr anhänglichen Dame.“
Oh, Max wusste genau, worum es ging.
Marcel nickte knapp und sank in den Sitz zurück. Innerlich kochte er. Also hatte wieder irgendein ein Püppchen ihre Krallen in Christopher geschlagen und er sollte einmal mehr für einen Skandal sorgen und den eifersüchtigen Liebhaber mimen.
Nicht das erste Mal, dass er für diese miese Nummer herhalten musste. Denn obwohl sein Chef stockhetero war, schockierte er die Leute gerne und um seine Anhängsel loszuwerden, waren ihm alle Mittel recht. Wie seinen Assistenten benutzen, von dem er nicht mal wusste, dass er schwul war. Ein Mann, der jedes Mal das Gefühl hatte, man stieße ihm ein Messer ins Herz, wenn er so tat, als sei Christopher Thalberg sein Geliebter. Etwas, das nie in Erfüllung gehen würde.
Ein Plan formte sich in seinem Kopf. Es war sowieso das letzte Mal, dass er diese Show abzog, also sollte er auch einen besonders bleibenden Eindruck hinterlassen. Deshalb gab er Max die Anweisung ihn nach dem Besuch bei Monsieur Pierre noch bei einem Juwelier vorbeizufahren. Ein eifersüchtiger Verlobter beeindruckte schließlich weitaus besser als ein eifersüchtiger Liebhaber, oder?
Eine Stunde später, elegant in einen Smoking gewandet, setzte sich im Juweliergeschäft ein kleines Teufelchen auf Marcels Schulter. Und so kam es, dass er nicht nur mit einem Platinband an seinem linken Ringfinger das Geschäft verließ, sondern ebenfalls mit einer neuen Uhr und einem Diamantstecker im Ohr. Das sollte ausreichen, um einen angemessenen Wirbel zu verursachen und Christopher ein wenig zu ärgern.
Bei Pierre war ihm klar geworden, dass kein Limit für seine Ausgaben gesetzt gewesen war und das hatte er ausgenutzt. Wenn sein Chef ihn schon in die Rolle des eifersüchtigen Frauchens schubste, konnte er dafür auch ein paar Euros lockermachen. Na gut, ungefähr 100.000 Euro, aber das bezahlte sein Arbeitgeber locker aus der Portokasse.
Max starrte ihn mit offenem Mund an, als er ihm die Tür zur Limousine aufhielt. Marcel zwinkerte ihm zu. „Ich kann doch meinen Mann nicht enttäuschen, oder Max? Vielleicht denkt er beim nächsten Mal zweimal darüber nach, mich mit seiner Kreditkarte allein zu lassen. Und nun auf in die Höhle des Löwen.“
Die abgelegene Villa war hell erleuchtet, als Max die Limousine in die Untergrundgarage lenkte, damit Marcel nicht durch das Gedränge am Haupteingang musste. Einen Moment wurde ihm etwas flau im Magen, als er daran dachte, dass er vielleicht ein wenig zu weit gegangen war mit dem Verlobungsring. Der Medienrummel könnte sich zu einem Albtraum entwickeln und seine Kündigung verwandelte sich wahrscheinlich in einen Rausschmiss.
Dann zuckte er mit den Schultern. Den Schmuck konnte man zurückgeben und sein Chef hatte genug Einfluss, um jeden Skandal zu ersticken. Also gab es keinen Grund für seine Nervosität.
Er stieg aus und wurde von einem livrierten Bediensteten erwartet, der ihn in die elegante Eingangshalle führte. Marcel bemerkte abwesend, dass die Halle und die breite Treppe mit einem roten Teppich ausgelegt waren. Grinsend fragte er sich, wer wohl heute Abend diese Sonderbehandlung verdiente.
Ein weiterer uniformierter Diener erwarte ihn an den großen Flügeltüren des Ballsaals und begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln. Maurice war ein attraktiver Mittvierziger, der mehr als einmal sein Interesse an ihm bekundet hatte, doch er hatte ihn immer höflich, aber bestimmt abgewiesen. Er war froh, ihn wieder auf den Beinen zu sehen, nachdem er bei einem Unfall im letzten Jahr verschiedene komplizierte Knochenbrüche erlitten hatte. Einige kostspielige Operationen waren erforderlich gewesen, die Christopher bezahlt hatte.
‚Stopp, Marcel. Mach ihn nicht zum Heiligen. Dann ist der Mann manchmal großzügig gegenüber seinen Angestellten. Es ist nur Geld! Und davon hat er ja im Überfluss.‘
„Du siehst umwerfend aus“, raunte ihm Maurice ins Ohr. „Der Chef ist auf der obersten Etage. Er wollte sofort informiert werden, wenn du eintriffst. Ich schicke Philippe direkt zu ihm ...“
„Das wird nicht nötig sein. Ich informiere ihn selbst.“
Mit einem Zwinkern in Maurices Richtung straffte er seine Schultern, betrat den Saal und schritt auf die Wendeltreppe zu, die den Raum dominierte. Er spürte, dass ihm einige neugierige Blicke folgten, wusste aber, dass ihn keiner erkannte, denn er war sehr selten bei diesen Empfängen dabei. Er war nur der Assistent des großen Christopher Thalberg. Ein Niemand.
Natürlich war das auch von Vorteil. Wäre er bekannt, könnte sein Chef ihn ja nicht als Blitzableiter benutzen, um seine Eroberungen loszuwerden. Marcel knirschte mit den Zähnen, als er die obere Galerie erreichte und einen Weg durch die Menschentrauben suchte. Nervös hielt er Ausschau nach Christopher, denn im Moment wollte er seinen Auftritt so schnell als möglich über die Bühne bringen.
Dann sah er ihn. Sein Boss stand in einer kleinen Menschenmenge, an dessen Arm hing eins dieser neuen Supermodels, von denen er sich die Namen nie merkte, da sie so austauschbar waren. Das alberne Kichern drang bis zu ihm hinüber und einen Augenblick genoss er das offensichtliche Unbehagen seines Chefs.
Interessiert schaute er sich im Saal um, geblendet von dem Prunk, der hier herrschte. Wieso musste man nur so protzen? Aus den Augenwinkeln nahm er einen Mann wahr, der sich in seine Richtung pirschte. Dessen Blick ließ deutlich erkennen, dass sie auf derselben Seite spielten, aber das konnte Marcel nun überhaupt nicht gebrauchen.
Vage erinnerte er sich, wo er ihn bereits gesehen hatte. Bei einer Filmpremiere in Cannes. Ein Schauspieler. Er stöhnte innerlich. Die waren sehr hartnäckig, wenn sie etwas wollten, und klebten wie Kaugummi an einem dran.
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