Und er würde eine immense Befriedigung empfinden, wenn er seinem Chef das Satellitentelefon zurückgab, dass er nur bekommen hatte, damit er Tag und Nacht und egal wo er sich aufhielt, für diesen Idioten erreichbar war.
Marcel grinste hämisch. Sollte der große Boss doch mal sehen, ob er je wieder so einen Assistenten wie ihn an Land zu ziehen vermochte. Denn den Nächsten müsste er wie einen Menschen behandeln.
Oh ja. Er holte sich sein eigenes Leben zurück. Der Gedanke beflügelte ihn und übertönte die leichte Wehmut, die sich bei der Vorstellung einschlich, demnächst nicht mehr für Christopher Thalbergs Wohl zuständig zu sein.
Am Flughafen angekommen, stieg Marcel rasch aus der Limousine. Er nahm das, ihm vom Chauffeur angereichte, Gepäck entgegen und eilte im Laufschritt zum privaten Rollfeld, wo er dem Sicherheitsbeamten zunickte, der ihm das Tor öffnete. „Herr Bender.“
Der Mann lächelte freundlich, als er an ihm vorbeiging.
„Hallo Jochen. Wie geht es Ihrer Frau? Ist das Baby schon da?“ „Sie ist zwei Wochen überfällig. Unsere Kleinen haben es anscheinend nicht eilig. Das Erste kam auch zu spät. Also kein Grund zur Aufregung.“
„Das freut mich, zu hören. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Jochen und alles Gute für Sie, Ihre Frau und natürlich den Nachwuchs.“
„Danke, Herr Bender. Ihnen einen angenehmen Flug und stabile Nerven.“ Der Wachmann zwinkerte und Marcel grinste zurück.
Am Flugzeug wurde er vom Piloten persönlich empfangen, während eine Flugbegleiterin ihm sein Gepäck abnahm. Nachdem er es sich in einem der komfortablen Sitze bequem gemacht und nach einer Flasche Wasser gefragt hatte, wandte er sich an den Flugkapitän.
„Wie sieht es aus?“
„Der Wetterbericht meldet eine Gewitterfront, die über Frankreich aufzieht. Es könnte sein, dass wir ein anderes Ziel anfliegen müssen und es dürfte turbulent werden. Ich informiere Sie natürlich rechtzeitig, falls wir nicht in Nizza landen dürfen.“
Der Pilot lächelte, als er ihm einen Stapel Comics reichte, über die sie beim letzten Flug geplaudert hatten. Marcel akzeptierte sie dankbar. „Sie kennen ja den Ablauf. Sobald das Signal ausgeht, können Sie aufstehen und sich etwas zu Essen besorgen. Herr Thalberg hat die Fertiggerichte aufstocken lassen. Große Auswahl. Aber Veronika war so frei, frische Salate und vegetarische Sandwiches hinzuzufügen.“
Marcel lächelte Hendrik Werner an und dankte ihm für seine Aufmerksamkeit. Sein Chef wusste nach drei Jahren immer noch nicht, dass er Vegetarier war, obwohl sie schon unzählige Male zusammen gespeist hatten. Er seufzte zum gefühlt hundertsten Mal heute. Nur ein weiterer Punkt auf seiner Liste.
Er schloss seine Augen und lehnte sich zurück. Nur Minuten später rollte die Maschine bereits los und kurz darauf befanden sie sich in der Luft. Behaglich kuschelte Marcel sich tiefer in den bequemen Ledersitz. Das würde er vermissen. Nie lange Warteschlangen oder langwierige Sicherheitskontrollen. Keine verspäteten oder gecancelten Flüge. Keine Extrakosten für die 1. Klasse.
Verdammt, er war verwöhnt. Aber das durfte ihn nicht daran hindern, seinem Chef zu sagen, was er von ihm hielt. Wo er seine lächerlichen Forderungen und seine mangelnde Rücksicht hinschieben konnte. Christopher Thalberg wusste ganz genau, welche Pläne sein Assistent für dieses Wochenende hatte. Er hatte es bereits vor Wochen in dessen Terminplaner eingetragen und bei zahlreichen Gelegenheiten darauf hingewiesen. Unerreichbar vom 13. - 14. September. Es waren verschwendete Worte gewesen.
Sein Boss war extrem egoistisch und gleichgültig gegenüber den Bedürfnissen seiner Angestellten. Zudem kam er auch nicht auf die Idee, die Privatsphäre seines Mitarbeiters zu respektieren, wenn Marcel in einem der vielen Häuer weilte, die der Millionär sein eigen nannte.
Die seltenen Momente, die er mal in seinem Apartment in Berlin verbrachte, liebte er es leger. Er lief in alten Joggingklamotten herum, fläzte sich auf dem Sofa, um irgendwelche Cartoons zu gucken. Doch sobald er mit seinem Chef unterwegs war, konnte er sich einen solchen Luxus nicht erlauben.
Dieser Bastard war sogar einmal in London in das luxuriöse Gästebad seines Penthouse gestürmt, während Marcel geduscht hatte. Christopher hatte einfach die Glastür aufgerissen und ihn wegen eines winzigen Fehlers in seinem Terminplan zusammengestaucht.
Dass Marcel zurückgewichen war, um seine Blöße zumindest etwas zu verbergen, hatte ihn absolut nicht beeindruckt. Er hatte ihn nur von oben bis unten mit einem wütenden Blick taxiert und ihn angeschnauzt, er solle gefälligst aus der Dusche kommen, sich anziehen und den verdammten Terminkalender berichtigen - gestern!
Marcel bezweifelte, dass dieses Arschloch überhaupt bemerkt hatte, dass er nackt gewesen war. Eher nicht, er hatte ja die falsche Ausstattung! Als er dann nach einigen Minuten in seinem alten Frotteebademantel ins Schlafzimmer gekommen war, wer war dort? Christoph Thalberg!
Sein Boss marschierte einfach durch den Raum, kramte in seinen persönlichen Sachen auf seinem Nachttisch. Zum Glück hatte er es sich abgewöhnt, irgendwelche peinlichen Spielzeuge auf seinen Reisen mitzunehmen. Diese Demütigung hätte er vermutlich nicht überlebt. Dann hatte sein Chef aufgesehen und knapp gesagt: „Canceln Sie alle meine Termine für heute. Ich habe eine Verabredung und möchte nicht wegen Geschäften gestört werden.“
Und danach hatte er ihn völlig überraschend zu einer mittelalterlichen Kunstausstellung geschleppt, wo Marcel Notizen von den Stücken machte, die sein Arbeitgeber später erwerben wollte. Die Anmerkungen beschränkten sich jedoch auf ein Minimum, was ihm die wunderbare Gelegenheit gegeben hatte, wieder mal in Geschichte zu schwelgen.
Leider war die schlechte Laune seines Chefs, der so getan hatte, als sei sein ganzer Tag durch den winzigen Fauxpas ruiniert, ein erheblicher Dämpfer für sein Vergnügen gewesen.
Der Fehler war der vergessene Eintrag eines Interviews mit einer bekannten Celebritykolumnistin, die ihm seit Monaten hinterherlief, um ein Exklusivinterview mit dem großen Christopher Thalberg zu ergattern - oder ihn zu kompromittieren.
Tara Michaelis war pünktlich aufgetaucht und hatte es sich im Penthouse gemütlich gemacht, während sein Arbeitgeber gerade eine wichtige Telefonkonferenz wegen einer Übernahme führte. Nachdem sein Boss dann eine halbe Stunde gebraucht hatte, sie aus seinem Haus hinauszukomplimentieren, war er einfach zu ihm ins Bad gestürmt und hatte ihn in der Luft zerrissen.
Und danach hatte sein Chef es nicht einmal für nötig gehalten, sich für die Invasion in seine Privatsphäre zu entschuldigen. Dafür hatte Marcel, als er am nächsten Tag seinen alten Bademantel gesucht hatte, an dessen Stelle einen aufwendig bestickten Seidenkimono gefunden. Um die Demütigung noch zu perfektionieren, hatte er auch den bequemen Flanellpyjama, den er trug, weil er immer fror, durch völlig unpassende Pants ersetzt und nichts weiter.
Marcel war so wütend gewesen, dass er in die Privaträume seines Chefs gestürmt war, um ihm die Sachen, um die Ohren zu schlagen ... Nur um feststellen zu müssen, dass dieser bereits abgereist war. Nachdem er sich abgeregt hatte, war ihm klar geworden, dass Christopher sich vermutlich gar nichts dabei gedacht hatte. Er wollte wahrscheinlich damit sein Bedauern ausdrücken, aber eine verbale Entschuldigung hätte ihm einiges mehr bedeutet.
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