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Im Schnurre Haus arbeitet Monika schon seit dem frühen Morgen schwitzend an der Waschmaschine, als Bernhard hereinschaut. „Gib’ s her, Schatz!“ sagt die vom Vorstress des kommenden Besuchs geplagte Hausfrau und ist nicht überrascht als Bernhard fragt „Was meinst du?“ „Was? Das Waschpulver! Oh, Mann, wieder vergessen?“ Bernhard schreit laut „Mist!“ macht eine Kehrtwende und ist schon wieder draußen. Und Monika ruft hinterher. „Schreib‘ s dir auf! Das Gute! Mit der amerikanischen Duftnote. Der Henry soll sich wie daheim fühlen bei uns. Und vergiss nicht deinen Schwager abzuholen!“
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Bernhard rennt über den Innenhof des Schnurre Hauses zu einer kleinen Lagerhalle, schiebt vor sich hin grantelnd das Tor auf. Aber er kann Monika nicht entkommen, aus dem Fenster ruft sie ihm nach. „Und bring um Himmels Willen was Gutes zum grillen mit! Ich will ihn mit echter deutscher Küche verwöhnen, der Rosl ihren Ami!“ Im Schuppen das reine Chaos. Hektisch schnaufend vor Ärger über sich selbst und seine eigene Vergesslichkeit räumt Bernhard ein paar ausgemusterte Schaufensterpuppen zur Seite. Schiebt Kleiderständer weg. Wirft Köpfe für Hutmodelle in die Ecke wo bereits diverse Arme und Beine von beschädigten Puppen verteilt sind. Dazwischen Eimer mit Gips, Spachtelmasse. Und ganz hinten ein alter VW-Bus, ein Lieferwagen mit der leicht verkratzten Aufschrift ´Schnurres Modelädchen`. Er steigt ein und startet, zu Bernhards Freude springt die alte Karre nicht gleich an. Auch daran scheint der angekündigte Besuch Schuld zu sein. „Auswärtsbesuch, amerikanischer!“
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Ein echter, total verspiegelter Spielsalon Marke Las Vegas für Arme, mit all den glitzernden, sich wie verrückt drehenden und vor sich hin düdelnden Automaten, an denen kein Spielerherz ungestraft vorbeigehen kann. Die Puppe hat so etwas offensichtlich noch nie gesehen. Fred macht einen auf vertraulich und ist gerade dabei einigen Kumpels, man könnte auch sagen Ganoven, das jetzt mit Baseball Kappe und Lederjacke ausgestattete Mädchen vorzustellen, die durch die Verkleidung wie ein hipper Junge aussieht. Freds Problem, er kennt ihren Namen nicht. Und die Puppe kann ihm nicht helfen, sie weiß ja selber nicht wie sie heißt. Die herumstehenden Kerle aber kennt Fred und macht sie deshalb mit der der Puppe bekannt in der Hoffnung, dass keiner Fragen stellt. „Das ist Herr Giacomo, man nennt ihn auch ‚Bleifuß‘. Weißt du warum?“ Und da DAS ETWAS nur mit einem „Dida dadadadidadaaa“ antwortet, liefert er die Erklärung schnell selbst nach. „Giacomo war Rennfahrer, zu seiner Zeit weltbekannt und mehrfacher Sieger bei … bei … mehrfachen Autorennen … und das hier ist Carlito, genannt ´Seifenhändchen`, er ist … äh…Kunstschütze im Zirkus …äh … welcher war’s gleich …?“ Carlito, immer noch stolz auf seinen Beruf, lässt es sich nicht zweimal sagen wenn man ihn bittet aus seiner aufregenden Zirkuszeit zu berichten. Deshalb sagt er im Brustton der Überzeugung „Volltreffer! Immer Volltreffer!“Aber einen echten Italiener aus der Ndrangheta Hochburg Kalabrien ärgert es wenn sein Kollege zu viel redet, weshalb Giacomo seinem Kollegen voll auf den Fuß tritt und dann das Gespräch übernimmt, zugleich den stolzen Kunstschützen durch einem drohenden Blick auffordert, sein Maul zu halten „Mitten in Brust! Volltreffer!“ „Fünf Mal, Volltreffer!“ bestätigt Carlito mit geschwellter Brust und hat wohl vergessen, dass die Zirkusleute nach seinem Auftritt öfter einen Menschen zu Grabe trugen. Natürlich mit megatrauriger Blasmusik und viel lautem Blech ´Tschingderassa Bummbumm` wie im Film ´Der Pate` zum Beispiel, als die junge Frau von Al Pacino beerdigt wird. Bei Carlito aber war es kein Film, es war das richtige Leben. „Idiota! Alle gehen tot!“ zischt Giacomo und tritt seinem Partner auf den Fuß um ihn mal wieder an sein Mafiosi Schweigegelübde zu erinnern. Aber da die Puppe keinerlei Reaktion zeigt, fühlt sich Fred zu einer Erklärung verpflichtet „Das meint der nicht so“. Und ob er das meint, Carlito will sich seine Erinnerungen nicht nehmen lassen und zischt deshalb „Alle tot! Bravo. Bravissimo!“ „Dida dadadadidadaaa“ ertönt es nun doch - und zu aller Überraschung redet die Puppe plötzlich „Volltreffer … immer Volltreffer! Bravissimo Idiota!“ Jetzt ist Giacomo erst recht alarmiert, nicht dass der Kollege noch mehr ausplaudert, wer weiß wo der Typ mit der Baseball Kappe herkommt und was er vielleicht im Schilde führt. Zumindest eines ist Giacomo aufgefallen.
„Hat er Piepsstimme - wie kleines Mädchen!“ Das wollen die Italiener nun genauer wissen und rücken deshalb der Puppe auf die Pelle. Giacomo zückt sogar sein SEK-Messer und spielt professionell damit herum. Fred versucht erneut zu vermitteln. „Nur die Ruhe, Leute. Der Typ hat auch einen an der Waffel. Aber vom Feinsten“. Er steckt Geld in einen der Spielautomaten und fordert DAS ETWAS auf die rotierenden Scheiben anzuhalten. „Los, zeig’s ihnen!“ Die Puppe hat damit kein Problem. Die Glückszeichen stoppen auf ´Jackpot`. Münzen rasseln in das Ausgabefach. „Mitten in Brust. Volltreffer, Idiota! Bravissimo!“ sagt die Puppe, bevor sie zum nächsten Automaten weitergeht, eine der eben gewonnenen Münzen einwirft und: ´Jackpot`! Wieder rasseln Geldstücke in das Ausgabefach. Carlito und Giacomo sind höllisch überrascht und wollen sich sogleich bedienen. Das findet Fred wiederum nicht komisch und knurrt drohend. „Pfoten weg ihr Arschlöcher, das ist meine Kohle!“ „Pfoten weg ihr Arschlöcher, das ist meine Kohle!“ echot die Puppe ohne das bisher übliche ´Dida dadadadidadaaa`. Jetzt ist aber auch Schluss mit lustig. Jeder der drei will einen Anteil am Gewinn haben. Der Geschäftsführer des Spielsalons, ein Riesenkerl Marke Ganzkörper tätowierter ´Wrestler`, mischt sich ein. Er hatte sowieso schon die ganze Zeit misstrauisch zu dem Geschehen hingeschielt. Nun will er echt wissen, was hier abgeht. Auf lange Diskussionen können sich aber weder die Italiener noch Fred einlassen. Keiner weiß ja, wie lange die Glückssträhne mit dem Gewinnertypen noch anhält. Weshalb jetzt eine Rangelei entsteht, die bald in Handgreiflichkeiten ausartet. Dabei wird die Puppe hin und her geschubst, ihre Baseballkappe unsanft heruntergerissen. Selbst ein Blinder mit Krückstock würde nun am Schnitt und den langen Haaren erkennen, dass der Junge ein Mädchen ist. „Deine Tussi?“ schreit der Geschäftsführer Fred an „Das geht ja gar nicht!“ Aber Fred hat die Taschen voller Geld, damit die Ruhe weg, er fühlt sich stark „Und wenn schon, Mann!“„Viel junges Mädchen für altes Fred!“ keucht Giacomo und Carlito assistiert „Ist verboten! Sex mit Kinder!“ Beide aber verstummen, als jetzt die Puppe lautstark wiederholt „Ist verboten … kleine Tussi Sex mit Kinder?! Was … heißt … verboten?“ Carlito und Giacomo scheint das zu amüsieren, sie krächzen sich einen ab vor Lachen. Nur der Geschäftsführer weiß, dass Kinder im Spielsalon verboten sind und es mindestens eine Geldstrafe einbringt wenn nicht Schlimmeres, zum Beispiel Lizenzentzug und damit Schließung des Casinos. Das ist Existenz gefährdend für den ehemaligen ´Wrestler` , der aus Altersgründen nun Geschäftsführer ist, weshalb er umgehend versucht das Problem auf seine Weise zu lösen. Er komplimentiert, nein, er schiebt die Bande gewaltsam nach draußen und flucht dabei „Alles in diesem Land ist verboten! Und deshalb raus jetzt! Avanti, dilletanti, Fred. Und nimm deine Spaghettis gleich mit!“ Das wollen sich Fred und die Italiener nun gar nicht gefallen lassen. Das war ja eine Diskriminierung allerschlimmster Sorte von diesem ungehobelten Fettsack. Deshalb beginnen sie jetzt erst recht ein großes, lautstarkes Palaver mit dem Geschäftsführer. DAS ETWAS scheint davon unberührt. Nicht einmal ein ´Dida dadadadidadaaa` lässt die Puppe hören. Das heißt wohl, sie hat alles was interessant oder vielleicht auch uninteressant war abgespeichert, echte Menschen würden sagen: sie langweilt sich. Und da sie durch Crash in Schnurres Modelädchen gelernt hat wie Türen geöffnet werden, verlässt sie das Spielcasino ohne sich umzusehen und ohne dass die Streithähne es bemerken.
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