Und dann fand ich diesen Zettel mit dem Text
NAZ-TSAID BE-TKAH TKELE-CHO-G TSA-E-DONIN-EE BA-AH-NE-DI-TININ und zwei Ausschnitte 2
3aus einer Berliner Tageszeitung.
Da ich bereits am nächsten Tag in die Klinik musste, legte ich den Zettel und die Zeitungsartikel zuerst mal zu den Dokumenten in meinem Safe um mich nach dem Krankenhausaufenthalt damit zu beschäftigen.“
Jens merkte, dass Hawkeye immer hektischer wurde und die Luft seiner Lunge eigentlich schon vor dem Satzende verbraucht war.
„Zehn Tage später wurde ich aus dem Benjamin Franklin entlassen. Dieses Mal ging es mir besonders dreckig und so dauerte es nochmals fast zwei Wochen, bis ich wieder auf die Beine kam.
Mein Plan um das Rätsel zu lösen war ganz einfach - ich wollte die Lebensgeschichte des Buchs zurückverfolgen.
Aber das ging nicht so einfach, wie ich mir das vorstellte. Der Buchhändler konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie das Buch in seinen Besitz kam und meinte nur dass er es vermutlich von einem professionellen Wohnungsauflöser zum Kilopreis gekauft habe. Meine Nachforschungen brachten mich keinen Schritt weiter und alle meine Versuche über den Besitzer oder die Besitzerin des Buches was rauszukriegen endete in Sackgassen.
Mit der Notiz kam ich auch nicht weiter. Ich spreche zwar noch die Sprache meiner Ahnen und konnte den Text entziffern, aber da ich den WortCode nicht kannte, ergab die Inschrift keinen Sinn.“
Hawkeye unterbrach seine Erzählung wieder für mehrere Minuten.
„Ende Januar flog ich dann in die Staaten. Ich hatte Karten für den Superbowl in Indianapolis. Der Rückflug nach Berlin war für eine Woche nach dem Spiel gebucht. Also blieb mir Zeit für einige Recherchen und um ein paar alte Verbindungen wieder aufzuwärmen.
Ich wollte Jack Elder überprüfen, aber irgendwie lief ich immer gegen eine Wand; kein Wort, keine Info, nur bedauerndes Achselzucken. Da es in den Sechziger Jahren auch nicht viele Zeitungen in den Staaten gab, die ihre Journalisten nach Deutschland schickten, waren die wenigen ganz schnell angerufen. Aber keiner kannte einen Jack Elder. Einen Zwischenstopp in New York nutzte ich, um dem Archiv der New York Times einen Besuch abzustatten. Aber auch hier konnte ich keine Informationen ernten. Die Nachfrage bei der »American Writer‘s Association« war ebenfalls ein Fehlschlag.“
Er machte eine Pause. Seine lebhaften Augen waren ruhig geworden und Jens hatte das Gefühl, als würde seine Lebensenergie verpuffen.
Sie waren jetzt an dem Punkt gekommen, an dem Jens seinen Rucksack voll Fragen los werden musste und mit der wichtigsten wollte er gleich anfangen.
„Deine Geschichte klingt ja sehr interessant und spannend, aber was steht auf dem Zettel und warum erzählst Du mir das alles? Wir kennen uns doch gar nicht.“
„Das mag schon so sein“, erwiderte Hawkeye. „Du kennst mich nicht, aber wir haben einen gemeinsamen Bekannten.“
„Germut Kärmeren", fügte er einen Atemzug später noch hinzu.
Jens war eine fatale Sekunde sprachlos, als er den Namen hörte. Plötzlich spürte er dieses Kribbeln auf seiner Kopfhaut und ein Ziehen in der Magengrube.
Mit Germut Kärmeren verband Jens nicht nur eine verwandtschaftliche Beziehung. Germut war auf eine markante Weise auch für sein jahrelanges Doppelleben im Dunstkreis einer Schattenwelt verantwortlich.
„Das ist nicht Dein ernst - oder? Germut, der Name ist aber nicht unbedingt eine Empfehlung“, erwiderte Jens Mander mürrisch.
„Er hatte mir gesagt, dass Du nicht mit einem »Heureka« sondern eher mit Ablehnung reagieren würdest.
Ich weiß nicht, was zwischen euch beiden vorgefallen ist und es interessiert mich auch nicht. Das ist euer Krieg und nicht meiner. Er hat aber Deine Recherchen und Deine Fähigkeit gelobt, in ein Thema einzutauchen und es umfassend analysieren zu können.
Er hat mir auch keine Grüße an Dich aufgetragen - von einem «der soll zum Teufel gehen» und einem »son of a bitch« abgesehen.“
Hawkeye gab mit einer Pause Jens die Möglichkeit einer Erwiderung, doch Jens hatte beschlossen, das Gesagte nicht weiter zu kommentieren oder neue Informationen preiszugeben.
„Auch wenn es Dich nicht interessiert, Einundneunzig hatten wir eine gemeinsame Operation durchgeführt. Heute lebt Germut in Florida und trotz seiner sechsundsiebzig Jahre ist er immer noch als Seniorberater für Blackwater aktiv. “
Mit einem „in welcher Zeit leben wir denn?“ sah Jens auf seine Armbanduhr, und stellte fest, dass sie seit knapp drei Stunden am Tisch saßen.
Hawkeye steckte seine Zettel wieder in seine Brieftasche, winkte die Kellnerin an den Tisch und bat um die Rechnung.
„Ich muss jetzt gehen“, meinte Hawkeye. „Mir geht es nicht besonders gut und wenn meine Krankenschwester kommt und ich nicht da bin, dann macht sie wieder Terror.“
Er stand auf, nachdem er die Rechnung beglichen hatte.
„Eine Frage hätte ich dann doch noch.“ Hawkeye blieb stehen und wandte sich wieder dem Tisch zu. „Warum ich? Warum hast Du mir das alles erzählt und was steht auf dem merkwürdigen Zettel?“
„Es bedarf zwei Sachen um diesen Job zu erledigen: Eier und Integrität. Und beides hast Du.“
Noch bevor Jens Mander ihn fragen konnte, wie es denn jetzt weiter gehe, kam er ihm mit seiner Antwort zuvor.
„Ich werde morgen Abend um sechs wieder auf der Bank sitzen und auf Dich warten. Wenn Du kommst, werde ich wissen ob Du meine Frage verstanden hast und wie Deine Antwort aussieht.“
Mit diesen Worten trat er zwischen zwei geparkten Autos auf die Straße und noch bevor Jens protestieren konnte, stieg er in einen schwarzen Volvo. Jens Mander konnte gerade noch das amerikanische Kennzeichen »Nevada Hawkeye 1« erkennen, dann war der Wagen um die Ecke Richtung RIAS - Deutschlandradio verschwunden.
Nicht einmal eine Minute später klingelte Jens Manders iPhone. Jens nahm das Gespräch an und meldete sich mit „Ja, bitte.“
„Auf dem Zettel steht, dass Kennedy getötet werden soll.“
Auf dem Weg zu seinem Appartement begann Jens Mander über die Geschichte nachzudenken und aus dem Gedächtnis die Fakten zu sammeln.
Sein ehemaliger Boss schickt ihm einen Navajo-Indianer, einen früheren Angehörigen der US Special Forces. Der wiederum erzählt ihm fragmentarisch eine oder vielleicht sogar seine Lebensgeschichte, eine Story von Scharfschützen und von Operationen in Krisen- und Kriegsgebieten. Dann hält er ihm einen Zettel mit irgendwelchen Schriftzeichen unter die Nase, behauptet, dass da die Anweisung drauf steht, Kennedy zu töten und verschwindet dann ganz einfach. Die Schriftzeichen auf dem einen Zettel hätten durchaus Diné Bizaard und damit eine, im sogenannten Navajo-Code verschlüsselte Nachricht sein können. Das Papier, auf dem die Zeichen standen, sah alt und abgegriffen aus.
In seinem Appartement angekommen, machte er sich erst mal ein Glas Cola mit Eiswürfel, startete sein MacBook und die Textverarbeitung. Mit der Diktierfunktion machte Jens ein Gedächtnisprotokoll des Gesprächs mit Hawkeye, einen Zusatz mit seinen unbeantworteten Fragen und seinen Eindrücken.
Sicherheitshalber verschlüsselte er das Dokument mit zwei verschiedenen Verschlüsselungssystemen.
Das Merkwürdige an der Geschichte war, dass er außer dem Kennzeichen des Volvo keine nachprüfbaren Fakten hatte.
Jens griff zum Telefon und wählte aus dem Gedächtnis eine Telefonnummer in der Schweiz. Die Nummer gehörte einem Versicherungskonzern und der Apparat stand im Leitstand des Rechenzentrums in Zürich.
„Gruezi Christian, comment ça va mon ami?“
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Christian gemerkt hatte, wer ihn da anrief.
„Moin moin Jens, Du lebst auch noch?“.
Wie Jens war auch Christian Freelancer. Sie hatten in mehreren Projekten zusammengearbeitet. Aber im Gegensatz zu Jens hatte sich Christian auf seine alten Tage eine Festanstellung als Betriebsführer geangelt.
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