Mit dem freien Arm öffnete er die Küchentür. Elisabeth sah ihn erstaunt an, während er sie mit den Rosen an den Herd drängte.
„Einen Kuss!“, verlangte er.
Ein Stoß in die Rippen ließ ihn zusammenzucken.
„Wir haben Besuch!“, sagte sie nur.
Krüger fuhr herum. Sandra und ein junger Mann saßen am Küchentisch und grinsten ungeniert.
Am Freitagabend fuhren sie alle gemeinsam ins Elsass. Simon, Sandras Freund, hatte sich zuerst dagegen gewehrt, aber gegen die zwei Damen, hatte er keine Chance gehabt. Krüger, ebenfalls skeptisch, hatte dann seine Meinung schnell geändert. Er und Simon, verstanden sich auf Anhieb.
Simon studierte Archäologie, Krügers alten Traumberuf. Bald standen sie in einer äußerst interessanten Diskussion über Neandertaler im südlichen Europa, während sich die Grassels, ungestört über Mode und Frauenthemen unterhalten konnten.
Krüger erzählte Simon vom originalen Neandertal, das dieser bisher noch nicht besuchen konnte. Mit der Erforschung der dort gefundenen Knochen war Krüger an einem Fachseminar, schon einmal direkt in Berührung gekommen.
Gerade legte Krüger noch etwas Holzkohle auf den Gartengrill.
Simon erschien mit zwei Flaschen Bier. „Kannst du eins gebrauchen?“, fragte er. „Oder trinkst du lieber gleich Wein.“
Krüger streckte die Hand aus. „Kommt genau zur richtigen Zeit“, antwortete er. „Wie sieht’s in der Küche aus?“, fragte er nach. „Alles im Griff?“
Simon zuckte mit den Schultern. „Sie haben mich gleich weggeschickt, als ich helfen wollte.“
Krüger grinste. „Na dann prost, auf unsere Liebsten.“
Die Flaschen stießen zusammen. Simon brummte, „zum Wohl und danke für die Einladung.“
„Gern geschehen“, gab Krüger zurück.
„Wir stören euch wirklich nicht?“, fragte Simon nach. „Ganz ehrlich nicht“, antwortete Krüger.
***
Am Samstagmorgen stand Krüger als Erster auf. Keineswegs geplant. Er setzte Kaffee auf und schmierte sich ein Brot. Ein heller, trockener Tag, stellte er mit einem Blick durchs Fenster fest. Die erste Möglichkeit, die Gegend zu Fuß zu erkunden. Mit Elisabeth am Arm.
Auf dem hügeligen Wald hinter dem Haus ließ sich eine markante Burg erkennen. Chateau de Kintzheim, wie er inzwischen herausgefunden hatte.
Elisabeth schlenderte schnuppernd in die Küche. „Morgen!“ Eine feste Umarmung mit Kuss folgte. „Du hast mir schon Kaffee gemacht“, stellte sie fest, während sie sich auch sein Brot schnappte.
„Nehmen sie Platz, gnädige Frau. Ich hoffe, es ist alles zu ihrer Zufriedenheit“, dienerte Krüger lachend.
„Machst du mir noch eins, bitte?“, gab sie kauend zurück.
Krüger seufzte vernehmlich. Trug den Kaffee auf, schnitt Brot in Scheiben, begann mit dem Schmieren. Sie sah interessiert zu.
„Gehen wir heute spazieren?“, fragte er beiläufig.
„Spazieren?“, wiederholte sie fragend. „Ja. Ganz einfach nur spazieren.“
Sie antwortete nicht gleich. Krüger warf ihr einen aufmunternden Blick zu.
„Ich wollte eigentlich mit Sandra in die Stadt“, antwortete sie verlegen.
„Kintzheim ist nur ein Dorf“, stellte Krüger trocken fest.
Sie nickte. „Wir wollen nach Schlettstadt oder Sélestat, wie es auf Französisch heißt.“
Krüger war doch ein wenig enttäuscht. Trotzdem lächelte er. Sie schien es zu bemerken. „Sei mir bitte nicht böse. Aber Sandra ist nicht so oft da. Wir möchten die Gelegenheit gern nutzen.“ Krüger hatte nicht überlegt. Natürlich hatte sie Recht. „Soweit habe ich nicht gedacht. Entschuldige, Spatz! Soll ich euch hinbringen?“
„Wenn du möchtest.“
***
So kam es dazu, dass Krüger seinen Spaziergang mit Simon, anstelle von Elisabeth, unter die Füße nehmen musste.
Sie hatten sich schnell darauf geeinigt, dass die bewaldeten Hügel hinter dem Dorf, archäologisch als interessant, einzustufen seien.
Simon hatte eine kurze Pflanzschaufel aus dem Garten eingesteckt. Unter Felsvorsprüngen findet sich fast immer etwas, wenn man der Erste ist, der sucht, hatte er Krüger erklärt.
Sie besuchten erst die Burg, genossen kurz die weite Aussicht, bevor sie sich tiefer in den Wald bewegten. Für März war es bereits angenehm warm. Dazu der steile Anstieg. Beides trieb Krüger den Schweiß auf die Stirn.
Simon schien das nichts auszumachen. Zielstrebig steuerte er eine helle Fläche an, die durch den Wald schimmerte. „Perfekt“, stellt er fest. „Leicht überhängend, ideal als Rastplatz für die Nacht.“
Die Felswand, entpuppte sich eher als Felswändchen. Knapp drei Meter hoch, mit einer leichten Einbuchtung am Grund, wo sie aus dem Laub auftauchte.
Simon begann gleich damit, die trockenen Blätter präzise schichtweise abzutragen. Sein Vorgehen ließ den angehenden Fachmann schon deutlich erkennen. Unter dem Laub, der erste Fund, eine rostige Konservendose.
Krüger grinste. „Zwanzigstes Jahrhundert, würde ich sagen.“
Simon bestätigte, erstaunlich ernsthaft. Die nächste Schicht bestand vor allem, aus locker aufeinanderliegenden, kleinen Felsbrocken. Krüger begann, mitzuhelfen.
„Woher kommen die alle?“, fragte er schließlich. „Die können ja nicht alle von diesem kleinen Felsen abgefallen sein, oder?“
Simon zuckte mit den Schultern. „Weiß ich auch nicht so genau“, antwortete er.
Gemeinsam trugen sie die Brockenschicht ab. Simon holte die Stücke aus der Grube, Krüger schichtete sie am Rand auf. Sie hegten kaum noch Zweifel, dass hier etwas vergraben lag.
Einen halben Meter tiefer erschien eine dunkle Schicht aus schwarzen Nadeln und noch erkennbaren Fichtenzweigen. Die Zweige ließen sich problemlos entfernen. Jedoch die Nadeln verdeckten weiter die Sicht. Simon begann, sie mit der mitgebrachten Pflanzschaufel, auf die Seite zu schieben. Plötzlich blieb er hängen. Ein Stofffetzen? Die Struktur ließ darauf schließen. Senkrecht ragte er aus dem Nadelgewirr. „Da ist etwas!“, stellte Simon atemlos fest. Krüger begann vorsichtig am Stoff zu ziehen. Dunkle Stäbe erschienen. „Holz“, brummte Krüger.
„Eher Knochen“, widersprach Simon.
Krüger sah genauer hin. „Möglich“, brummte er schließlich. Er zog den Stofffetzen weiter nach oben. Eine Metallplatte erschien zwischen lose liegenden Rippen.
„Ein Soldat“, sagten sie gleichzeitig.
Die Platte hatte sich ziemlich stark verfärbt. Trotzdem deutlich erkennbar die ovale Form, mit der quer verlaufenden Bruchleiste. Eine Erkennungsmarke.
„Wehrmacht“, stellte Krüger knapp fest. „Ich kenne die Form. Ein Soldat, den wahrscheinlich seine Kameraden hier begraben haben.
Simon zuckte mit den Schultern. „Was machen wir?“, fragte er schließlich. „Einfach wieder zudecken?“
Krüger schüttelte den Kopf. „Wir müssen das melden.“
„Und wo?“
„Bei der örtlichen Polizei“, antwortete Krüger. „Sprichst du Französisch?“
„Nein!“
Krüger überlegte kurz, dann zog er sein Telefon aus der Tasche.
Michélle meldete sich sofort. „Hallo Chef.“
Er erklärte ihr die Situation und fragte, ob sie bereit sei, herzukommen. „Wir könnten uns beim Chateau de Kintzheim treffen“, schlug er vor. Als er damit begann, ihr den Weg zu beschreiben, unterbrach sie ihn. „Ich weiß, wo das liegt.“
„Sehr gut“, lobte Krüger. „Könnten Sie auf dem Weg, die Gendarmerie gleich mitnehmen?“
Michélle versprach, sich darum zu kümmern.
Krüger wandte sich an Simon. „Uns bleibt nur, zum Schloss zurückzugehen und dort zu warten.“
***
Kommissar Guerin fühlte sich ziemlich genervt, dass er am Samstagmorgen angerufen wurde. Gerade hatte er sich im Bistro mit einer Zeitung hingesetzt. Kaffee und Croissants bestellt. Sein Unmut legte sich schnell, als er begriff, wer ihn störte. „Madame Michélle. Wie schön, Ihre Stimme zu hören. Was kann ich für Sie tun?“
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