1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Im Gepäck der besonderen Reisegäste waren drei Bilder, von denen sich Leonardo niemals trennen wollte: die „Anna Selbdritt“, die „Mona Lisa“ und der „Täufer Johannes“ – und die auch später, zurzeit der geheimnisvollen Strahlen, alle drei im Louvre unter dickem Panzerglas wieder vereint sein sollten – wobei jedes auf seinem Weg von Besitzer zu Besitzer seine eigene Geschichte haben sollte. Im Gepäck befanden sich auch mehrere tausend Blätter mit Leonardos Aufzeichnungen, die schon im Zahlenverhältnis zu seinen gerade mal zwölf sicher zugeschriebenen Gemälden den bedeutenderen Teil seines Lebenswerkes darstellten. Die Reise war für Leonardo anstrengend, denn nach den Maßstäben seiner Zeit war er bereits ein alter Mann. Dafür war es auch seine letzte. Er sollte Italien nicht mehr wiedersehen.
7. Der begnadete Berserker
Wenn es in der Szene ein Kraftvieh gab, dann Bernd Meisner. Seine Auftritte in der Öffentlichkeit waren berüchtigt, in jedem Falle immer laut und anmaßend. Ein unkritisches Publikum beeindruckte er mühelos, für Leute mit eigenem Kopf war er eher unerträglich. Ein wuchtiger Kerl von zwei Zentnern auf 1,85 Meter verteilt. Auf dem Kopf eine aufgeplatzte Matratze, im Gesicht ein gewaltiger Sauerkohl. Seit der Geschlechtsreife und vermutlich schon weit vorher war er allem nachgestiegen, was Röcke trug, und hatte das bis zu seinem nun 55. Lebensjahr auch so beibehalten.
Mit seinem genetischen Material war er so großzügig umgegangen, dass er erhebliche Schwierigkeiten hatte, seine Nachkommenschaft den richtigen Empfängerinnen zuzuordnen. Alles, was mit Fressen, Saufen und Rauchen zu tun hat, hatte er nicht ausgelassen. Der Herzinfarkt, den er mit dieser Lebensweise bestellt hatte, war ihm prompt an seinem 52. Geburtstag geliefert worden. Danach hatte er das berühmte ärztlich verordnete Kürzertreten eine Zeitlang auch durchgehalten, was ihm aber – kaum dass er sich erholt hatte – schon wieder wie Tippelschritte vorkam. Spätestens als eine seiner beiden Hauptmusen diesen Anfall von Gesundheitsbewusstsein mit der Vergabe ihrer ganzen üppigen Pracht an einen obendrein noch reichlich erfolglosen Konkurrenten quittierte und die verbliebene nach enttäuschter Erwartungshaltung ihn als saft-und kraftloses Weichei betitelte, schwörte er dem mönchischen Ideal ein für alle Mal ab und rang die Vernunft mit viel Trotz und noch mehr Suff nieder. Das sollte so bleiben, bis ihn der Bruder Hein mit einem Hieb abholen sollte. So ein Kerl taugt eigentlich nur zum Holzhacken.
Aber das wäre weit gefehlt. Diese Hände, so groß wie Klosettdeckel, mussten ein doppeltes Nervenpaket abbekommen haben. Gut fürs Streicheln und fürs Zeichnen. Einen Zeichner und Radierer von solchen Graden hatte es in der deutschen Kunst schon lange nicht mehr gegeben. Wie mit allen anderen Dingen hatte er auch in seiner Arbeit kein Maß gekannt. Er hatte neben all den anderen aufreibenden Tätigkeiten ein wirklich gewaltiges Werk geschaffen in Qualität und Quantität und jetzt den Status erreicht, wo selbst der Bockmist noch als „genial“ verkauft wurde. Eine thematische Grenze kannte er nicht. Das ging querbeet von der Landschaft über das Stilleben bis zum Portrait, speziell Frauen-oder Selbstbildnisse. Es war nicht das Sujet, es war der Strich.
Er hatte zwei Schleppenträger in seinem Atelier beschäftigt, die sich für gutes Geld wie Hunde behandeln lassen mussten. An denen musste jeder Besucher erst einmal vorbei.
„Frieder Kohoutek. Ich habe eine Verabredung mit Bernd Meisner.“
„Da werden Sie etwas warten müssen“, sagte der Hofhund mit der Arroganz eines Lakaien.
„Ich habe einen festen Termin mit ihm ausgemacht!“
„Hat die Dame auch, die er gerade bespricht.“
„Wie bitte?“
„Sie können hier warten oder ein anderes Mal wiederkommen.“
Kohouteks erster Gedanke war: so was macht man mit mir nicht! Sein zweiter: jetzt bin ich schon mal da! Noch wog der zweite schwerer.
„Wie lange dauert so eine Besprechung denn im Allgemeinen?“
„Gute Frage – nächste Frage.“
Kohoutek gestand sich ein, dass es auch für einen solch friedliebenden Menschen wie ihn Momente gibt, da man töten möchte.
„Wo ist das Wartezimmer? Wo sind die Zeitungen? Wo ist der Whisky?“
Der Schleppenträger grinste breit und freute sich, dass jemand von allein darauf gekommen war, wie hier der Hase lief.
„Mir nach!“
Wartezimmer war übertrieben, aber die Sitzecke sah so aus, als wäre sie genau für solche Situationen hergerichtet worden. Wenn es Lesestoff gegeben hätte, wäre der uninteressant gewesen, weil Kohoutek sich erst mal an den Zeichnungen satt sehen musste, die hier an der Wand hingen. Whisky war es auch nicht, aber Cognac und Mineralwasser. Bevor das Selbstwertgefühl Schaden nahm, gönnte sich Kohoutek einen doppelten Cognac. Kaum hatte er das Glas abgesetzt, als eine große Papprolle mit einer attraktiven Frau dran dem Ausgang entgegenschwebte.
Kohoutek wurde schlagartig klar, dass er hier auf ein völlig falsches Pferd gesetzt werden sollte. Dieser Berserker brauchte alles nur keine getürkte Medienshow. Beim Hinausgehen zischte er dem Empfangschef noch zu:
„Sagen Sie ihm, dass er mich am Arsch lecken kann!“
„Da müssen Sie eine Nummer ziehen!“
Die Dame war als Irrwisch der Szene gut bekannt, weil sie tatsächlich keine Gelegenheit ausließ, einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Eines war sicher, dass sie für ihr Gesicht mehr Farbe und Zeit verbrauchte als für ihre Bilder. Die wenigen, die es deshalb von ihr gab, hatten das Grundthema „Gewalt gegen Frauen“. Die wurde dem Betrachter so schonungslos auf die Netzhaut gedroschen, dass schon mal ein Würgereiz ausgelöst werden konnte.
Auch ihre Tafelbilder kamen zunächst von der Zeichnung, die dann mal mehr, mal weniger mit feinster Malerei durchgearbeitet wurden. Die wahren Leckerbissen waren jedoch ihre Zeichnungen, die zwar auch unverkennbar ihr Thema bearbeiteten, aber eine absolut kontrollierte, dennoch feine Linienführung zeigten, zauberhafte Nuancen aufwiesen, die durch die reduzierte Farbigkeit noch betont wurden. Die Wucht der farbigen Gemälde machte die Verletzlichkeit der Zeichnungen und wohl auch die Verletztheit der Person noch deutlicher.
Wenn man diese zarte Zicke in den Endvierzigern vor sich sah, hatte man zunächst Schwierigkeiten, ihr diese gewaltigen Horrorszenarien zuzuordnen. Jeder Psychologe konnte da tief schürfen – die Nicht-Psychologen taten es aber auch. Mit einer düsteren Geschichte war sie vor Jahren mal durch den Blätterwald gerauscht, als sich ihr langjähriger Lover in der explosiven Mischung von Eifersucht, Verzweiflung und Suff ein ziemlich scheußliches Loch in den Kopf geschossen hatte. Dessen Unglück hatte seinen Kern in der Tatsache, dass sie nie auf die Idee gekommen wäre, tatsächlich eine enge Bindung einzugehen, ganz im Gegenteil sich jede Freiheit nahm, auch die, beim Kauf eines Bildes höchst persönlich den Sonderbonus zu verkörpern. Sie gewährte diese Freiheit auch – aber mancher kann Freiheit nicht ertragen. Das kommt vor, aber dass Brigitte Tappelt den Revolver des Unglücklichen in Gießharz eingebettet und als Kunstwerk in ihre Ausstellungen gehängt hatte, war doch eher ungewöhnlich. Sie hatte danach die Fronten gewechselt und lebte seit dem mit ihrer Partnerin zusammen.
Sie war sicher früher eine sehr hübsche Frau gewesen, war es eigentlich immer noch, wenn man unter der Deckschicht noch den Originalzustand hätte erkennen können. Plateausohlen dick wie Eisenbahnschwellen, künstliche Wimpern groß wie Laubbesen, abstruse Gestecke in kohlpechrabenschwarzem Haar und Klunker aller Art an allen dafür geeigneten Stellen – manchmal auch an den ungeeigneten. Ihr Erscheinen war jedes Mal ein Auftritt.
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