Teflonpfannen, ein Abfallprodukt aus der Weltraumfahrt! Na, klingelt’ s jetzt? Echte Bildungslücke, mein Lieber!“ Dr. Mundfohl steigt nicht auf die Frozzelei ein und bleibt angenehm sachlich. „Unsere Tests haben nichts Entsprechendes ergeben. Aber was anderes könnte Sie interessieren…“ „Raus damit. Der Nobelpreis ist Ihnen sicher. Trotz Ihrer Jugend, hahaha!“ Der Professor weiß sich zu revanchieren und stellt auf seine Art klar, wer hier für den Humor zuständig ist. Dr. Mundfohl denkt an seine Zukunft in der Klinik und wird noch vorsichtiger in seinen Formulierungen. „Es handelt sich um etwas, an dem wir gemeinsam mit vielen ausländischen Kollegen schon lange arbeiten: das Human Brain Project. “Jetzt zeigt sich der Professor alarmiert. Er legt den Zeigefinger auf den Mund ohne Pssst! zu sagen, öffnet die Tür der Intensivstation und sieht vorsichtig hinaus. Aber dort ist niemand zu sehen. Dennoch flüstert er als er weiterspricht. „Unser Flaggschiff-Projekt! 100 Millionen Euro pro Jahr!“ „Aber da ist noch etwas, Professor. Ihr Kopf …“ Er zeigt vorsichtig auf „Is“ verbundenen Kopf, wird aber gleich von seinem flüsternden Chef unterbrochen. „Irgendwelche inneren Verletzungen?“ „Nicht direkt“, jetzt flüstert Dr. Mundfohl ebenfalls, „aber das cerebrum ist …“ Und wieder unterbricht ihn der Professor ...“beschädigt? Das Gehirn?!“ „Also, so würde ich es nicht bezeichnen“ antwortet der Assistenzarzt und fährt so schnell wie möglich fort um nicht wieder unterbrochen zu werden. „Der visuelle und der auditorische Cortex sind, naja, sagen wir mal äußerst ungewöhnlich gestaltet. Ist eher eine Art Schaltkreis oder so was ähnliches“. Prof. Dr. Dr. Havelstein steht vor Erstaunen der Mund offen. Er sieht einigermaßen dämlich aus, gar nicht wie ein kluger Klinikleiter und hochgebildeter Professor Doktor Doktor. „Kann ich nicht glauben. Sind Sie sicher?“ Jetzt ist es an Dr. Mundfohl den großen Meister zu spielen, weshalb er dramatisch die Arme ausbreitet und dabei ganz das Flüstern vergisst. „Der Hippocampus ist in spezifischer Weise verändert … eine Plastizität des Gehirns …“ Beinahe hätte es den Professor auf das Bett der Patientin hingehauen, in letzter Sekunde fängt er sich. Buchstäblich bleibt ihm die Spucke weg, als er mit trockenem Mund antwortet. „Ein Brainmodell?! Ein Hochleistungscomputer, der das Gehirn simuliert?! Großer Gott, das muss ganz unter uns bleiben, Michael“. Er holt tief Luft, klatscht dann in die Hände. „Eine wissenschaftliche Weltsensation - aus u n s e r e m Hause!“ Beide stürmen geradezu aus dem Zimmer, ohne Rücksicht auf die immer noch schlafende Verunfallte. Deshalb erfährt man auch nicht wie lange sie in Wahrheit schon wach ist, die Patientin, und was sie von der Unterhaltung eventuell mitbekommen hat. Tatsache aber ist, dass sich das Mädchen jetzt erhebt und dieses „Dida dadadadidadaaa“ vernehmen lässt während sie ruhig und besonnen, so sieht es zumindest aus, die an ihr befestigten Versorgungs-schläuche entfernt, die herumstehenden Apparate scannt und speichert, emotionslos rekapituliert was sie anscheinend doch gehört hat. „Eine wissenschaftliche ...Weltsensation...ein Brainmodell...ich muss dringend telefonieren ...telefonieren.“ Schnell verlässt sie das Zimmer, immer noch mit dem hinten offenen Krankenhaus Nachthemd bekleidet.
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Der VW-Bus fährt ratternd und mit Fehlzündungen von der Autobahn ab und nähert sich dem Flughafen. Bernhard ist stinkig. In letzter Zeit läuft aber auch alles schief. Nicht nur mit dieser merkwürdigen, computeranimierten Schaufensterpuppe, das ist noch seine geringste Sorge. Mehr beschäftig ihn, woran es liegen kann, dass er immer wieder so unausgewogen, so schnell nervös wird. Jede Kleinigkeit bringt ihn in Rage. Aus jeder Mücke macht er gleich einen Elefanten, sieht Probleme wo keine sind und macht sich dadurch erst welche. Reflektieren nennt er das und nimmt sich jetzt eisern vor, sein Leben von Grund auf zu ändern. In Zukunft mehr relaxen und zugleich weise sein, mehr auf Monika eingehen und sich gleichermaßen den Kindern zu widmen. Mehr musizieren, das Spiel auf seinem Banjo hat er in letzter Zeitstark stark vernachlässigt. Das muss sich ändern. Er wird vieles ändern, nein, keine Kompromisse, er wird alles ändern! Soeben aber ändert sich die Musik aus dem Radio, sie hört nämlich auf und die Sprecherin kündigt eine Meldung an, eine sogenannte Sondermeldung an der Bernhard nicht ganz unschuldig ist, wie er gleich erfahren wird. Um die Motoren- und Auspuffgeräusche zu übertönen, stellt er das Radio lauter und hört die Sprecherin sagen „… wie wir soeben erfahren, hat sich heute Vormittag in der Innenstadt ein merkwürdiger Unfall ereignet. Die verletzte Person unbekannter Herkunft wurde in die Havelstein Klinik eingeliefert und ist von dort anscheinend geflüchtet. Die Polizei bittet um Mitteilung wo das junge Mädchen gesehen wurde. Sie ist lediglich mit einem Nachthemd der Klinik bekleidet und leidet unter einer starken Elektrophobie. Die Polizei warnt davor, die Frau mit bloßen Händen zu berühren, ein schmerzhafter Stromschlag könnte die Folge sein.“ Vor lauter Zuhören hat Bernhard nicht aufgepasst und ist an der richtigen Ausfahrt vorbeigefahren. Und schon sind die guten Vorsätzen relaxt zu sein und sich in Zukunft positiv zu verändern dahin. Wütend haut er mit der flachen Hand auf das Steuerrad, auf die Hupe, die daraufhin das Hupen einstellt, um anschließend mit einem schrecklich quäkenden Dauerhupton zu erwachen und anzuzeigen, dass Bernhard mit seinem handfesten Wutausbruch irgendwas an dem Teil beschädigt hat. Im Radio hat Bea Freimuth, die Sprecherin, inzwischen weitergequatscht, trotz der brisanten Eilmeldung immer in fröhlichem, aufmunterndem Party-Ton, als ob die Welt nur aus feiern und Festen besteht.
„Weitere Informationen, liebe Zuhörer, bei jeder Polizeidienststelle und unter www.frauunterstrom.deim Internet. Hier ist Bea Freimuth, ihre Reporterin aus Leidenschaft. Mit Musik geht‘ s weiter in ein frohes Wochenende, trotz aller Horrormeldungen. Bleiben Sie bei uns!“
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DAS ETWAS, immer noch im Nachthemd des Krankenhauses, gestikuliert vor einem Passanten, indem sie windmühlenartig in alle Himmelsrichtungen zeigt und dabei abgespeicherte Sätze ohne Sinn und Verstand von sich gibt. Das ist rührend und unfreiwillig komisch anzusehen, aber offensichtlich ist da ein Wille in dem Mädchen, sich irgendwie verständlich zu machen. „Wenn möglich, bitte wenden. Verarschen kann ich mich selber. Is ´n Scheißspiel! Das cerebrum … ist beschädigt!“ Der Passant zeigt sich anfangs nur irritiert, zumal das Mädchen im Nachthemd ihn jetzt auch noch umarmen will, so wie Bernhard im Modelädchen. Ein Glück, dass er einen Regenmantel trägt und deshalb keinen Stromschlag erhält. Dabei brabbelt DAS ETWAS immer weiter das was sie inzwischen gelernt hat und in ihrem Speicher abgelegt ist. „Ist verboten! Kleine Tussi … Sex mit Kindern. Was ist ´verboten`?“ Dem Mann wird das merkwürdige Verhalten des Mädchens allmählich unheimlich. Insbesondere jetzt, wo auch noch von Sex mit Minderjährigen die Rede ist. Sowas ist strafbar und man weiß heutzutage nie, ob nicht plötzlich die Polizei vor der Tür steht weil eine Irre, und die Kleine ist sicher nicht ganz dicht, eine Anzeige gemacht hat. Hier muss eine sichere Distanz gewahrt bleiben, denkt sich der Passant, windet sich aus der Umarmung und spannt seinen Regenschirm auf um wie ein Florettfechter das Mädchen abzuwehren. Die aber lässt sich nicht stören, sie breitet die Arme aus und ruft mit der Stimme von Dr. Mundfohl. „Der Hippocampus ist in spezifischer Weise verändert!“ Jetzt reicht es dem Passanten endgültig, seine Gesichtszüge entgleisen, die ist ja völlig irre, wahrscheinlich sogar gemein gefährlich deshalb nichts wie weg ohne Rücksicht auf Verluste. DAS ETWAS sieht dem davonrennenden Mann nach und ruft ihm hinterher „Muss dringend telefonieren … dringend telefonieren … telefonieren!“
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