„Hi, Frieder!“
„Wie kommt´s?“
„Was?“
„Ohne Sonnenbrille“
„Sehe ja sonst die Anschlüsse auf der Rückseite nicht. Ich fummele schon den ganzen Tag an der Kiste rum.“
„Größeres neues Projekt?“
„Nein – mein Rechner ist abgeschmiert.“
„Oooh – das kenne ich! Kleine Momente des Glücks können auch schon allein darin bestehen, dass man das eigene Elend mit anderen teilen kann.“
„Es treibt mich auf die Zinne, wenn dieses Schrottsystem ohne erkennbaren Grund nicht mehr funktioniert“
„Dann komme ich bestimmt ungelegen.“
„Ich müsste lügen. Aber wenn ich Dich jetzt wegschicke, kommst Du so schnell nicht wieder. Dann weiß ich nicht, was Du über mich schreibst.“
„Ich wusste gar nicht, dass Du eine Familie hast.“
„Es gibt auch einen privaten Gorsky.“
„Den man durchaus beneiden möchte.“
Bei diesem Satz verglich Kohoutek unfairer Weise Jana mit den 78 Kilo Lebendgewicht zuhause. Gorskys Antwort war ein kleines verliebtes Lächeln.
„Sag mal! Könntest Du mit Deinem ganzen Maschinenpark eigentlich Geldscheine drucken?“
„Ich habe es noch nicht probiert. Sollte ich?“
„Mal im Ernst. Du würdest das doch hinkriegen?“
„Ich glaube schon, dass ich eine passable Druckqualität hinbekäme, wenn ich denn wollte. Das Problem ist aber nicht der Druck, sondern das Papier, der Silberfaden und das Hologramm. Das ist mir aber zu langweilig und außerdem kriegt man dafür ganz schön was auf die Finger. Was soll das überhaupt?“
„Ich stelle mir das ziemlich schwierig vor. Handwerklich ist doch eine perfekte Kopie fast anspruchsvoller als eine völlig freie künstlerische Arbeit.“
Gorsky neigte ein wenig den Kopf und drückte eine Braue auf halbe Höhe.
„Willst Du mich hier hinter die Fichte führen? Dann frag doch gleich, ob ich die Leonardo-Zeichnungen kopiert und in den Gropius-Bau geschmuggelt habe. Ich bin des Lesens mächtig. Ich weiß von den Kopien.“
Jetzt schoss viel Blut in Kohouteks Ohren. Ertappt! Das Verhör war aber auch einfach zu plump eingefädelt! Gorsky war für eine solche Nummer viel zu clever.
„Na ja, Du kannst Dir denken, dass der geheimnisvolle Unbekannte mit solch genialen Fähigkeiten für die Presse ein ganz dicker Fisch ist.“
„Und da kommt Ihr gerade auf mich?“
„Weil Du derjenige bist, dem man am ehesten die handwerkliche Fähigkeit zutraut. Da steckt doch schon mal eine Menge Respekt drin.“
„Da versucht man seit Jahren, eine richtig gute Arbeit abzuliefern. Das ist kein Zuckerschlecken, weil da draußen nämlich ein Haifischbecken ist. Da muss man sich durchwühlen, wenn man sein Ding machen will und da muss man mehr als alle anderen davon überzeugt sein, dass dieses Ding gut ist – und durchhalten, wenn es mal dicke kommt. Da ist es endlich mal an der Zeit, dass Deine Scheiß-Zeitung auf den Trichter kommt, was Richtiges über mich zu bringen – und in Wirklichkeit wollt Ihr nur wissen, ob ich so nebenher noch ein paar Leonardos produziere.“
Im gleichen Maße, wie ihm sein Ansinnen immer schäbiger vorkam, wuchs auch Kohouteks Ärger über sich selbst. Jetzt ging es hier nur noch um Schadensbegrenzung.
„Entschuldige bitte! Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet Du da so empfindlich reagierst. Ich habe eher angenommen, dass Du Dich geschmeichelt fühlst. Du suchst doch sonst jede Gelegenheit, um auf Deine Arbeit aufmerksam zu machen!“
„Ja genau: auf meine Arbeit. Das ist eben der kleine Unterschied. Da bin ich nicht anders als meine Kollegen – wenn sie gut sind jedenfalls oder überhaupt Künstler. Eine gute Arbeit kommt immer aus Kopf, Herz und Bauch – mein Kopf, mein Herz, mein Bauch! Ein langer Weg, x mal vom Kopf zur Hand und zurück – durch meinen Arm, ganz egal ob unten ein Stift, ein Pinsel oder eine PC-Maus dranhängt! Und das ist die einsamste Beschäftigung, die Du Dir vorstellen kannst, weil Du nur mit Dir selber ausmachen musst, wann etwas gelungen ist und wann Du es in die Tonne kloppen musst!“
Tatsächlich benötigten beide jetzt eine kurze Pause: der eine, weil er sich in Rage geredet hatte: der andere, weil auch Scham Kraft verzehrt. Kohoutek wurde das Gefühl nicht los, dass er selber derjenige war, der hier von irgendjemandem hinter die Fichte geführt worden ist.
„Wärest Du damit einverstanden, wenn ich Dein Portrait mit „Hart, aber fair“ überschreibe?“
IV. Der Weg der Anna Selbdritt
Francesco Melzi hatte sich auf einen längeren Aufenthalt, wenn nicht sogar Verbleib auf Dauer in Frankreich eingestellt. Nun befand er sich gerade mal drei Jahre nach dem damaligen Zug nordwärts im Gefolge des Königs von Frankreich wieder auf diesem Weg, allerdings in umgekehrter Richtung. Da die Reise etliche Tage in Anspruch nahm, hatte er viel Zeit, über die Ereignisse der letzten drei Jahre nachzudenken.
Franz I. hatte sein königliches Wort gehalten. Das Schloss Clos Lucé bei Amboise war Leonardo auf Lebenszeit samt allem lebenden und toten Inventar zur freien Verfügung gestellt worden zusammen mit einer großzügigen Pension. Leonardo hatte sich hier allerdings kaum noch selbst mit der Malerei beschäftigt – dafür war ja dann er, der Schüler Francesco, zuständig gewesen. Die fortschreitende Lähmung des rechten Arms war für den Linkshänder Leonardo sicher nicht der entscheidende Hinderungsgrund, hatte aber dennoch seine Arbeit stark beeinträchtigt. Seine zeichnerische Tätigkeit sowie die schriftlichen Aufzeichnungen – wie immer in Spiegelschrift – hatte sein geliebter Meister aber auch in dieser Zeit weiter geführt, nur unterbrochen von gelegentlichen Aufträgen einiger Ingenieurprojekte oder besonderen Aufgaben für den Königshof, allerdings ohne jemals dafür den Weg nach Paris zu machen.
Soweit Francesco es beurteilen konnte, hatte Leonardo allem Anschein nach ein sorgenfreies Leben in der Abgeschiedenheit von Clos Lucé geführt. Franz I. war mehrfach mit großem Gefolge nach Amboise gekommen und hatte die Gesellschaft seines berühmten Schützlings genossen, wobei er ihm auch immer von den großen politischen Verwerfungen in Europa berichtete. Diese Nachrichten wurden vom Meister stets an den Schüler weitergegeben. So hatte Franz I. auch davon berichtet, dass ein kleiner Mönch aus dem kalten Deutschland die heilige Kirche in ihren Grundfesten erschüttert und Papst Leo X. herausgefordert hatte. Bei diesem Bericht hatte Franz I. noch nicht ahnen können, dass er mit den protestantischen Glaubensbrüdern in Frankreich, den Hugenotten, sehr bald selbst in heftige Konflikte geraten würde.
Der Besuch im Mai 1519 war der letzte gewesen. Der König von Frankreich war gerade noch rechtzeitig gekommen, um ein letztes Mal auf dem Sterbebett die Nähe des bedeutendsten Mannes seiner Zeit zu spüren. Als Leonardo seinen letzten Atemzug getan hatte, war Franz in Tränen ausgebrochen. Leonardo war 67 Jahre alt geworden.
Leonardo hatte ihn, seinen treuen Assistenten Francesco Melzi, in seinem Testament vom 23. April 1518 nicht nur zum Testamentsvollstrecker bestimmt, sondern ihm auch alle seine Zeichnungen und Manuskripte vermacht, die nun mit ihrem Erben und weiteren Begleitern samt mehreren Maultieren und Zugwagen auf dem Weg zurück nach Italien waren. Da Franz I. die „Gioconda“ und den „Johannes“ kurz vor Leonardos Tod gekauft hatte, waren diese beiden Bilder in Frankreich geblieben. Von den seinerzeit mitgenommenen drei Lieblingsbildern Leonardos hatte Francesco Melzi jetzt nur noch die „Heilige Anna Selbdritt“ im seinem Gepäck. Gedankenschwer schaute er in das Wageninnere auf das eingewickelte Paket.
Francesco war sich ganz dessen bewusst, dass er durch die väterliche Freundschaft dieses großen Geistes etwas ganz Besonderes hatte erfahren dürfen. Sein Gemütszustand schwankte zwischen tiefer Melancholie über den Verlust und der Freude, seine Heimat wieder zu sehen. Schließlich hatte er ja noch das ihm von Leonardo aufgetragene Ehrenamt der Testamentsvollstreckung zu erfüllen. Leonardos Halbrüder sowie deren Erben waren auszuzahlen. Salai und Battista sollten je zur Hälfte jenen Weinberg Porta Vercallina bei Mailand erben, den Ludivico Sforza einst Leonardo geschenkt hatte. Salai lebte ja ohnehin dort, weil schon sein Vater zuvor den gesamten Weinberg gepachtet hatte.
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