Die Nachricht auf der Haftnotiz war dann dank der Vorarbeit schon leichter zu übersetzen.
»conceal document« Was so viel wie »lass die Dokumente« verschwinden heißen sollte.
Seit er mit der Arbeit angefangen hatte, hatte er keinen Kaffee mehr getrunken und nur geraucht. Zur Belohnung für seinen Fleiß goss er sich einen Remy Martin ein, zündete eine Biddies an und stellte sich auf seinen Balkon um über das ganze nachzudenken.
Auf der Bank vor seinem Fenster, auf der ihn Hawkeye angesprochen hatte, saß jetzt eine Frau mit einem Kinderwagen. Ihm fiel auch auf, dass im Vergleich zu den anderen Tagen besonders viele Autos auf der Straße waren.
Am Fußgängerüberweg der Freiherr-vom-Stein-Straße zur Carl-Zuckmayer-Brücke war ein dunkelblauer BMW mit dem Diplomatenkennzeichen Null-Siebzehn, gegenüber parkte ein schwarzer Audi A8 mit einem Berliner Kennzeichen und einer digitalen Funkantenne am hinteren rechten Kotflügel sowie auf der Fahrerseite eine Steckvorrichtung für ein Blaulicht.
Alarm - Alarm. War das Zufall oder war da eine Observierung zugange? Zwischenzeitlich hatte sich die Frau mit dem Kinderwagen entfernt und den Platz auf der Bank für zwei Jogger geräumt, die ihre Dehnübungen machten.
Gerade noch rechtzeitig bemerkte er ein weiteres Fahrzeug, einen schwarzen Volvo, der aus der Freiherr-vom-Stein-Straße in Richtung Martin-Luther-Straße fuhr.
»Hawkeye 1«
Plötzlich war Bewegung auf der Straße. Der BMW rollte los und folgte dem Volvo. Der Fahrer des Audi, der gegen die Fahrtrichtung des Volvo abgestellt war, nahm die Verfolgung des Volvo nicht so dezent wie der BMW Fahrer auf. Mit quietschenden Reifen rangierte er ein Stück rückwärts in die Innsbrucker Straße und hätte um ein Haar eine Radfahrerin umgefahren.
Die beiden Jogger spurteten zu dem Audi, rissen die Türen auf und hechteten auf den Rücksitz.
Dann war der Spuk vorbei.
Da sich in den nächsten fünfzehn Minuten das Gesamtbild der Straßenkreuzung nicht änderte, nahm Jens an, dass entweder die Überwachung beendet oder ein drittes Team bereits vorher positioniert worden war.
Nur ein dummer Zufall? Wie auch immer, Jens war alarmiert.
Der »Kleine Hunger«, den Jens bislang mit Kaffee und Nikotin unter Kontrolle gehalten hatte, zwang ihn jetzt doch, sich mit dem Thema Nahrungsaufnahme auseinander zu setzten. Seit den Vorfällen mit den Köchen, hatte Jens das indische Restaurant in der Belziger Straße gemieden. Rahul hatte ihn zwar immer wieder gedrängt »doch mal vorbeizukommen«, aber Jens hatte die verschiedensten Ausreden gebraucht um sich zu drücken. „Heute ist ein guter Tag für ein ChilliChicken“, murmelte Jens und machte sich auf den Weg. Die Freiherr-vom-Stein Straße entlang - an der Ampel überquerte er nacheinander die Luther-Straße sowie die Dominicusstraße und bog dann in die Belziger Straße ein.
Jens war Zeit seines Lebens weder ängstlich noch signifikant schreckhaft, aber er hatte plötzlich ein ungutes Gefühl in der Magengegend als er, ohne es vorher bemerkt zu haben, zwischen drei Kerlen eingekeilt war. «Curd» «Popeye» und «Bohnenstange» hatte er die drei nach deren Aussehen getauft. Curd, weil er so stämmig wie Curd Jürgens aussah; Popeye, weil der mit seinen O-Beinen und einem watschelnden Gang das Klischee eines Seemanns bediente und Bohnenstange? Warum wohl Bohnenstange?
„Mander? Jens Mander?“, wurde er von »Curd« gefragt.
Jens’ Appetit auf ein ChilliChicken war weg.
„Wer will das wissen?“, startete Jens die Gegenfrage.
„Roger schickt uns“, kam jetzt von »Popeye«. „Er meint, es gebe da jemand, der mit Dir reden möchte.“
Jens hatte nicht damit gerechnet, dass das angekündigte Treffen schon vierundzwanzig Stunden vorher stattfinden würde. Er war so sehr damit beschäftigt, sich Flucht und Verteidigungsstrategien zu überlegen, dass er nicht mal die schwarze S-Klasse Mercedes sah, die inzwischen mit offenen Türen neben den vier Männern am Straßenrand hielt. Von sanfter Gewalt geleitet, eingekeilt zwischen den drei dunklen Gestalten, kamen sie dem Auto immer näher.
Mit dem Nachsatz „Steig doch bitte ein“, verstärkt durch etwas körperlichen Druck von »Curd« und durch massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit ließ sich Jens Mander dann doch auf den Rücksitz des Mercedes fallen. Erst da registrierte er den zweiten Mann auf der Rücksitzbank des Autos, aber da war die Türe schon zu und der Wagen in Bewegung.
„Hallo Jens, schön Dich zu sehen. Wie geht es Dir?“
„Servus Holger. Bis vor ein paar Minuten ging es mir noch gut, aber jetzt …“ Jens ließ das Ende des Satzes offen.
„Eigentlich hatte ich eher mit einer Antwort in der Art wie »Hallo Holger, mir geht es gut und wie geht es Dir« oder »man kann nicht lauter klagen« oder so ähnlich gerechnet.“
„T’ja Holger, so kann man sich täuschen“, griente Jens. „Was willst Du von mir?“
„Germut möchte mal mit Dir reden.“
„Aber ich nicht - Germut ist der Letzte, mit dem ich reden möchte. Ich bin raus aus dem Geschäft und wenn wir jemals über etwas einig waren dann darüber, dass wir uns nicht einig sind und dass wir nicht miteinander können und uns von Herzen Scheiße finden.“
„Ich weiß und ich bin auch auf Deiner Seite.“ Er machte eine Pause und sah mich an. „Und außerdem, Germut ist auch ruhiger geworden und manchmal glaube ich, dass ihm heute euer Streit leid tut - auch wenn er das nie zugeben würde.“
Bevor er weiterreden konnte, klingelte sein Handy, das er die ganze Zeit schon in der Hand gehalten hatte. Er meldete sich mit einem »Ja bitte« und hörte dann aufmerksam zu. Kein „OK“ oder „Ja“, kein Kommentar, keine Fragen zu dem Gehörten.
Jens Mander nutzte die Zeit, um sich mit einem Blick aus dem verdunkelten Seitenfenster zu orientieren. Kurz nachdem er ins Auto geschubst wurde, hatte sich der Wagen in Richtung Hauptstraße in Bewegung gesetzt und fuhr jetzt relativ schnell, um nicht zu sagen raste über den Innsbrucker Platz in Richtung Stadtautobahn.
„Ok“, hörte er Holger sagen, als sie auf der A100 am Autobahndreieck Avus auf die A115 in Richtung Potsdam abbogen. „Germut hat soeben Deinen Sicherheitsstatus bestätigt. Cosmic Top Secret - Welcome home!“
Nach weiteren fünf Minuten Fahrt verließ der Wagen die A115 an der »Spinner Brücke«. Die Fahrt endete vor einer alten Gründerzeit-Villa. Jens war es ein Rätsel, wie »Curd« »Popeye« und »Bohnenstange« es geschafft hatten, vor ihnen da zu sein. Aber als sich die Türe des Autos öffnete, standen die drei vor Jens und »Popeye« grinste schon fast unverschämt.
„Willkommen daheim“, sagte er nur, reichte ihm die Hand und zog ihn aus dem Auto. Im Grunde genommen war Jens über die Hilfestellung nicht böse, hatte er doch nach einem Unfall vor ein paar Jahren so seine Probleme beim Aussteigen. Vielleicht empfand er deshalb die ziehende Hand nicht so bedrohlich, wie sie vielleicht gemeint war.
Eingekeilt von dem Kleeblatt - »Popeye« schwankte voraus, bugsierten sie Jens ihn durch das Portal. Holger steckte eine Ausweiskarte in einen Kartenleser und tippte an der darunter befindlichen Tastatur eine längere Zahl ein. Nach ein paar Sekunden gab eine grüne Signallampe den Eingang frei und sie betraten die Halle. Der Raum war schattenlos ausgeleuchtet. Von der Halle führten zwei Treppen zum Obergeschoss. Holger ging zur rechten Treppe und das Kleeblatt eskortierte Jens in die gleiche Richtung, so dass er keine Chance hatte als Holger zu folgen. Oben angekommen, zog der erneut seine Ausweiskarte durch einen Kartenleser und gab erneut eine lange Zahl ein, worauf sich die Türe automatisch öffnete. Holger schob Jens durch die Türe und meinte, dass in zehn Sekunden die Türe wieder geschlossen sein müsse - „fünf Sekunden je Mann, sonst gibt‘s Ärger.“
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